© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Den Gläubigern den Sieg bescheren
Vor einhundert Jahren erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg: Propaganda und Lügen vernebeln bis heute die wahren Gründe
Helmut Roewer

Am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg. Das steht fest. Alles andere hingegen, wie die Gründe für diese Kriegserklärung und die hierzu gehörige Vorgeschichte, sind hinter einem dichten Gewebe aus Lügen verborgen – bis zum heutigen Tage.

Beginnen wir mit der offiziellen Version. Sie befindet sich in der Erklärung, die US-Präsident Woodrow Wilson (1913–1921) vor beiden Häusern des Kongresses abgab, um die Gesetzgebungskörperschaften zu dieser Kriegserklärung zu veranlassen. Hiernach war es so, daß die USA vom Deutschen Reich angegriffen worden seien und sich nunmehr zur Verteidigung ihrer Ehre und der Werte der freien Welt wehren müßten.

Das waren im Grunde genommen zwei Erklärungen in einem, und sie paßten nicht zusammen, denn entweder mußten sich die USA gegen einen akuten Angriff verteidigen, oder aber sie wollten in die Welt hinausziehen, um irgendwelche Werte zu schützen. Diese Diskrepanz wurde bereits 1917 bemerkt und angeprangert. Leute wie der Abgeordnete Charles Lindbergh senior (der Vater des später berühmten Ozeanfliegers) prangerten die Sentenzen des US-Präsidenten in Wort und Schrift an („Why is Your Country at War“). 

Alliierte Niederlage hätte die US-Kreditgeber ruiniert

Alsbald wurden seine Schriften aufgrund rasch erlassener Kriegszensurvorschriften beschlagnahmt und in öffentlicher Bücherverbrennung vernichtet. Auch Lindbergh war es aufgefallen, daß es keinen Angriff auf sein Land gab, dafür aber wirkmächtige wirtschaftliche Interessen, um sich in den im alten Europa wütenden Krieg einzumischen.

Als 1914 dieser Krieg in Europa ausbrach, steckten die USA in einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Rezession, die in der mutwilligen Bankenpanik von 1907 ihren Ausgang genommen hatte. Schnell erkannte Amerikas Besitzelite zwei Dinge. Erstens: Der Krieg war gut fürs Geschäft. Zweitens: Als Geschäftspartner kamen nur Großbritannien und seine Verbündeten in Betracht, denn die dominierende englische Hochseeflotte hatte durch die von ihr verhängte Blockade die Mittelmächte von jeglichem Überseehandel abgeschnitten.

Der US-Handel mit den alliierten Kriegsmächten lohnte sich. Im ersten Kriegsjahr machte der größte Munitionshersteller der USA, E.I. duPont, 4,6 Millionen US-Dollar Reingewinn, 1915 verzehnfachte sich der Gewinn auf über 52 Millionen, 1916 stieg er weiter und erreichte 82 Millionen. Millionen von Granaten aus der US-Produktion waren über den Atlantik verschifft worden, um an der Westfront deutsche Soldaten zu töten. In den USA wurde dies als gottgefällige Tat gepriesen, denn die großen Ostküstenzeitungen hatten sich längst angewöhnt, von den Deutschen als den blutrünstigen Hunnen zu sprechen und den deutschen Kaiser als ein welteroberndes Monster aufzubauen.

Das grandiose Kriegsgeschäft stand allerdings unter einer Bedingung: Die Alliierten mußten den Krieg gegen Deutschland gewinnen, sonst konnten sie die auf Pump in den USA eingekauften Kriegsgüter nicht bezahlen. Für diese Bezahlung waren Kredite aufgenommen und an die Regierungen aus Großbritannien, Frankreich und Rußland ausgereicht worden. Das Geld hierfür stammte aus dem amerikanischen Kapitalmarkt. Dort wurden die großen Dealer begreiflicherweise unruhig, als sich der als sicher prognostizierte Sieg im dritten Kriegsjahr nicht einstellen mochte.

Über die drohende Zahlungsunfähigkeit der Briten und Franzosen war man in New York im Bilde, denn als deren Finanzagent war in einer Doppelrolle der gleichzeitige unumschränkte Herrscher des US-Kapitalmarkts aufgetreten, J. P. Morgan jun. Er bestimmte die Höhe der alliierten Kredite, setzte die im Gegenzug zu verpfändenden Sicherheiten fest und regelte, wer von seinen amerikanischen Geschäftspartnern die Kriegsgüter produzierte und auslieferte. Morgan war klar, daß die Sicherheiten im dritten Kriegsjahr aufgebraucht waren. Das bedeutete, daß ein Kriegsende ohne einen umfassenden Sieg der Alliierten nicht nur bei denen ein finanzielles Desaster auslösen würde, sondern auch bei den amerikanischen Kreditgebern, die beträchtliche Teile ihres Kapitals in den Sand gesetzt haben würden.

