© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Der Flaneur
Mein „Chobby“
Bernd Rademacher

Zwischen Bahndamm und Bundesstraße hat die Kommune eine neue Schrebergartenkolonie ausgewiesen. Die neuen Pächter der Parzellen haben in den letzten Wochen schon eifrig ihre „Claims“ abgesteckt und Baumaterial herangefahren.

In wenigen Wochen wuchsen die wieder „hip“ gewordenen Holz- und Wellblechhütten aus dem Boden. Erste Zäune sind gezogen, erste Buchenhecken gepflanzt.

Soll ich ihn jetzt bei der Ordnungsbehörde anzeigen und ihm sein „Chobby“ vermiesen?

Ich drücke mich auf dem Trampelpfad am Bahndamm an den neuen Bretterbuden entlang. An einem der Verschläge steht die Tür auf. Drinnen gurren Dutzende Tauben. Ich bleibe neugierig stehen. Der Besitzer hat meine Anwesenheit schon bemerkt und schlurft näher. Ein älterer, ungepflegter Mann in speckigen Klamotten. Ich grüße freundlich und frage: Brieftauben?

„Usbekische Tauben“, antwortet er mit deutlich osteuropäischem Akzent. „Du kommen, ich chalte in Chand“, sagt er gleich begeistert und gastfreundlich. Er greift eine der Tauben und zeigt mir ihre auffallend befiederten Ständer. „Mein Chobby“, erklärt er. Die Tauben schlagen aufgeregt mit den Flügeln, der Boden aus Spanplatten ist voller Kot.

Ich erschrecke! Gleich hinter der Tür der Hütte steht ein alter Kaninchenstall, darin säugt ein riesiges Nutria-Weibchen zwei Junge. Sie zeigt mir ihre großen gelb-orangen Nagerzähne. Er erklärt: „Chabe iach finf Junge gefunden. Jetzt iach zichte. Chabe ich zwei neue bekommen.“ „Ißt du die?“, will ich wissen. „Ja, iach schlachte und esse. Aber Familie braucht neues Blut. Wocher bekommen? Iach geschaut Internet, aber keine Chanung.“ Wer hält schon Nutria-Männchen? Ich bin mir sicher, daß seine Käfighaltung illegale Tierquälerei ist. Aber soll ich ihn jetzt bei der Ordnungsbehörde anzeigen und ihm sein „Chobby“ vermiesen? Ich bin wirklich im Zwiespalt. Die Tiere tun mit leid. Aber weil er die Nager wirklich ißt, entscheide ich: Vergiß es.