© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Elektrische Träumereien
VW-Fabrik Dresden: Die Kanzlerlimousine Phaeton war ein Flop / Bringt ab April der e-Golf die Rettung?
Paul Leonhard

In Dresden wird im April die Gläserne Manufaktur am Großen Garten wieder richtig belebt. Vorerst im Ein-Schicht-Betrieb wird Volkswagen in seinem „Center of Future Mobility“ dn überarbeiteten e-Golf fertigen. Die Reichweite des „Wiedergutmachungsautos“ für den Dieselskandal soll laut EU-Norm (NEFZ) bei 300 Kilometer liegen. Schon im Kleingedruckten der VW-Werbung entpuppt sich dies aber als Fake News: „Die tatsächliche Reichweite weicht in der Praxis davon ab. Sie beträgt bei praxisüblicher Fahrweise im Jahresmittel circa 200 Kilometer.“ Und: sie sei abhängig von Fahrstil, Geschwindigkeit, dem Einsatz von Licht, Klimaanlage Heizung, Außentemperatur, Anzahl der Mitfahrer und Zuladung sowie Fahrprofil und Topographie.

Das erklärt, warum anfangs nur 35 Stück pro Tag die Manufaktur verlassen sollen, „perspektivisch“ aber 100. Gefördert via Umweltpräme von 4.000 Euro wurden von Juli 2016 bis Februar 2017 lediglich 7.107 Batterieelektrofahrzeuge – davon 241 e-Golf – in Deutschland angemeldet. Nach dem Flop des Phaeton – einst Dienstwagen von Kanzler Gerhard Schröder oder Landeshauptmann Jörg Haider –, dessen Fertigung vor einem Jahr eingestellt worden war, hatte das eigens für diese Prominenten-Limousine errichtete Gebäude als Ausstellungsort für Elektromobilität gedient. Jetzt erfolgt ein Neustart, in den VW rund 20 Millionen Euro investiert.

Der Elekto-Golf werde einen Teil seines Weges in der Fertigung in einer Elektrohängebahn zurücklegen, „die die Karosse mit riesigen Greifarmen aufnimmt und mittels Hub- und Drehvorrichtung in unterschiedlichste, ergonomisch optimale Montagepositionen bringt“, verrät die Automanufaktur. Den anderen Teil lege der e-Golf auf einem der Drehhubtische des Schuppenbandes zurück, das seinen Namen den schuppenförmigen Einzelteilen aus Parkett verdankt. Seit Januar wird die Praktikabilität der Arbeitsabläufe an Vorserienautos erprobt.

Wie das alles genau funktioniert, davon können sich Interessierte bald selbst ein Bild machen. Man werde die Kunden so dicht wie möglich an die Produktion herankommen lassen, verspricht Kai Siedlatzek von VW Sachsen: An der einen oder anderen Stelle sollen diese sogar selbst Hand anlegen können. Ein Besuch in der Gläsernen Fabrik werde mit der „einzigartigen Verknüpfung von Erlebnisfertigung eines Elektromodells, Fahrzeugauslieferung, Events und Elektroprobefahrten zu einem großen Kundenerlebnis“, freut sich auch Thomas Aehlig. Für den Dresdner Betriebsratschef dürfte entscheidend sein, daß perspektivisch 300 der einst rund 500 Manufaktur-Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze zurückerhalten.

Von einer „elektrischen Aufbruchstimmung“ bei VW kalauerte Siegfried Fiebig, Sprecher der Geschäftsführung von VW-Sachsen, bereits bei der Premiere des e-Golfs 2016. Die potentiellen Käufer sollen sich „elektrisieren lassen für alles, was hier schon möglich ist“, findet Entwicklungsvorstand Frank Welsch. Dresden werde für den VW-Konzern das „Zentrum für Zukunftsmobilität“. Ein Versprechen, das auch Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU), Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) und Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) unter Strom setzt.

Elektromobilität als neues VW-Markenzeichen?

Die Verwaltung werde umgehend ihren Fuhrpark auf E-Autos umrüsten. Man werde 250 Ladestationen aufbauen, 30 Parkstationen einrichten und zehn Fachstellen im Amt für Wirtschaftsförderung einrichten, er selbst vom Phaeton mit Chauffeur auf ein E-Auto als Dienstfahrzeug umsteigen, so Hilbert nach der Unterzeichnung einer Partnerschaft mit VW zur Förderung von Elektromobilität, Digitalisierung und innovativem Fuhrpark-Management, die Dresden zur Modellstadt machen soll. „Hier machen wir Elektromobilität zu unserem Markenzeichen“, so Welsch. 2025 sollen 25.000 E-Autos über die Straßen Dresdens stromern. Ein neues Kapitel der Automobilgeschichte sei aufgeschlagen worden, glaubt Tillich.

