© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Keine Ehre, wem Ehre gebührt
Gedenkpolitik: Der vor hundert Jahren gefallene deutsch-jüdische Jagdflieger und Pour-le-mérite-Träger Wilhelm Frankl ist nahezu in Vergessenheit geraten / Berlins Bürokratie verweigert sich privater Initiative
Christian Vollradt

Berlin ist arm, aber ... der Rest ist bekannt. Auf über 58 Milliarden Euro beläuft sich der Schuldenstand, da sollte gespart werden, wo es geht. Verzichten kann die Hauptstadt zum Beispiel auf ein weiteres Ehrengrab für einen Berliner, der – wie es in den Vorschriften heißt – „zu Lebzeiten hervorragende Leistungen mit engem Bezug zu Berlin erbracht oder sich durch ein überragendes Lebenswerk um die Stadt verdient gemacht“ hat. 

Genau darum hatte nämlich eine private Initiative den Senat ersucht: ein Ehrengrab für einen Träger der höchsten preußischen Tapferkeitsauszeichnung, der sein Leben im Ersten Weltkrieg im guten Glauben an Deutschland gab, der zu Lebzeiten Legende war – um während der nationalsozialistischen Diktatur totgeschwiegen zu werden, weil er Jude war: Wilhelm Frankl, Jagdflieger und Ritter des Ordens Pour le mérite, Traditionsträger der Bundeswehr und dennoch fast in Vergessenheit geraten. 

Und auch für das Land Berlin besteht kein Bedarf, mit höchstens 650 Euro im Jahr die Wiederherstellung des Grabes Frankls finanziell (und ideell) zu unterstützen. Formal vollkommen zu Recht, bürokratisch korrekt und exakt, wie es sonst mittlerweile selten zugeht in der Verwaltung der deutschen Hauptstadt. Denn, so teilt die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit, die Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben: „Als Ehrengrabstätten des Landes Berlin anerkannt werden können Grabstätten von Persönlichkeiten, die sich um Berlin in hervorragender Weise verdient gemacht haben und deren Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit fortlebt.“ Es könnten zudem nur bereits vorhandene, originale Grabstätten als Ehrengrabstätten anerkannt werden. „Die Grabstelle des Jagdfliegers Wilhelm Frankl besteht schon seit langem nicht mehr und soll jetzt wieder eingerichtet werden. Nach der o.g. Regelung besteht damit keine Möglichkeit der Anerkennung als Ehrengrabstätte des Landes Berlin.“

Das ist – wie erwähnt – formal richtig. Denn in der Tat wurde die Grabstelle Frankls auf dem Friedhof der Luisengemeinde in Berlin-Charlottenburg im Jahre 1951 aufgelöst. Aber nur eine Hälfte des ursprünglich als Doppelgrab angelegten Areals wurde neu genutzt. So daß man – mit etwas weniger Bürokratie und etwas mehr gutem Willen – sagen könnte: Unter dem jetzigen grünen Rasen ruhen noch immer die Gebeine des dort vor hundert Jahren im April 1917 beerdigten Fliegers. 

Dabei wäre der Beitrag des Landes Berlin zum Gedächtnis an Wilhelm Frankl ohnehin sehr bescheiden gewesen. Alles Wesentliche haben Privatleute längst in die Wege geleitet – und bezahlt. Vor zwei Jahren, im April 2015, entstand die Idee, für die sich rasch ein knappes Dutzend Luftfahrtenthusiasten aus Deutschland, Amerika, Schweden und Israel begeisterte. Mit Hilfe von Spenden und dank eines großzügigen Sponsors in den eigenen Reihen kauften sie einen 1,30 Meter hohen Syenit-Findling, der von einer Berliner Steinmetz-Firma mit Inschrift und einem eingelassenen Pour le mérite versehen wurde (siehe unten). Die Friedhofsverwaltung genehmigte die Aufstellung auf der (offiziell aufgelösten) Grabstelle. 

Damit verbunden war – wie bei einem ganz normalen Grab – ein Gebührenbescheid in Höhe von 1.200 Euro und eine Nutzungsdauer von 20 Jahren. Ein dauerhafter Bestandsschutz, wie ihn die Initiatoren erreichen wollten, wäre durch die Anerkennung als Ehrengrab gewährleistet worden. Doch selbst ein unterstützendes Schreiben des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, an Berlins Regierenden Bürgermeister fruchtete nichts. Im Mai 2016 ließ Michael Müller dem General mitteilen, daß die Sache aus den oben genannten Gründen abschlägig behandelt worden sei.

Noch keine 45 Jahre ist es her, da hatte im Juli 1973 der damalige Inspekteur der Luftwaffe Günther Rall an das Verteidigungsministerium geschrieben, daß mit der Verleihung des Ärmelbandes „Geschwader Mölders“ an das Jagdgeschwader 74 in Neuburg an der Donau, dessen Kasernenanlage künftig auf Initiative einer Gruppe von Feldwebeln „den Namen Wilhelm Frankl tragen soll. Damit würde der einzige, mit dem Pour-le-mérite ausgezeichnete Jagdflieger jüdischen Glaubens entsprechend geehrt.“ Der Traditionsname Mölders wurde 2005 vom seinerzeitigen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) eliminiert, die Wilhelm-Frankl-Kaserne blieb. Sie ist Standort des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74, das mit seinen Eurofightern den südlichen deutschen Luftraum sichert. 