Aus dieser existenzgefährdenden Situation die richtige Schlußfolgerung zu ziehen, fiel den Machern der Wall Street nicht schwer. Sie verlangten von US-Präsident Woodrow Wilson, den sie Anfang 1913 als ihren Mann ins Amt gehievt hatten, ultimativ den Einstieg der USA in den Krieg. Doch Wilson zögerte. Er tat dies mit gutem Grund, denn für Ende des Jahres 1916 standen Präsidentenwahlen an, die er erst einmal gewinnen mußte. Ihm war klar, daß die überwiegende Mehrheit der Amerikaner gegen den Kriegseintritt war, mochten die New York Times und deren Gesinnungsgenossen auch noch so die Trommel dafür rühren.

Während Wilson seinen ersten Wahlkampf 1912 mit dem lügnerischen Versprechen geführt und denkbar knapp gewonnen hatte, er werde die Banken domestizieren, war für solches Gerede jetzt kein Platz mehr. Eine neue Lüge mußte her. Sie wurde gefunden. Nunmehr trat Wilson mit dem festen Versprechen an, er werde sein Land aus dem schrecklichen Gemetzel in Europa heraushalten. Das wurde gerne geglaubt, und so wurde er wiedergewählt. Einen Monat nach seiner zweiten Amtseinführung erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg.

Um das schier unbegreifliche Umschwenken nachzuvollziehen, muß man einen Ausflug in ein gigantisches Propaganda-Manöver unternehmen. Es ist vielgliedrig, steht aber unter der einheitlichen Überschrift: Die Hunnen greifen die USA an. Die angeblichen Angriffe gegen die friedliebenden Amerikaner fanden auf drei Schlachtfeldern statt: 1. Anschläge gegen Wirtschaftseinrichtungen der USA, 2. der U-Bootkrieg auf den Meeren und 3. Angriffsbündnisse mit anderen Staaten, insbesondere mit Mexiko.

Die Anschlagsserie begann nach der amerikanischen Geschichtsschreibung im September 1914. Anschlagsziel war der Welland-Kanal, die nördliche Umgehungs-Wasserstraße der Niagara-Fälle. Wenn man den Vorfall untersucht, fallen drei Dinge auf: der Kanal liegt nicht in den USA, sondern in Kanada, das dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatte; der Anschlag fand überhaupt nicht statt, sondern bestenfalls skurrile Vorbereitungen; hierfür wurden in den USA einige Iren verurteilt. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man, wenn man alle anderen angeblichen Anschläge gegen das neutrale Amerika untersucht: Anschlagsort nicht in den USA oder keine deutschen Täter oder überhaupt kein Anschlag, sondern nur eine dieses behauptende Pressemeldung. 

Deutsche wurden der Sabotage bezichtigt

Lediglich zwei Großereignisse lassen sich in den USA als Tatsachen festmachen: die Explosion von Black Tom Island, wo vor den Toren von New York City im Juli 1916 ein riesiges Munitionslager vor der Verschiffung über den Atlantik aufgestapelt war, und im Januar 1917 die Vernichtung der Munitionsfabrik in Kingsland/New Jersey. In beiden Fällen wurde mit großem Aufwand eine deutsche Täterschaft behauptet, die indessen nie belegt werden konnte. 

Eine Auswertung deutscher, britischer, russischer und amerikanischer Geheimdienstakten legt einen anderen Verfahrensablauf nahe: Es war der britische Marinegeheimdienst NID, der durch seinen New Yorker Residenten, Captain Guy Gaunt, tschechische Kriminelle anwerben ließ, die das Allfällige dann erledigten, wobei die Täter darauf achteten, daß in beiden Fällen nicht die britische Krone zu Schaden kam, sondern das zu dieser Zeit noch verbündete zaristische Rußland, welches die in die Luft gejagte Munition bereits bezahlt hatte. Als besonders befremdlich mag man notieren, daß der amerikanische FBI-Vorläufer durch Abhörmaßnahmen über das Tun des britischen Anstifters Gaunt recht genau im Bilde war, aber nichts unternahm. Erst als die USA in den Krieg eingetreten waren, bat man Gaunt, das Land zu verlassen.

