© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Ausforschen, isolieren, mobben
Gewerkschaftlicher Kampf gegen Rechts: Wie eine Handreichung des Verdi-Bezirks Süd-Ost-Nieder­sachsen dazu anleitet, politisch mißliebige Kollegen anzugehen
Martina Meckelein

Es beginnt ganz unverfänglich: Die „Handlungshilfe für den Umgang mit Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung“ stand auf der Internetseite des Verdi-Bezirks Süd-Ost-Niedersachsen. Die zwei Seiten mit Checklisten seien dafür gedacht, „im Falle eines Auftretens von AfDlern oder anderen Rechtspopulisten im betrieblichen Alltag den Umgang mit ihnen zu erleichtern“. Wer allerdings glaubt, daß Verdi auf Aussprache und ein kollegiales Zusammenarbeiten im Betrieb aus ist, wird beim näheren Durchlesen der Seiten eines Besseren belehrt. Die strategische Anleitung zum Ausforschen, Isolieren und Mobben von Kollegen durch Kollegen erinnert an die als „Zersetzungsrichtlinie 1/76“ berüchtigt gewordene Zusammenstellung geheimdienstlicher Methoden des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR zur Bekämpfung tatsächlicher oder vermeintlicher Gegner der SED-Herrschaft. Zersetzung à la Verdi.

Kleidung, Musik, Lektüre – alles wird registriert

Verdi – ein Name wie Donnerhall. Vor dieser Gewerkschaft zittern Vorstände großer Konzerne. Rund 2,1 Millionen Genossen, etwa 3.000 Mitarbeiter, mehr als 400 Millionen Euro Beitragseinnahmen im Jahr. Neben Arbeits- und Tarifkämpfen hat sich die Gewerkschaft ein neues Kriegsgebiet erschlossen: den Kampf gegen die „Rechten“. Die Gewerkschaft will mit der „Handlungshilfe“ Mitgliedern zeigen, wie sie AfDler und „Rechtspopulisten“ in und außerhalb der Gewerkschaft bekämpfen können.

Erst einmal geht es der Gewerkschaft um „unterschiedliche Varianten, wie eine AfD-Mitgliedschaft oder Mitgliedschaft in einer anderen rechtspopulistischen oder rassistischen Organisation im Zusammenhang mit Verdi in Erscheinung treten kann“. Sprich: Welche Funktion hat das identifizierte AfD-Mitglied innerhalb der Gewerkschaft und in der Partei? Ist es nur einfaches Mitglied oder sogar im Betriebsrat respektive Mandatsträger der Partei?

Es ist sinnvoll, rät die gewerkschaftliche „Handlungshilfe“, die Folgen seines Handelns zu bedenken – und zwar bevor „gezielt gegen Rechtspopulisten, AfDler und Rechtsextremisten in Betrieb und Verwaltung“ vorgegangen wird. Auch dafür hat die Gewerkschaft eine Checkliste ausgearbeitet. Erst einmal sollte das „Standing“ der Person im Betrieb herausgefunden werden, auch ob sie eine Hausmacht habe und ob man es sich überhaupt erlauben könne, „sich mit der anzulegen“. Verdi rät dazu zu überlegen, ob die Gefahr bestünde, „sich zu verkämpfen“. Das soziale Umfeld sollte untersucht werden. Ist die Person gut „verwurzelt“ oder handelt es sich um „verschrobene Einzelgänger/innen“? Es empfehle sich, vorab zu prüfen, ob ein betriebliches Vorgehen gegen Rechtspopulisten nach außen transportiert würde und so gegen die Initiatoren, also sie selbst, gewendet werden könne.

Doch woran erkennt das emsige Gewerkschaftsmitglied überhaupt den Feind, sprich die „rechtspopulistischen“ Haltungen beziehungsweise ein Engagement für die AfD? Ganz einfach daran, ob „rassistische“, antisemitische, „nationalistische“, „homophobe“ Äußerungen fallen. Ob Linke, Liberale oder Migranten „provoziert“ würden. Als demaskierend gilt auch die Mediennutzung: Compact, PI-News, Zuerst oder die JUNGE FREIHEIT sind bei den Genossen negativ konnotiert. Verdi-Mitglieder sollten auch ein Auge darauf haben, welche Facebook-Freundschaften die Beobachteten pflegen und wie sie dort Sachverhalte kommentieren würden. Als weitere Erkennungsmerkmale gelten bestimmte Kleidung, Anstecker, das Hören bestimmter Musik, der Besuch bestimmter Konzerte oder beim Fußball die Mitgliedschaft in rechtsextremen Hooligan-Gruppen. Des weiteren raten die Genossen zum Abgleich mit Parteilisten von Kandidaten und Mandatsträgern und dem Sammeln von Informationen aus den Medien. Zum Schluß der Rat, sich bei aktiven Antifaschisten – lies: Linksextremisten – beziehungsweise den „Kennern“ der „rechten“ Szene zu informieren.

Allerdings ruft Verdi auch zur Mäßigung auf. Schließlich mache es schon einen Unterschied, „ob jemand für die AfD agitiert, (...), oder ob es sich um ein passives Mitglied“ handle. Auch dieses soll per Checkliste herausgefunden werden. Also: „Person/en beobachten: betreiben sie Werbung, diskutieren sie mit Kollegen/innen über ihre Positionen?“ Und wenn sie das tun, dann sollte man die Person „ansprechen und ins Gespräch ziehen“ und sie „auf mögliche Folgen hinweisen“.

