© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Die neue Ordnungsmacht in der Mark
Vor 600 Jahren traten die Hohenzollern mit Kurfürst Friedrich I. in die brandenburgische Geschichte ein
Jan von Flocken

Am frühen Morgen des 18. April 1417, einem sonnigen Frühlingstag, ritten zwei Bannerträger durch die Straßen der Stadt Konstanz am Bodensee. Die fränkischen Grafen Albrecht von Hohenlohe und Hans von Lupfen trugen die Fahne von Brandenburg mit dem roten Adler, der seit 1156 das Wappentier der Mark darstellte, sowie den aufsteigenden schwarzen Löwen auf Gold der Burggrafschaft Nürnberg.

Begleitet wurden die beiden Bannerträger von einer großen Schar an Rittern, Kriegsknechten und Musikanten. Nachdem sie dreimal durch die Stadt geritten waren, holten sie gegen 8 Uhr früh den Kurfürsten Friedrich I. aus dessen Quartier am Fischmarkt ab. In feierlichem Zug wurde er nach dem Oberen Markt geleitet, wo vor der Wohnung des römisch-deutschen Königs Sigmund, dem „Hohen Hafen“, eine prunkvoll geschmückte Tribüne errichtet war. Auf ihr stand ein vergoldeter Armsessel, seine Kissen mit hochblauem Samt bezogen. Dieser Thron war umgeben von zahlreichen weltlichen und geistlichen Würdenträgern, an ihrer Spitze der Kurfürst von Sachsen und der Pfalzgraf bei Rhein.

Der Konstanzer Bürger Ulrich von Richenthal führte ein detailliertes Tagebuch über die äußeren Umstände des berühmten Kirchenkonzils. In seinem Rahmen erfolgte auch die Standeserhöhung des Hohenzollern, der ursprünglich als Friedrich VI. nur die bescheidene Würde eines Burggrafen von Nürnberg bekleidet hatte. Als König Sigmund aus dem Geschlecht der Luxemburger in seinem goldenen Gewand den Thronsessel bestiegen hatte, berichtet Richenthal: „Danach ward großes Stillschweigen geboten. Während des Schweigens rief man Burggraf Friedrich auf. Der stieg von seinem Roß und trat vor den König. Neben ihm trug man die zwei Banner. Als er hinaufkam und vor dem König niederkniete, nahm er jegliches Banner in seine Hand.“

Der Hohenzoller als Lebensretter des Kaisers

Danach verlas der königliche Kanzler, Bischof Georg von Passau, die Deklaration über Rechte und Pflichten eines Kurfürsten. Anschließend richtete Sigmund an Friedrich die Frage: „Herr Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches, lieber Oheim, wollt Ihr das beschwören?“ Friedrich entgegnete: „Mächtiger König, gern.“ Sodann verlas der Kanzler laut und vernehmlich die für Brandenburg und die Hohenzollern so bedeutsame Urkunde, wonach dem 46jährigen Friedrich I. „das Kurfürstentum, die Mark zu Brandenburg, mit der dazu gehörenden Kur und sonst mit allen und jeden Herrlichkeiten, Würden und Ehren heute gnädiglich verliehen wird im Namen der Heiligen Dreifaltigkeit“.

Diese Zeremonie besiegelte in feierlicher und öffentlicher Form ein Dekret vom 30. April 1415. Damals war auf dem Konzil von Konstanz der Hohenzoller zu einem der sieben Kurfürsten des Reiches ernannt worden, denen allein das Privileg der deutschen Königswahl zustand. Diese Standeserhöhung war das Resultat großer persönlicher Verdienste Friedrichs. Während der Türkenschlacht bei Nikopolis 1396 hatte er Seite an Seite mit Sigmund gekämpft und ihm in höchster Gefahr das Leben gerettet. Seither bestand zwischen beiden eine halb freundschaftliche, halb politische Allianz. Es war Friedrichs Initiative zu verdanken, als Sigmund 1410 die deutsche Königskrone erlangen konnte.

Ein Jahr später wurde der Hohenzoller zum Landeshauptmann (Statthalter) der Mark Brandenburg ernannt, und er bereitete sich monatelang gründlich auf sein gefährliches Amt vor. Denn Brandenburg galt damals als wüster Hort von Räubern und Dieben. Nach dem Aussterben der einheimischen Fürstendynastie der Askanier Anfang des 14. Jahrhunderts fiel das Territorium an den Kaiser zurück, der es von Statthaltern regieren ließ. Mit diesen nicht aus Brandenburg stammenden Herren machten die Märker üble Erfahrungen. Ihr Land wurde mit Steuern schwer belastet, ohne daß sich diese Verweser (die man höhnisch „Verwüster“ nannte) um Rechtssicherheit oder wirtschaftliches Wohlergehen im Lande scherten.