Wunderdinge sind auch über den U-Boot-Krieg in den Geschichtsbüchern zu lesen. Es wird der Eindruck erweckt, als hätte allein das Deutsche Reich diese tückische Waffe eingesetzt. Das ist unzutreffend. Englische U-Boote im Mittelmehr und in der Ostsee führten Handelskrieg gegen die Mittelmächte und standen den deutschen Angriffen in nichts nach. Abgesehen davon war der U-Boot-Handelskrieg eine nahezu unausweichliche Konsequenz, um den zwischen Großbritannien und den USA verabredeten Kriegsmaßnahmen wirksam zu begegnen. Als dann ab Anfang 1915 das Deutsche Reich sich Großbritannien anschloß, das bereits kurz nach Kriegsbeginn die Nordsee, den Kanal und die Irische See zum Kriegsgebiet erklärt hatte, um hier gegen jedermann nach Gutdünken Blockadekrieg zu führen, war die deutsche Reaktion für die Kriegführenden und vor allem für die angeblich neutralen USA ein Schock, denn der atlantische Handel wurde zum Risikogeschäft. Zehntausende Tonnen wertvoller Kriegsfracht kamen nicht ans Ziel, sondern verschwanden auf Nimmerwiedersehen im Ozean.

Die Briten frisierten das Zimmermann-Telegramm

Als Proteste wenig fruchteten, kamen US-Präsidentenberater Edward House und der britische Außenminister Edward Grey im Februar 1915 überein, daß es für eine Kriegseintrittsstimmung in den USA förderlich wäre, wenn amerikanische Staatsbürger bei einem U-Boot-Angriff ums Leben kämen. Ein solcher Zwischenfall ließ nicht lange auf sich warten, am 7. Mai 1915 versenkte ein deutsches U-Boot den britischen Ozean-Liner „Lusitania“ in der Irischen See. Unter den über 1.000 Ertrunkenen befanden sich 124 Amerikaner. Die Katastrophe war deswegen so fundamental, weil die „Lusitania“ nicht nur Passagiere, sondern in beträchtlichem Umfang Kriegsmunition gebunkert hatte, die nach dem Torpedotreffer explodierte und das Schiff in ein Sieb verwandelte, das innerhalb von Minuten sank.

Der anschließende weltweite Aufschrei war beträchtlich, doch er führte nicht zum erwünschten Kriegseintritt der USA. Das lag daran, daß das Deutsche Reich unter seinem damaligen Kanzler Theobald von Bethmann-Hollweg auf die Proteste durch Einschränkung des U-Boot-Kriegs in der Irischen See reagierte. Weitere sogenannte Zwischenfälle folgten, so der Untergang der französischen Kanalfähre „Sussex“ im Sommer 1916, bei dem angeblich vier US-Bürger den Tod fanden. Als fünfzig Jahre später amerikanische Marinehistoriker noch einmal nachzählten, sank die Zahl der Toten auf null. 

Der eigentliche Stein des Anstoßes hätte die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges zum 1. Februar 1917 werden können. Doch dazu kam es nicht, denn ehe die bereits eingeübten Empörungsrituale wieder aufgenommen werden konnten, kam ein anderes Ereignis dazwischen, das berühmt-berüchtigte Zimmermann-Telegramm. Inhaltlich handelte es sich hier um eine Eventualweisung des Auswärtigen Amtes an den deutschen Gesandten in Mexiko. Er solle für den Fall, daß die USA wegen des wiederaufgenommenen U-Boot-Krieges dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, bei der mexikanischen Regierung ein Kriegsbündnis anregen, wobei das Deutsche Reich nichts einzuwenden hätte, wenn Mexiko die Gelegenheit nutzen würde, um die in den 1840er Jahren durch die USA gewaltsam annektierten Gebiete Mexikos wieder zurückzugewinnen.

Dieses Anerbieten war ebenso wirklichkeitsfremd wie es schädlich war, denn britische Kabelzensoren hatten das Telegramm abgefangen und entziffert. Den amerikanischen Noch-nicht-Verbündeten reichten sie es zur Veröffentlichung weiter. Hierbei wurde die Sache um eine Kleinigkeit gekürzt. Aus der Eventualweisung wurde eine Weisung, Mexiko zu veranlassen, im Verein mit dem Deutschen Reich die friedliebenden USA anzugreifen. Der Aufschrei war der US-Presse war groß. Die folgende Kriegserklärung an das Deutsche Reich entschied den Ersten Weltkrieg.






Dr. Helmut Roewer war von 1994 bis 2000 Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz in Thüringen und ist Publizist. Sein jüngstes Buch „Unterwegs zur Weltherrschaft. Warum England den Ersten Weltkrieg auslöste und Amerika ihn gewann“ erschien 2016.

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