© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

„Der Schauder der Hölle“
Ostern ist auch Zeit der Besinnung auf den Glauben. Der deutschstämmige Bischof Athanasius Schneider ist ein von konservativen Katholiken gern gehörter Prediger. Die Unbedingtheit seiner Worte wirkt für uns ungewohnt
Moritz Schwarz

Herr Bischof, fünfhundert Jahre Luther – auch für Katholiken ein Grund zu feiern? 

Athanasius Schneider: Falls man politisch oder ökumenisch korrekt sein will, ja. Ist man zu sich selbst aber ehrlich und intellektuell redlich, kann das für Katholiken kein Grund sein, zu feiern. 

Die katholische Kirche in Deutschland „ehrt“ Luther allerdings immerhin. 

Schneider: Ich würde es als Zynismus empfinden, etwas zu feiern, was dem Gebot Christi widerspricht, nämlich die Spaltung der Christenheit, die nun schon für fünfhundert Jahre erbarmungslos durch Familien, Dörfer, Städte und Völker läuft und die ursächlich und untrennbar mit Luther zusammenhängt. 

Am 13. Juli jährt sich Fatima zum hundertsten Mal. Müßte sich die katholische Kirche in Deutschland statt auf Luther nicht darauf konzentrieren?

Schneider: Über die offiziellen Feiern in Deutschland zum Fatima-Jubiläum bin ich nicht hinreichend informiert. Es hat aber große geistliche Bedeutung für die ganze katholische Kirche. Die Erscheinungen Mariens, die sich 1917 im portugiesischen Fatima ereigneten, können als herausragendes Beispiel der prophetischen Gaben des Heiligen Geistes betrachtet werden. Im Auftrag Gottes hat Maria ihre mütterlichen Warnrufe im Hinblick auf die geistigen Gefahren zu Beginn des 20. Jahrhunderts an die Menschheit gerichtet. Sie warnte etwa: „Wenn die Menschen sich nicht bekehren, wird Rußland seine Irrtümer auf der ganzen Welt verbreiten!“

Im Juli 1917 war Rußland allerdings noch nicht kommunistisch.

Schneider: Eben, ihre Worte waren prophetisch, und der Begriff „Rußland“ ist in diesem Zusammenhang als eine Art Codewort für ein atheistisches politisches System zu verstehen. Ihre Warnungen erwiesen sich aber auch sonst als prophetisch, in Anbetracht des unerhörten Zustandes des Unglaubens, des Atheismus und der Auflehnung gegen Gott und seine Gebote. All dies wurde im 20. Jahrhundert vor allem durch drei Diktaturen programmatisch betrieben: dem Freimaurerstaat im Mexiko der zwanziger Jahre, den Nationalsozialismus in Deutschland und den Kommunismus sowjetischer und maoistischer Prägung. Nun erleben wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts gleichsam eine globale Gottlosigkeit und die Lästerung der Gebote und der Schöpfungsordnung Gottes, welche wie in einem totalitären Staat durch die Politik allen Bereichen des öffentlichen Lebens aufgezwungen werden. Etwa durch die öffentliche Förderung der Genderideologie und der sexuellen Korruption. Wie prophetisch bleiben die Worte Mariens, die die Menschen zu Buße und Bekehrung mahnt und die in Fatima sagte, daß es die Sünde des Fleisches, die Unzucht, ist, welche die meisten Unbekehrten zu ewiger Verdammnis bringt. Maria ließ deshalb die drei Kinder, denen sie in Fatima erschienen war, auch den Schauder der Hölle sehen, um die Menschen zu warnen.

Viele konservative Katholiken in Deutschland sind heute schwer enttäuscht von ihrer Kirche, in der sie solche Deutungen kaum noch unvoreingenommen finden.