Hat die Ansprache nicht den erwünschten Erfolg, wird der Druck gesteigert. Die Person solle im Betrieb isoliert und von gewerkschaftlicher Kommunikation ausgeschlossen werden. Sie soll darüber hinaus inner- und außerbetrieblich geoutet und ihr politisches Engagement bekannt gemacht und geächtet werden. Allerdings warnt die Gewerkschaft in roter Schrift: „Achtung: Aufpassen, daß Rechtspopulisten nicht als Opfer oder Märtyrer wahrgenommen werden!“

Wenn Verdi allerdings zur „Ansprache des Arbeitgebers“ mit der Begründung rät: „Viele Arbeitgeber wollen keine betrieblichen Konflikte wegen rechtspopulistischen Engagements und sind bereit zu helfen“, könnte das den Eindruck vermitteln, daß hier der Arbeitgeber seitens der Gewerkschaft unter Druck gesetzt werden soll – und man aus Erfahrung spricht.

Auf JF-Nachfrage ruderte der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske zurück: „Mitglieder wegen ihrer politischen Haltung auszuschnüffeln, entspricht dabei nicht dem Selbstverständnis von Verdi und kann und wird für die Organisation niemals handlungsleitend sein.“ Gleichwohl weist der Verdi-Bezirk Süd-Ost-Niedersachsen mit Sitz in Braunschweig in seiner Handlungshilfe darauf hin, daß die Gewerkschaft für „die direkte Ansprache“ Argumentationshilfen und Trainings anbietet. Also nicht der Bezirk, sondern die Gesamtgewerkschaft?

„Erinnerung an dunkelste Seiten der Ost-Diktatur“

„Ich wundere mich, daß der Aufschrei des Entsetzens nicht nur beim politischen Gegner, sondern auch bei anderen Verbänden und Gewerkschaften ausgeblieben ist“, sagte Niedersachsens AfD-Landeschef Armin-Paul Hampel der JUNGEN FREIHEIT. Die Reaktion Frank Bsirskes mache „deutlich, daß der Gewerkschaftschef anscheinend den Ernst der Lage völlig verkannt“ habe. „Und sie zeigen weiterhin, daß die Gewerkschaften, die früher viel Gutes zum sozialen Frieden in Deutschland beigetragen haben, ihre inhaltlichen wie moralischen Maßstäbe verloren haben. Dieses Pamphlet, das an die dunkelsten Seiten der Ost-Diktatur erinnert, von einem Gewerkschaftsgeist ausgedacht, drückt die Bereitschaft aus, alle demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien außer Kraft setzen zu wollen.“ Hampel gab an, am kommenden Sonntag den Landesvorstand davon überzeugen zu wollen, gegen das Verdi-Papier Klage einzureichen.

Von der Internetseite des Verdi-Bezirks Süd-Ost-Niedersachsen war das Papier am Freitag verschwunden. Kommentarlos. Der Geschäftsführer des Bezirks, Sebastian Wertmüller, war bis Redaktionsschluß dieser Ausgabe nicht zu erreichen.

Seit mindestens Ende vergangenen Jahres scheint der Verdi-Bezirk über „Handlungshilfen“ für den Umgang mit „Rechtspopulisten“ nachzudenken. Auf der Netzseite findet sich ein Veranstaltungshinweis für den 16. November 2016: „Rechtspopulismus in der Arbeitswelt – Handlungsmöglichkeiten in Betrieb und Verwaltung“. Eine Kristin Harney von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt bot damals einen dreistündigen Workshop zu dem Thema in Göttingen an. Die Themen, die abgehandelt werden sollten: „AfDler mit Gewerkschaftsbuch? Betriebsrat aktiv bei der AfD? Gewerkschafter/in und rechte Denke? Unter Arbeitnehmern/innen und Arbeitslosen haben Rechtspopulisten eine soziale Basis. Auch Funktionärinnen und Funktionäre sind nicht vor rechtspopulistischen und rassistischen Anwandlungen gefeit.“

Die besagte Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) lohnt einen näheren Blick. Sie verfügt über ein ausgedehntes, weitverzweigtes Netzwerk aus Projektpartnern, Multiplikatoren, Teilnehmern, Politik und Zivilgesellschaft. Das Zentrum für Demokratische Bildung in Wolfsburg ist seit 2011 ein weiterer Standort der ARUG. Die „Handlungshilfe“ von Verdi nennt als „Beratung“ in dem Handzettel ebendieses Zentrum für Demokratische Bildung Wolfsburg und den Landespräventionsrat Niedersachsen. Die Pressearbeit für den Landespräventionsrat übernimmt das niedersächsische Justizministerium. Auf Anfrage der jungen freiheit, inwiefern der Landespräventionsrat sich an der Handlungshilfe für Verdi beteiligt habe, sagte der Pressesprecher des Ministeriums, Ehsan Kangarani: „Der Landespräventionsrat war an der Erstellung der Handlungshilfe nicht beteiligt.“