© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Der dramatische Anstieg der Kopfschmerzgeplagten unter den Jüngeren muß sicher auf mehr als eine Ursache zurückgeführt werden. Als unterschätzter Faktor darf aber das permanente sinnfreie Starren auf kleine Bildschirme betrachtet werden. Ansonsten wäre zum Thema Streß und Belastung zu sagen, daß das Verknüpfen von Hätschelung und Überforderung notwendig seinen Preis hat, einen gesundheitlichen etwa.

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Nazi-Vergleich: „Der sowjetische Botschafter Julij Kwizinski hat im Bonner Kanzleramt förmlichen Protest gegen Helmut Kohls Newsweek- Vergleich des sowjetischen Parteichefs Michail Gorbatschow mit dem Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels erhoben und ‘ernsthafte Konsequenzen’ für die deutsch-sowjetischen Beziehungen angedroht. Kwizinski überreichte Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble am Donnerstag voriger Woche ein sogenanntes Nonpaper der Moskauer Regierung, eine informelle Art diplomatischen Protests.“ (Der Spiegel vom 3. November 1986)

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Nachdem die FAS uns als „rechtsnationale Reaktionäre“ bezeichnet hat, kommt man ins Grübeln: Was ist mit linksnationalen Reaktionären oder rechtsnationalen Progressiven, was mit rechtsreaktionären oder links-progressiven Vaterlandsverächtern?

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Alterspräsidenten des Bundestags: Als 1994 Stefan Heym, der als Parteiloser auf der Liste der PDS-SED gewählt worden war, dieses Amt übernahm, hatte man es mit einem Mann zu tun, der über den längsten Zeitraum seines Lebens ein politischer Extremist und dann eine Art privilegierter Halboppositioneller war, Nationalpreisträger der DDR, einflußreicher Denunziant des Volksaufstands gegen das Regime mit seinem Roman „Fünf Tage im Juni“, noch 1989 Unterzeichner eines Aufrufs gegen die Wiedervereinigung. Immerhin, die Unionsfraktion protestierte und spendete keinen Applaus (Ausnahme: Rita Süssmuth) nach Heyms Rede, aber es kam niemand auf die jämmerliche Idee, eine „Lex Heym“ auf den Weg zu bringen, um diesen Mann und seine dürftigen Worte zu verhindern.

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Migration A: Von den westlichen Medien unbemerkt oder unkommentiert hat in Saudi-Arabien eine Debatte über die große Zahl der Fremden im Land – mit fünf Millionen Menschen etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung, in der Masse unqualifizierte Arbeiter – begonnen. Im Konsultativrat des Königs wurde die Forderung laut, sie in den nächsten Jahren auszuweisen, da ein längerer Aufenthalt zu wachsendem internationalen Druck führen werde, sie im Land zu behalten. An der technischen Durchführbarkeit hat man offenbar keine Zweifel. Allein im vergangenen Februar haben die Behörden 22.000 Gastarbeiter, deren Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war, innerhalb von zwanzig Stunden abgeschoben.

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Migration B: John Kelly, Minister für Heimatschutz der Regierung Trump, hat erklärt, daß seit Beginn des Jahres die Zahl der illegalen Versuche, die Grenze der USA im Süden zu überwinden, um vierzig Prozent gesunken sei.

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Es bedurfte einer gewissen Zeit, bis klar wurde, daß der Soldat, der die sexuelle Belästigung durch seine Kameraden in der Gebirgsjägertruppe angezeigt hat, eine Frau ist. Aber dieser Aspekt der Verschleierung wiegt leicht, verglichen mit der Art und Weise, wie jetzt die ganze Debatte über „sexuelle Vielfalt“ in der Bundeswehr geführt wird. Deren Absurdität scheint so wenig aufzufallen wie ein Eisernes Kreuz in den Farben des schwulen Regenbogens. Wenn die Verhältnisse normale wären, müßte man folgende Sachverhalte nicht eigens feststellen: 1. Armeen sind zum Kriegführen da; 2. Krieg ist Männer­sache.

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Bildungsbericht in loser Folge CI: „Kürzlich erschien wieder einmal eine Armutsstudie mit einer jämmerlichen und jammernden Auflistung darüber, was den armen Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft verschlossen bleibt. Und daß Armut die Ursache von Bildungsabstinenz sei. War das in meiner Generation (Jahrgang 1943) genauso? Auf uns traf alles zu, was man heute als Ursache für den Bildungsnachteil armer Kinder und Jugendlicher annimmt: Die Kleidung im Winter war nicht passend, es gab zuwenig Zimmer in der Wohnung, ich schlief lange Jahre immer mit mehreren Menschen in einem Zimmer, die Eltern hatten kein Auto, sie konnten nicht mit mir in Urlaub fahren etc. Natürlich bin ich auch niemals mit meinen Eltern in ein Konzert oder eine Oper gegangen. (…) Armut ist kein Grund für geistiges Desinteresse – das lehrte die Nachkriegszeit. Der Argumentations-fehler dieser Armutsstudien ist, daß das intellektuelle und wissenschaftliche Interesse nicht durch den Besuch klein- und bildungsbürgerlicher Kulturveranstaltungen und durch spießige Lebensgestaltung erzeugt wird, sondern durch freies Spiel und radikale kognitive Anregungen.“ (Rainer Dollase, em. Professor für Pädagogik)

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 14. April in der JF-Ausgabe 16/17.