Schneider: Die Kirche in Deutschland ist materiell eine der reichsten Ortskirchen der Welt. Sie hat große finanzielle, organisatorische und bürokratische Stärke. Sie hat aber ihre wesenseigene Stärke verloren, nämlich die geistige Kraft des Glaubens. Denn diese ist imstande, wie Sauerteig in der Gesellschaft zu wirken, sie so näher zu Gott, zu Christus zu bringen, sie sittlich und kulturell zu heben. Es muß der Kirche eigen sein, gegen Diktatur und Totalitarismus Widerstand zu leisten. Die deutsche Kirche hat hierin eine ruhmvolle Vergangenheit – in der Zeit des Kulturkampfes, später des Dritten Reichs. Heute aber erlebt Deutschland gleichsam ein „Viertes Reich“ des Gendertotalitarismus und der parteilichen Berichterstattung seiner öffentlichen Medien. Dabei ist die katholische Kirche in Deutschland in ihren offiziellen Vertretern weitgehend gleichsam eine Mitläuferin der öffentlichen Meinungsdiktatur geworden. Die Kirche in Deutschland muß sich wieder auf eine ihrer wesentlichen Aufgaben besinnen: kompromißlos und prophetisch Zeugnis abzulegen, ohne auf Lob oder Tadel zu achten – gemäß dem Wahlspruch des seligen Kardinals Clemens Graf von Galen, des „Löwen von Münster“: „Nec laudibus, nec timore“ (Weder Lob will ich, noch Tadel). Ein paar „Löwen von Münster“ würden der deutschen Kirche heute dringend not tun!

Sie warnen, die Kirche sei in der vierten Krise seit ihrem Bestehen. Welche ist das?  

Schneider: Die erste große Krise war die sogenannte arianische Krise im 4. Jahrhundert. Der Priester Arius verkündete eine neue Lehre, die die Kernwahrheit des Christentums, die Wahrheit über den dreieinigen Gott, durch sophistische Dialektik aufzuheben versuchte. Arius wollte das Christentum dem Geist der Welt anpassen, es der Welt öffnen. Also ein „weltoffenes“ Christentum schaffen, wobei er durch die Leugnung der wahren Gottheit des Sohnes und des Heiligen Geistes das Christentum den Juden, Heiden und der damals herrschenden Philosophie des Mittelplatonismus sympathisch zu machen strebte. Die zweite große Krise war das Saeculum obscurum – das „dunkle Jahrhundert“ –, die Epoche von 882 bis 1046, als der Päpstliche Stuhl seine tiefste Erniedrigung erfuhr. Er geriet in die Fänge mafiöser Familien, welche ihre oft unreligiösen und sittenlosen Söhne zu Päpsten machten. Selbst die offizielle Papstchronik Liber pontificalis vermerkt über einen dieser Päpste: „Er lebte in Eitelkeiten und Unzucht.“ Die dritte große Krise war das bekannte „Große Abendländische Schisma“ von 1378 bis 1417 als Folge des Avignoner Exils der Päpste. Damals gab es zwei, ja drei Päpste gleichzeitig. Die Frage der Anerkennung des „richtigen“ Papstes spaltete Familien, Klöster, Bischöfe, Nationen und selbst Heilige untereinander. So erkannte etwa der heilige Vinzenz Ferrer den Papst von Avignon an, die heilige Katharina von Siena dagegen den Papst von Rom. Von dieser dritten Krise hat sich die Kirche letztlich nicht erholt, so daß sie ihre Fortsetzung in der Krise der Renaissancepäpste fand, was dann den äußeren Anlaß – nicht die Ursache – zur Reformation Martin Luthers gab.

Welches aber ist nun die vierte Krise, vor der Sie heute warnen? 

Schneider: Sie hat ihren entfernten Ursprung im Modernismus zu Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Dieser suchte den katholischen Glauben dem herrschenden philosophischen Denken der Zeit anzupassen, das durch radikalen Rationalismus und Relativismus geprägt ist. Hauptthese des Modernismus ist, daß die Lehren Christi und der Kirche keinen bleibenden Sinn haben, sondern dem Stand der Philosophie und kulturellen Empfinden angepaßt werden müssen. So daß Wahrheiten, Gebote, kirchliche Praxis auch das Gegenteil von dem bedeuten können, was sie in früheren Zeiten waren. Das Kriterium der Wahrheit ist dabei das naturalistische, zeitabhängige menschliche Urteil.