Wie dieses genau aussehen wird, ist unklar. Viel spricht dafür, das etwas gemogelt wird und die „Elektroquote“ mit Plug-in-Hybriden erfüllt wird: also Autos mit Verbrennungsmotor, die einige Kilomter batterieelektrisch fahren können. Dazu zählen der Golf GTE und der Passat GTE. Beide sollen mittelfristig in Sachsen montiert werden. Tillich verweist dabei gern auf das sächsische Know-how in den Bereichen Automobilbau, Elektrotechnik, Mikroelektronik und die innovativen Energien, die von den Universitäten und Forschungsinstituten im Freistaat ausgehen.

Dulig sieht Sachsen gar als „Mobilitätsland der Zukunft“, ist aber immerhin so vorsichtig gewesen, angesichts von 85.000 Arbeitsplätzen bei den sächsischen Automobilzulieferern, das Automobilzulieferernetzwerk AMZ und das Chemnitzer Automotiv Institut (Cati) zu bitten, die Auswirkungen der neuen Technologietrends zu analysieren und Handlungsempfehlungen zu geben.

Erstes Ergebnis ist ein Modellprojekt „Wertschöpfungsnetzwerk für die neue Generation Elektrofahrzeuge“. Dahinter verbirgt sich die Aufforderung an die Zulieferer, sich rechtzeitig auf die neuen Bedingungen einzustellen. Denn reine E-Autos kommen ohne Getriebe, Kupplung, Differential, hydraulische Bremsanlage, Vergaser, Einspritzpumpe, Kühler, Auspuffanlage, Öl-, Luft- und Kraftstofffilter aus. Auch eine Wartung ist viel seltener erforderlich. Die Lebensdauer der E-Autos sei mindestens doppelt so hoch wie die von Verbrennern.

Allerdings: Der e-Golf ist ab 35.900 Euro zu haben – der Benziner ab 17.850 Euro. Praxistauglich werden E-Autos erst dann, wenn die derzeit in den USA und Ostasien in Entwicklung befindlichen Akkus mit bis zu zehnfacher Kapazität und längerer Lebensdauer und viel kürzerer Ladezeit serienreif sind, schreibt Artur Seibt, früherer Entwicklungsleiter in der Elektroindustrie, in der Wiener Zeitung. Hat Seibt mit seiner Prognose recht, wäre zwar die Zukunft der Tankstellenbetreiber als Ladestationen gesichert, aber bei den Autozulieferern gingen Arbeitsplätze verloren. Eine Studie spricht von 7.200 bis 2025 in Sachsen. Gleichzeitig könnten 6.400 neue Jobs in den Bereichen Elektrik und Karosseriebau entstehen.

Die Gläserne Manufaktur Dresden:  www.glaesernemanufaktur.de





Automobilindustrie in Sachsen

Mit über 81.000 Beschäftigten erbringt die Autobranche über ein Viertel der sächsischen Industrieproduktion. Mit fünf Fahrzeug- und Motorenwerken von VW, Porsche und BMW sowie etwa 750 Autozulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern zählt der Freistaat inzwischen zu den deutschen Spitzenstandorten. Jeder zehnte „Made in Germany“-Pkw kommt derzeit aus Sachsen. Weniger erfolgreich war die „Gläserne Manufaktur“ von Volkswagen. Das lag allerdings nicht am touristenwirksamen Konzept, sondern am mangelnden Markterfolg der  VW-Oberklassenlimousine Phaeton. 2001 vom dem damaligen VW-Chef Ferdi-nand Piëch und Bundeskanzler Gerhard Schröder in Dresden feierlich vorgeführt, verließen das Fließband der „Gläsernen Manufaktur“ weniger Phaeton als erhofft, zuletzt wurden nur noch 4.000 Stück jährlich montiert. Mit dem vom „Dieselgate“ erzwungenen Sparkurs kam das Aus für das fünf Meter lange Stufenheckmodell, das letztlich chancenlos war gegen Audi A8, BMW 7er und die Mercedes-S-Klasse. Der letzte, im März 2016 gebaute Phaeton ging an einen Kunden in China.