© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Rokoko mit arabischem Kolorit
Tendenziös: Aki Kaurismäkis Kinofilm „Die andere Seite der Hoffnung“
Sebastian Hennig

Die Kohorten außereuropäischer Eindringlinge sind das große Ereignis der jüngsten Zeit. Nach Aktualität gierende Theater- und Filmschaffende hängen sich naturgemäß als erste daran. Wohin man blickt, werken die Krisengewinner an ihren Dramaturgen-Karrieren. Die kalkulierten Verwerfungen im öffentlichen Leben der europäischen Völker werden begleitet durch eine Reihe von Dokumentar- und Spielfilmen. „Seefeuer“ (JF 31-32/16) erzählte von der unablässigen Okkupation der Insel Lampedusa. In „Willkommen bei den Hartmanns“ stiftet die empathielose Senta Berger moderne Bereicherungsmythen auf Lindenstraßen-Niveau.

Dabei geht die Ironie fast immer zu Lasten der eigentlichen Opfer dieser Veränderungen. In Diktaturen, die sich selbst nicht so wahrnehmen, ist es der seelischen Gesundheit zuträglich, den Humor zu behalten und auch einmal unvorschriftsmäßig zu lachen.

Das ist möglich bei Aki Kaurismäkis neuem Spielfilm. Dieser hat zwei Hauptpersonen, die als Glücksritter auf verschiedene Pferde setzen. Während der finnische Mann treibt, läßt sich der syrische Jüngling treiben. Mit vom Kohleruß geschwärzten Gesicht purzelt Khaled (Sherwan Haji) im Schüttgut aus der Baggerschaufel. Damit wird gleich zu Beginn deutlich, daß wir eine romantische Filmgeschichte geboten bekommen. Khaled ist ein smarter Bursche. Als levantinischer Geistesverwandter von Eichendorffs Taugenichts treibt er zwei Jahrhunderte später auf der Suche nach dem Glück nordwärts in die entgegengesetzte Richtung. Finnland ist ihm so vertraut wie dem Knaben aus der deutschen Provinz Wien und Rom. Und vergessen wir nicht, daß die Schloßruinen in des Romantikers Erzählwerk gleichfalls in einem Bürgerkrieg, nämlich dem grausigen Gemetzel nach 1789, gebrandschatzt wurden.

Wenn Wikström (Sakari Kuosmanen) seine Tätigkeit als Handelsvertreter für Hemden und Krawatten beendet, so geschieht das nicht ganz freiwillig. Er erkennt die Zeichen der Zeit und trachtet sich zu retten, indem er die Flucht nach vorn antritt. Nur einmal sehen wir seine Frau (Kaija Pakarinen) am heimischen Küchentisch sitzen, vor ihr ein mächtiges Exemplar jenes Kaktus, den der Volksmund Schwiegermutterstuhl nennt. Beleuchtung und Farben sind subtil aufeinander abgestimmt. Diese Schönheit hebt die Tristesse der Szenerie auf eine metaphorische Ebene.

Selbstbespiegelung im Fremden

Wikströms Frau mit den Lockenwicklern ist in diesem Augenblick eine wartende Penelope. Dem Zuschauer begegnet sie kein weiteres Mal. Ihr Schicksal könnte einen anderen Film erfüllen. Daß eine solche Ariadne ihren Theseus bei der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe gefunden hat, soll schon vorgekommen sein. Wikström und Khaled sind ewige Figuren wie Odysseus und Telemachos. Der Handelsvertreter erpokert sich mit seiner Berufserfahrung ein kleines Vermögen, von dem er eine Kaschemme mit zweieinhalb Angestellten erwirbt. Seine Nüchternheit verhilft ihm auch hier zu einem glimpflichen Abschluß, und in seinem Umgang mit den Anbefohlenen und den Gästen erweist sich die harte Menschlichkeit des Verantwortlichen. Als Ausgebeuteter in der Heringskneipe findet der untergetauchte Khaled einen guten Platz. 

Dem Werk des finnischen Kultregisseurs gelingt kein berührendes Drama, welches über die pure Selbstbespiegelung im Fremden hinausginge. Kaurismäki bekennt: „Ich gebe offen zu, daß ‘Die andere Seite der Hoffnung’ bis zu einem gewissen Grad das ist, was man unter einem tendenziösen Film versteht. Es ist ein Film, der ohne Skrupel die Ansichten und Meinungen seiner Zuschauer verändern will, indem er, um dieses Ziel zu erreichen, ihre Gefühle manipuliert.“ Der Regisseur ist also auch ein ästhetischer Krisengewinnler.

Das ist aber gar nicht schlimm. Denn gute Filme sind immer manipulierend. Weil wir das wissen, können wir sie sogar genießen, ohne uns daran zu vergiften. Das existentialistische Rokoko des finnischen Arthaus-Kinos wird von arabischem Kolorit bereichert, so wie Antoine Pesne auf seinen Gemälden den gepuderten Hoheiten um des reizvollen Kontrastes willen einen Mohrenknaben zugesellte. Was scheren einen Künstler die Gesellschaftsverhälnisse? Ihn interessieren die Lichtverhältnisse mehr und die Zwischentöne des gesprochenen Wortes. Die Dialoge des Films sind einfallsreich, die Musik sehr gut, und vor allem die delikate Fotografie ist auffällig.

Was Kaurismäki für ein Schalk ist, zeigt sich, wenn er eingesteht: „Ein solcher Versuch muß natürlich scheitern. Was aber, so hoffe ich, davon übrigbleiben wird, ist eine integre und etwas melancholische Geschichte, die der Humor vorwärtsträgt.“

Als die Finnen ihm mit ihrem freundlich verschlossenen Sarkasmus gegenübertreten, sagt Khaled mit entwaffnender Offenheit: „I don’t understand humor.“ Niemandem ist es bisher gelungen, die aktuelle Schere, die sich zwischen dem abendländischen und dem orientalischen Denken spreizt, so knapp und anschaulich zu verdeutlichen. 

Kinostart: 30. März  www.die-andere-seite-der-hoffnung.de