© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Alkohol, du böser Geist
Renaissance der Schnäpse: Alten Elixieren wird neues Leben eingehaucht
Bernd Rademacher

Im Zuge der breiten Begeisterung für handgemachte Bierspezialitäten privater Mikro-Brauereien hat der „Craft“-Trend den Spirituosenmarkt erobert. Ambitionierte unabhängige Destillerien experimentieren mit alten Schnaps-Rezepten und brennen Whisky & Co. von nebenan. 

Seit „regional“ das neue „bio“ ist, schießen allerorten Start-ups für geistige Getränke mit lokalem Bezug aus dem Boden: „Threeland Whisky“ vom Dreiländereck an der Mosel, „Black Forest“-Gin aus dem Schwarzwald und sogar Rum aus der Eifel – es gibt nichts, an das sich deutsche Brenner nicht herantrauen.

Im unterfränkischen Zeilitzheim bei Schweinfurt stellt das Familienweingut Mößlein einen 40prozentige Spargelgeist her, inklusive weißer Spargelspitze in der Flasche. Doch die Trendspirituose der Saison ist immer noch der Wacholder-Klassiker Gin, der seit einigen Jahren einen Comeback-Triumphzug durch die Hipster-Bars erlebt. In Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg fabrizieren die „Gin-Punks“ um Fabienne Lange den Wacholderschnaps „Elixier“ mit Retro-Anspielungen auf die 1920er Jahre im Etikett-Design. 

Die „Rheinland Distillers“ aus Bonn versichern, ihren „Siegfried-Gin“ ganz „ohne industrielle Hilfsmittel, künstliche Aromen oder Zusatzstoffe, mit Ruhe, Geduld und viel Liebe zum Detail in kleinen Einheiten“ herzustellen. Das hat natürlich seinen Preis: Ein Liter der Spezialität kostet 58 Euro. Dafür versprechen die Macher dem Genießer „Noten von Lavendel und Lindenblüte“, die auf „würzige Akkorde von Ingwer, Angelikawurzel und Kubebenpfeffer“ treffen. Na dann, Wohlsein!

Ebenfalls aus dem Rheinland, genauer aus Düsseldorf, kommt der traditionsreiche Likör „Killepitsch“, der bei jungen Konsumenten sein verstaubtes Opa-Image völlig verloren hat und als schwer angesagt gilt. Das Kräuter-Gebräu mit immerhin 42prozentigem Alkohol hat eine originelle Geschichte: Im Zweiten Weltkrieg saß der Likörfabrikant Willi Busch mit dem Mundartdichter Hans Müller-Schlösser (Schöpfer der Tragikomödie „Schneider Wibbel“) während eines Luftangriffs im Bunker. 

Der Legende nach soll Busch gesagt haben: Wenn sie uns nicht killen, dann braue ich ein ganz besonderes Schnäpschen, damit „pitschen“ (trinken) wir uns einen, und dann werde ich das Zeug „Killepitsch“ nennen! Genauso kam es. Ein anderer Exportschlager aus dem Rheinland hat zwar keine lange Tradition, aber schon zahlreiche Fans: Der tiefschwarze Lakritzlikör „Kettenfett“ mit dem salmiakartigen süßsalzigen Geschmack, der heftig polarisiert. Man liebt ihn oder kriegt ihn nicht herunter. Keine Frage: Die Gäste der Szenebars lieben ihn!

Während das Gin-Sortiment inzwischen schier unüberschaubar geworden ist, drängt sich der deutsche Rum spürbar auf die Getränkekarten. Die deutschen Erzeugnisse heißen trendig „Revolte“ (Saarland) oder „Szene“ (Weinstraße). 

Dabei verbindet man mit dem Schnaps aus Zuckermelasse eher karibisches Flair als die kalten Wälder der Eifel oder bayerische Gebirgstäler. Doch gemeinsam ist den idealistischen Herstellern, daß sie heimische Zutaten und Produktion ins Zentrum ihrer Werbeaussagen stellen: „von hier“ ist eine starke Marke! Ein Abwehrreflex auf die Globalisierung?

 Bier, Wein und Schnaps  getrunken wird immer

Deutsche Cocktailmixer sind sich übrigens sicher: Der nächste Retro-Trend wird der gute alte Wermut. Der mit Kräutern und Gewürzen bittersüß aromatisierte Wein-Sprit bietet ideale Kombinationsmöglichkeiten. 

Ein neues Betätigungsfeld für Freunde handgemachter Regional-Spezialitäten. Ob in dem Zuge auch der veraltete Begriff „Wermutbrüder“ wieder eine Renaissance erfährt?