Ohne die erhoffte                 öffentliche Unterstützung

Wer aber war der Namensgeber? Wilhelm Frankl wurde am 20. Dezember 1893 als jüngstes Kind einer bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie in Hamburg geboren. Nach dem Tod des Vaters zieht er mit der Mutter nach Charlottenburg. 1913 erwirbt er in Johannisthal bei Berlin bei der legendären Flugpionierin Melli Beese auf einer „Taube“ das Flugzeugführerpatent. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldet er sich sofort als Kriegsfreiwilliger, schon im Oktober 1914 kommt er mit der Feldfliegerabteilung 1 zum Einsatz an der Front. „Ich sah nie wieder so einen leidenschaftlichen Flieger“, meinte einer seiner Abteilungsführer. Bei der ersten Erwähnung im Heeresbericht vom 6. Mai 1916 heißt es: „Der Vizefeldwebel Wilhelm Frankl hat am 4. Mai einen englischen Doppeldecker abgeschossen und damit sein viertes feindliches Flugzeug außer Gefecht gesetzt. Seine Majestät der Kaiser hat seine Anerkennung für die Leistungen des Fliegers durch die Beförderung zum Offizier Ausdruck verliehen.“ Frankl war lange Zeit der erfolgreichste deutsche Kampfflieger. Nach seinem 9. Luftsieg im August 1916 erhält er den Pour-le-mérite – als einer der ersten der Fliegertruppe. Zwei Tage nach seinem 19. anerkannten Sieg fällt Leutnant der Reserve Frankl im Luftkampf bei Vitry-Sailly. 

Die Sterbeurkunde des Standesamtes Charlottenburg verzeichnet Frankl als „israelitischer“ Religionzugehörigkeit sowie als „ledig“. Anderen Quellen zufolge soll Frankl im März 1917 in Wien eine Enilda Ströll geheiratet haben und vermutlich vor der Hochzeit dort zum Christentum konvertiert sein. Beigesetzt wird er auf dem evangelischen Luisenfriedhof.

Mindestens 200 von etwa 5.000 deutschen Fliegern waren Juden. Über 50 (wahrscheinlich sogar mehr) sind gefallen, heißt es in einer Dokumentation des Bundesverteidigungsministeriums. Unabhängig davon, ob Frankl nun tatsächlich kurz vor seinem Tod getauft worden war oder nicht: In einem 1938 erschienenen Buch über die Pour-le-mérite-Flieger ist der Name Frankl zwar erwähnt, jedoch sind Lebenslauf und Würdigung seiner Leistungen weggelassen. Grund für dieses Verschweigen war, daß er jüdischer Abstammung war. 

Als die Luftwaffe Anfang der siebziger Jahre Frankl zum Traditionsträger erhob, fand dies ein sehr positives Echo in der jüdischen Gemeinde. So würdigte der Vorsitzende des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland, Werner Nachtmann, Frankl als „jungen Helden aus jüdischem Hause“, für den es „ganz selbstverständlich“ seine Pflicht gewesen sei, „daß er gemeinsam mit seinen Kameraden, mit seinen Mitbügern, für das Vaterland eintrat“.

Auch die privaten Initiatoren traten   2015 an die Berliner Jüdische Gemeinde in Sachen Frankl heran. Ihr Vorstoß blieb ohne jegliche Resonanz. Jörg Mückler, der in Berlin die Koordination für die lose verbundene Gruppe übernommen hat, ist die Enttäuschung über fehlende Unterstützung auch staatlicher und militärischer Stellen anzumerken. Da habe man sich mehr erhofft, das vergebliche Bitten sei schon zermürbend gewesen, sagt er der jungen freiheit. Aber nun weihen er und seine Mitstreiter den Gedenkstein auf Frankls Grab am Samstag, dem hundertsten Todestag des hochdekorierten Fliegers, im kleinen Kreise ein – ohne eine Abordnung der Bundeswehr, ohne (symbolische) Anerkennung als Ehrengrab Berlins. 

Dank ihnen erfährt der zu Unrecht in Vergessenheit geratene so wenigstens ein bißchen mehr Gerechtigkeit. Denn er ist für die Luftwaffe einer von nur vier Traditionsträgern aus dem Ersten Weltkrieg. Die Gräber der drei anderen – Manfred von Richthofen, Max Immelmann, Oswald Boelcke – existieren bis heute. Nun hat auch Wilhelm Frankl endlich wieder eine sichtbare letzte Ruhestätte.

Treffpunkt für Interessierte, die an der Einweihung des Gedenksteins für Wilhelm Frankl teilnehmen wollen: Samstag, 8. April 2017, 10.45 Uhr am Eingang Luisenfriedhof II, Berlin-Charlottenburg, Kaiserin-Elisabeth-Str. 46