Sie nennen dies den Wechsel vom christozentrischen zum anthropozentrischen Weltbild. Wie konnte es in der Kirche dazu kommen? 

Schneider: Der Modernismus ersetzte die Autorität des sich offenbarenden Gottes in Christus durch Urteil und Willen des rein natürlich denkenden Menschen. Der Christozentrismus, der allein den Menschen wahrhaft erleuchtet und rettet, wich dabei dem Egoismus des Menschen. Diese Idee konnte sich durchsetzen, weil sie sich Priester und Theologieprofessoren angeeignet hatten. Tragischerweise wurden einige von ihnen sogar Bischöfe und Kardinäle. Papst Pius X. konnte diese Infiltration zeitweilig unterbinden. Danach nahm die Wachsamkeit in der Kirche allerdings immer mehr ab. Die „getarnten“ und halb-öffentlichen Modernisten erhielten unmittelbar vor und vor allem während des Zweiten Vatikanischen Konzils so viel Einfluß, daß es ihnen gelang, durch zweideutige Formulierungen der Konzilstexte und durch spätere, einseitig betriebene Reformen ihre anthropozentrischen und naturalistischen Theorien zur Geltung zu bringen.

Und heute? 

Schneider: Nach fünfzig Jahren Anthropozentrismus und Naturalismus ist die Kirche in einer enormen globalen Krise, welche die des vierten Jahrhunderts in gewisser Weise noch übertrifft. Als Gläubige müssen wir aber daran festhalten, daß Christus Herrschaft über seine Kirche hat und sie auch aus dieser Krise herausführen wird – wie er das immer in der Geschichte getan hat.

Sie waren auch mit den Verhandlungen des Vatikans zur Wiedereingliederung der ehemals exkommunizierten Piusbruderschaft in die katholische Kirche befaßt. Wann wird es tatsächlich zu dieser kommen?  

Schneider: Ich war einer der vier Bischöfe, die der Heilige Stuhl 2015 mit der Visitation und theologischen Gesprächen mit der Piusbruderschaft betraut hat. Diese hat denselben Glauben, dieselbe Liturgie, dieselbe pastorale Methode, wie sie von der Kirche über Jahrhunderte streng eingefordert worden sind. Sie tut und glaubt also dasselbe, wie unsere Eltern und Großeltern – und das kann ja nicht auf einmal falsch oder gefährlich sein. Das zweite Vatikanum und die Konzilspäpste hoben immer wieder hervor, Hauptziel des Konzils sei eine neue Pastoral, also Seelsorge, und nicht eine neue Glaubenslehre. Das entscheidende Problem in Hinsicht der Wiedereingliederung der Piusbrüder ist nach meiner Kenntnis das Zugeständnis an diese, kritische Anfragen stellen und Korrekturvorschläge bezüglich des neuen Meßritus und einiger „moderner“ Aussagen des Konzils machen zu dürfen. Ferner muß sie die Garantie erhalten, ihre Identität bewahren zu dürfen. Es ist zu hoffen, daß Papst Franz ohne weiteren Aufschub eine großherzige Lösung des Problems ermöglicht.

Auch in Sachen Familienpolitik sind Sie weltweit eine der engagiertesten Stimmen der Kirche, etwa auf der Familiensynode 2016. Sie haben diesbezüglich durchaus harsche Kritik am Kurs des Vatikans geübt. Was macht der Vatikan da falsch? 