Als Gegengewicht zu den kaiserlichen Verwaltern etablierten sich etliche selbstbewußte Rittersippen, an deren Spitze die Quitzows standen. Diese Familie aus der Prignitz riß skrupellos die entscheidenden strategischen Burganlagen an sich. Wie ein politisierender Mafia-Clan trieben sie ihre Geschäfte und machten sich bei der Bevölkerung in Stadt und Land durch Schutzgelderpressungen und dreiste Raubüberfälle ebenso unbeliebt wie gefürchtet. Den neuen Statthalter aus Süddeutschland bedachten diese Ritter mit offenem Hohn. „Und wenn es ein Jahr lang Nürnberger regnete, so sollen sie doch in der Mark nicht aufkommen“, ließ etwa Dietrich von Quitzow verlauten. Der Hohenzoller wurde als „Spielzeug von Nürnberg“ verlacht.

Die Belehnung nach dem Sieg über die Raubritter

Es gab also gute Gründe dafür, daß Friedrich im Sommer 1412 mit bewaffneter Macht nach Brandenburg zog. An der Grenze empfing man ihn mit Steinwürfen. Seine erste Bewährungsprobe bestand er bei der Abwehr einer Invasion der Pommernherzöge in der Schlacht am Kremmer Damm (24. Oktober 1412). Damit wuchs sein Prestige ebenso wie durch seine leutselige Art. Während mehrerer Huldigungsreisen durch die Alt- und Mittelmark erließ er den Städten drückende Steuerlasten. Zwar waren seine Kassen notorisch leer, aber wichtiger als finanzielle Einnahmen schien ihm das Vertrauen der noch skeptischen Märker. Mit zäher Überzeugungsarbeit gewann Friedrich die Unterstützung vieler Städte. Er unterhandelte persönlich in Potsdam, Beelitz, Müncheberg, Treuenbrietzen, Stendal, Salzwedel, Bernau, Eberswalde, Perleberg, Tangermünde und Havelberg, wobei er verkündete, es solle künftig „das Recht gestärket und das Unrecht gekränkt“ werden. Bei allzu großer Widersetzlichkeit, wie sie etwa im Juli 1412 die Honoratioren von Berlin-Cölln zeigten, ließ der Burggraf seine bewaffnete Gefolgschaft vor den Stadtmauern aufmarschieren, was genügte, um die Ratsherren verhandlungsbereit zu stimmen.

Der nächste Erfolg stellte sich im Herbst 1412 ein: Große Teile des mittelmärkischen und havelländischen Adels sprachen sich für Friedrichs Herrschaft aus. Darunter befanden sich so einflußreiche Geschlechter wie die Arnims, Retzows, Ribbecks, Lindows, von der Groebens und Schlabrendorfs. Da der 41jährige Burggraf in kaiserlichen Diensten schon lange als gewiefter Diplomat verhandelte, fiel es ihm nicht schwer, auch mit auswärtigen Fürsten ein Bündnis gegen die Quitzows zu schmieden. Vor allem dem mächtigen Erzbischof von Magdeburg fiel hierbei eine Schlüsselrolle zu.

Ende 1413 stand die Allianz, und nun bewies Friedrich auch seine Talente als Feldherr. In einer für das Mittelalter beispiellosen militärischen Blitzaktion ließ er im Februar/März 1414 sämtliche zentralen Stützpunkte seiner Gegner – die Burgen Friesack, Plaue, Golzow und Beuthen an der Nuthe –gleichzeitig belagern. Dabei setzte er eine bis dato kaum bekannte Waffe ein: Kanonen. Vor der Wucht seiner schweren Artillerie, an deren Spitze ein drei Meter langes Ungetüm namens „Faule Grete“ stand, kapitulierten die Festungen innerhalb von nur vier Wochen. Die adligen Widersacher Friedrichs mußten sich unterwerfen, wobei er viele von ihnen sehr maßvoll behandelte und sich damit weitere Verbündete sicherte. Nur die männlichen Mitglieder der Quitzow-Familie verschwanden im Kerker oder wurden ins Exil gezwungen.

Auf dem Landtag zu Tangermünde huldigten die brandenburgischen Stände Friedrich am 20. März 1414 als unbestrittenem Herrn der Mark. Und so blieb König Sigmund nichts anderes übrig, als den Sieger über die Raubritter 1415 zum erblichen Kurfürsten und Markgrafen von Brandenburg zu ernennen – eine Belehnung, die 1417 vor dem Konzil zu Konstanz feierlich vollzogen und bekräftigt wurde. Damit begann die mehr als 500 Jahre währende Herrschaft der Hohenzollern, die später Könige von Preußen und Deutsche Kaiser wurden.

Das denkwürdige Ereignis von 1417 endete laut Ulrich von Richenthal so: „Und es posaunten alle Posauner und pfiffen alle Pfeifer, und darauf ritt jeder heim.“ Freilich mußte Friedrich auf seine neue Würde noch für mehr als 2.000 Gäste, voran König Sigmund, am Abend in den Konstanzer Ratsstuben ein großes und höchst kostspieliges Bankett ausrichten.