© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Pankraz,
die halbe Gesundheit und die Investoren

Der Börsenknaller der vergangenen Osterwoche hieß „Sana“. Die Investoren stürzten sich geradezu auf die Sana-Aktie und trieben sie hoch bis an die Milliardengrenze. Dabei handelt es sich um ein durchaus unspektakuläres, quasi mittelständisches deutsches Unternehmen zur Herstellung von Arzneimitteln, den großen Pharmakonzernen in jedem Belang bisher weit unterlegen. Neuerdings lieferte es aber exorbitant steigende Umsatzzahlen und machte sich dadurch für die Börse interessant. Noch ist kein Ende des Booms abzusehen.

Die Pointe dabei: Das betreffende Unternehmen gehört zur Truppe der sogenannten „Nachahmefirmen“, wie der Name tatsächlich heißt und wie es sie in den USA, in Israel oder in den Niederlanden schon seit längerem gibt. Nachahmefirma, das heißt: Man produziert von sich aus keine neuartigen, besseren, „noch wirksameren“ Medikamente „ohne jegliche riskanten Nebenwirkungen“, sondern man ahmt die Produkte der großen Konzerne, soweit es das Patentrecht erlaubt, einfach direkt nach, läßt dabei aber „diesen oder jenen Schnickschnack“ weg und verbilligt so das eigene Erzeugnis um ein Erhebliches. 

Viele Statistiken belegen inzwischen den fulminanten Erfolg der Nachahmefirmen in der Gesundheitsindustrie. Besonders in den „Schwellenländern“ und in ausgewiesenen Armutszonen der „Dritten Welt“ werden die Nachahmeprodukte mittlerweile mehr gekauft als die Originalprodukte mit den berühmten Firmennamen. Und die vielen wissenschaftlichen beziehungsweise journalistischen Gesundheitsspezialisten in den Medien, mehrheitlich ohnehin erklärte Gegner der angeblich „brutal kapitalistisch“ operierenden Markenkonzerne, registrieren es mit Genugtuung.


Sie haben, findet Pankraz, auch mancherlei ernsthafte Argumente für sich. Wie für alle Industrien gibt es ja auch für die Gesundheitsindustrie einen freien Markt, auf dem es sich zu bewähren gilt und auf dem man nur wirklich gute (und möglichst preiswerte) Produkte anbieten muß, um dauerhaft Erfolg zu haben. Die meisten Patienten kaufen ihre Arzneien auf ärztlichen Rat hin oder mit ärztlichem Rezept, und wahrhaftig nicht alle Ärzte sind – den Auskünften medizinpolitischer Journaille zum Trotz – bestechlich oder stehen vorab im Dienst der Industrie.

Auch sollte man sich klarmachen, daß die Nachahmung nicht unbedingt ein verächtliches oder gar kriminelles Geschäft ist. Die Chinesen sagen sogar ganz allgemein, daß es nicht der ursprüngliche Erfinder einer guten Sache, sondern sein Nachahmer ist, der die Gesellschaft voranbringt. Erfunden wird – zumindest in unseren modernen Tagen – nicht im sprichwörtlichen stillen Kämmerlein, sondern im wissenschaftlich-technischen Laboratorium und in hitziger Expertendiskussion. Jede Erfindung muß praktisch erarbeitet und immer wieder ausprobiert werden, muß sich allen möglichen Falsifizierungsversuchen aussetzen.

Höchst auffällig, daß noch nie ein technischer Erfinder einen Physik- oder Chemie-Nobelpreis erhalten hat. Die gingen statt dessen an Entdecker bereits bestehender Konstellationen, wobei freilich der sozial-praktische Nutzen der jeweiligen Entdeckung immer seltener ins Kalkül der Preisverleiher geriet. Zur Zeit werden in der Regel Entdeckungen von subatomaren Teilchen prämiert, die bereits nach einer Millionstelsekunde nach ihrem Auftritt in der Nebelkammer wieder verschwunden sind und von denen niemand weiß, was sie bedeuten und ob sie überhaupt etwas bedeuten.

Zurück zu den Nachahmefirmen in der gegenwärtigen Gesundheitsindustrie: Bei allem Respekt vor ihren Erfolgen tut es Pankraz trotzdem irgendwie leid, daß nun auch ein deutscher Arzneimittelhersteller in den Kreis der „erfolgreichen Nachahmer“ von Investors Gnaden aufgenommen worden ist. Deutschland ist „die Apotheke der Welt“, sagte einst der große spanische Schriftsteller Ortega y Gasset (1883–1955), und er meinte es ausdrücklich mit Blick auf die vielen wirkkräftigen Originalpillen und Originalkapseln, die von hiesigen Herstellern überall in der Welt angeboten wurden.


Nicht im Blick hatte er den Aspekt, daß erfolgreiche Arzneimittel zunächst auf ihre Tauglichkeit und Ungefährlichkeit getestet werden müssen, an Ratten und Mäusen üblicherweise, doch sicherer wäre natürlich der Test am lebendigen Menschen, der sich aus humanitären Gründen meistens verbietet. In dieser Hinsicht hat die „deutsche Apotheke“ in historischer Sicht  bekanntlich einen weniger guten Ruf, um es vorsichtig zu sagen. Es gab während der nationalsozialistischen Herrschaft medizinische Tests an KZ-Häftlingen, und nach 1945 wurde faktisch die gesamte Bevölkerung der DDR zur Testperson.

Es gab damals Deals zwischen großen Pharmakonzernen in Westdeutschland (Hoechst, Ingelheim & Co.) und der Regierung in Ost-Berlin, wonach die DDR faktisch kostenlos große Mengen von neuen, noch nicht gänzlich ausgetesteten Medizinen erhielt und die dortige Bevölkerung in toto, ob gewollt oder nicht, zum Testobjekt wurde. Der bis zum Ende anhaltende notorische Mangel an guten Medikamenten in der DDR ließ moralische Bedenken bei den Mächtigen im SED-Politbüro gar nicht erst aufkommen; wer dennoch welche äußerte oder gar darauf insistierte, verschwand hinter Gittern.

 Mag sein, Pankraz ist in Erinnerung an solche Konstellationen vielleicht etwas traumatisiert, aber das gegenwärtige Investorenglück über die pharmazeutischen Nachahmefirmen in Amerika, Israel, Holland und anderen Ländern und nun also auch in Deutschland und ihr riesiger Erfolg, den sie vor allem in den armen Ländern der südlichen Hemisphäre erzielen, weckt in ihm nicht nur positive  Gedanken.

Originale sind auf jeden Fall besser als Nachahmungen, vor allem wenn denen momentan das Geld knapp wird und sie ganz auf Investoren angewiesen sind. Nur sollten die Originale stets hinreichend ausgetestet sein, bevor man sie auf den Markt losläßt.