Schneider: Es geht konkret um die Unauflöslichkeit der Ehe, die Gott geschaffen und die Christus zur sakramentalen Würde erhoben hat. Das päpstliche Schreiben „Amoris laetitia“ von 2016 enthält leider zweideutige Aussagen. So können Katholiken, die geschieden und mit neuem Partner „wiederverheiratet“ sind, zum Empfang der Heiligen Kommunion zugelassen werden. Das aber kommt für jeden denkenden Menschen de facto einer Anerkennung der Ehescheidung gleich. Was schwer unmoralisch ist, denn dies widerspricht direkt dem Gebot Gottes. Das Scheidungsverbot ist nicht in erster Linie eine rechtliche Norm, sondern ein göttliches Gebot! Ein göttliches Gebot aufzuheben – direkt oder indirekt –, dazu aber hat die Kirche keine Befugnis. Sie muß göttliche Gebote in unzweideutiger Weise aufrechterhalten und verteidigen und mit den Worten Johannes des Täufers dem Ehebrecher sagen: „Es ist dir nicht erlaubt!“ Diese Worte sind eindeutige, heilsame Warnrufe der besorgten Mutter Kirche – denn keine Mutter würde ihr Kind mit nur zweideutigen Worten vor einer Gefahr warnen. Bei der Annahme und Befolgung der Gebote Gottes geht es letztlich um Leben und Tod. In solch einer ernsten, das ewige Schicksal des Menschen berührenden Angelegenheit dürfen sich Papst und Bischöfe keine Zweideutigkeiten erlauben. 

Die Stärke des Christentums liegt bekanntlich im Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi. Wie also müßten wir Ostern, das heute in Deutschland eher ein Frühlingsfest ist, tatsächlich wieder verstehen?

Schneider: In der Tat besteht das Wesen des Christentums im Glauben an die wahre körperliche Auferstehung des gekreuzigten Christus, der sein Blut für die Vergebung und für das ewige Heil aller Menschen vergossen hat. Eine Legende berichtet, daß Satan eines Tages einem heiligen Mann erschien und sagte: „Ich bin Christus!“ Der Mann Gottes brachte ihn in Verwirrung, indem er fragte: „Wo sind dann die Male der Nägel?“ Der auferstandene Christus trägt an seinem Leib das Andenken an sein Erlösungsopfer. Ohne den wahren Glauben an die Auferstehung wird kein Christ die Kraft haben, seinem Glauben auch in schwierigen Lebenslagen treu zu bleiben. Diese Begebenheit aus der Zeit der kommunistischen Glaubensverfolgung in Rußland möge die Christen von heute ermutigen und ihren Glauben an den auferstandenen Herrn stärken: Zu Ostern befahl ein kommunistischer Parteivorsteher allen Männern eines Dorfes, sich im Parteigebäude zu versammeln. Er hielt ihnen einen Vortrag, in dem er Christus leugnete und seine Auferstehung der Lächerlichkeit preisgab. Nachdem der Parteibonze geendet hatte, wollte er wissen, ob noch jemand eine Frage habe. Ein alter Mann erhob sich und rief: „Christus ist erstanden!“ Worauf alle aufstanden und wie mit einer Stimme kraftvoll antworteten: „Er ist wahrhaft auferstanden!“ Der Saal dröhnte von dem Bekenntnisruf, und der Bonze mußte enttäuscht die Erfolglosigkeit seiner Propagandakünste feststellen. Mögen auch im Westen die an die Auferstehung Christi noch Glaubenden einander zu Ostern mit diesem im Osten üblichen Bekenntnisruf begrüßen: „Christus ist erstanden! – Er ist wahrhaft auferstanden!“ 






Dr. Athanasius Schneider, ist Weihbischof im Erzbistum der Allerheiligsten Jungfrau Maria zu Astana in Kasachstan. Der Sohn einer deutschen Familie, die die Sowjets nach 1945 verschleppten, wurde 1961 im zentralasiatischen Kirgisien geboren. 1973 konnte er nach Deutschland ausreisen, trat dem Orden der Regularkanoniker vom Heiligen Kreuz bei, der zum katholischen Engelwerk gehört, studierte Theologie und Philosophie in Brasilien und Patristik in Rom. 2006 weihte Papst Benedikt XVI. ihn zum Bischof. Zuletzt veröffentlichte er das Buch: „Corpus Christi. Gedanken über die heilige Kommunion und die Erneuerung der Kirche“ (2014)

Foto: Hochamt im Kölner Dom: „Die Kirche in Deutschland ist materiell eine der reichsten der Welt. Sie hat aber ihre wesenseigene Stärke verloren, nämlich die geistige Kraft ihres Glaubens.“

 

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