© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Einfach rübergemacht
Paul Rosen

Aus der „Farm der Tiere“ von George Orwell stammt der Satz, alle Tiere seien gleich, aber einige etwas gleicher als andere. Zwar ist der Bundestag keine Farm, aber daß sich die Abgeordneten zahlreiche Privilegien angehäuft haben, wird regelmäßig vom Bund der Steuerzahler und Wissenschaftlern wie Hans Herbert von Arnim kritisiert. Hohe Diäten, steuerfreie Kostenpauschale, freie Nutzung von Bahn und eine exklusive Altersversorgung, von der Durchschnittsverdiener nur träumen können, sind die äußeren Symbole eines exklusiven Politikbetriebs. 

Natürlich profitieren nicht nur die Großen vom Privilegiensystem. Als 1999 der Umzug von Bonn nach Berlin anstand, wollten die Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordneten keinesfalls in die als schlechter geltende Ost-Rentenversicherung. Denn rentenrechtlich war und ist Deutschland immer noch geteilt. Wer im früheren Ost-Berlin oder in der Ex-DDR tätig ist, gehört zum Rechtskreis Ost, wer in West-Berlin oder in der alten Bundesrepublik tätig ist, zum Rechtskreis West. Im Osten gibt es für ein Jahr Arbeit mit Durchschnittsgehalt eine Rente von 28,66 Euro im Monat, im Westen 30,45 Euro. Im Jahr 2000 war das West-Ost-Gefälle größer: 24,84 Euro (West) und 21,61 Euro (Ost).

Das Problem war, daß ein Großteil der Liegenschaften des Bundestages im Osten Berlins liegt: Unter den Linden, in der Wilhelm- und Dorotheenstraße. Der Reichstag liegt im Westen. Im Bundestag fand man eine elegante Lösung, wie die Vorschriften umgangen werden konnten: Alle Beschäftigten von Fraktionen, Abgeordneten und die Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung wurden dem West-Beschäftigungsort Reichstag zugeteilt (obwohl sie dort alle zusammen kaum hineinpassen würden) und der Rentenversicherung so suggeriert, sie alle würden dort auch wirklich arbeiten. 

Jetzt gibt es Probleme, wie in einem Protokoll des Bundestags-Ältestenrats vom 9. März 2017 nachzulesen ist: Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bestätigt darin, daß von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg diese „bislang nie beanstandete Rechtsauffassung und Praxis nunmehr abgelehnt werde“. Als Grund für die Angabe der West-Adresse nannte Lammert, es sei „auf die Lage des Reichstages als zentrales Gebäude des Parlaments abgestellt“ worden. Das sehe der Rentenversicherungsträger nicht ein: Nach dessen „heutiger Auffassung“ sei allein die geographische Lage der jeweiligen Arbeitsstätten der Beschäftigten maßgeblich, „so daß erfolgte Meldungen sowie Beitragszahlungen zu überprüfen und gegebenenfalls rückabzuwickeln seien“. 

Auch die Rentenversicherung Berlin-Brandenburg bestätigt gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, daß die Arbeitsentgelte von der Bundestagsverwaltung „sozialversicherungsrechtlich einheitlich nach Westrecht behandelt (werden). Im Rahmen der zur Zeit stattfindenden Betriebsprüfung wird der Sachverhalt geklärt.“ 

Nun darf man gespannt sein, wie die Sache ausgeht. George Orwell hätte es gewußt.