© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Unbeugsame leisten Widerstand
Der kleine Blonde mit dem Flügelhelm: Asterix’ Comic-Schöpfer Albert Uderzo wird neunzig
Karlheinz Weißmann

Im bislang letzten Asterix-Band „Der Papyrus des Cäsar“ gibt es zum Schluß eine Szene, die nicht in der Antike, sondern näher an der Gegenwart spielt. Da sitzen in einem kleinen Pariser Café der fünfziger Jahre ein gewisser René und ein gewisser Albert und hören einem alten Hippie zu. Der Hippie ist aber gar kein Hippie, sondern der letzte der Druiden, der den beiden sagenhafte Geschichten erzählt. René ist natürlich René Goscinny und Albert ist natürlich Albert Uderzo, der erste der Texter, der zweite der Zeichner von Asterix. Es handelt sich um eine Reverenz ihrer Nachfolger, Jean-Yves Ferri und Didier Conrad, an die beiden Väter des erfolgreichsten europäischen Comics.

Goscinny ist bereits 1977 verstorben, Uderzo feiert dieser Tage seinen neunzigsten Geburtstag. Er kam am 25. April 1927 als Alberto Alessandro Uderzo, Sohn italienischer Einwanderer, in einer Kleinstadt nahe Reims zur Welt. In den fünfziger Jahren war er bereits ein populärer Zeichner, der für verschiedene Comic-Magazine arbeitete. Seinen Stil hatte er an der französisch-belgischen Tradition der bandes dessinées ebenso geschult wie an den Konzepten der Disney-Produktionen, die ihre ersten großen Erfolge in Europa feierten. Vor allem die brillanten Bildideen und die Dynamik seiner Figuren machten Uderzo bekannt. 1959 kam er zu der neugegründeten Jugendzeitschrift Pilote und entwarf gemeinsam mit Goscinny die erste Folge von „Asterix, der Gallier“. Ab 1966 arbeitete das Duo nur noch an den Abenteuern des kleinen Blonden mit dem Flügelhelm.

Der Erfolg der Asterix-Geschichten erklärt sich natürlich in erster Linie aus ihrer Unterhaltsamkeit. Deshalb fanden und finden sie Anklang bei Kindern. Aber daß die Leserschaft zu erheblichen Teilen – und bald überwiegend – aus Erwachsenen bestand, hatte damit zu tun, daß Goscinny die großen Themen der französischen Identität ins Spiel brachte und Uderzo sie in seinen Illustrationen gekonnt umsetzte. Als Asterix mit seinem mächtigen, aber etwas tumben Freund Obelix auf den Plan trat, lag die Vierte Republik in Agonie, war das Land geschüttelt von den Folgen einer politischen und wirtschaftlichen Dauerkrise. Da ging es vor allem um die trostreiche Vorstellung, daß der Franzose jede Situation, und sei sie noch so aussichtslos, mittels Pfiffigkeit bewältigen kann.

Zudem war die gewählte historische Bühne auch mit der letzten großen Heldengeschichte Frankreichs verknüpft: dem Mythos der Résistance. Die Römer als Vorläufer der Wehrmacht und die Gallier des kleinen Dorfes in Aremorica als Vorläufer des Widerstandes gegen die Besatzer.

Aber die Deutung in dieser Richtung hat ihre Grenzen. Denn Goscinny war mit dem französischen Geschichtsbild und seinen Ambivalenzen vertraut genug, um keine Eindeutigkeit zu produzieren, wo es sie nicht gibt. Das erklärt die Präzision der Bezüge auf alles Keltische ebenso wie die spielerische Aufnahme der Irrtümer, die in der Keltomanie wurzeln (wenn es etwa um die Gallier und die Megalithkultur geht). Daher rührt aber auch die grundsätzlich positive Beurteilung der latinité, der lateinischen Welt, und die Ambivalenz gegenüber einer Person wie Cäsar.

Und selbstverständlich wird alles, was man an Details liefert, ins Tauchbad der Ironie gehalten. So bezieht sich der als running gag wiederholte Satz „Niemand weiß, wo Alesia liegt“ in „Asterix und der Arvernerschild“ zum einen auf das Waterloo-Sedan-Trauma der Franzosen, zum zweiten auf die Tatsache, daß die Archäologie bis ins 20. Jahrhundert wirklich außerstande war, den Ort der entscheidenden gallischen Niederlage zu lokalisieren, und zum dritten darauf, daß sich der Dorfhäuptling Majestix, diese Karikatur eines mächtigen Keltenkriegers, keineswegs mit dem Ende der gallischen Freiheit abfinden will.

Steht Frankreich im Mittelpunkt, dann bekommt bei den großen Reisen, die Asterix unternimmt, jede andere Nation ihr Fett weg. Ganz gleich, ob es um die Briten geht, die für heißes Wasser mit einem Tropfen Milch die Schlacht unterbrechen, die Spanier mit ihrem machismo und ihrer Tanzwut oder die Schweizer mit ihrem Neutralitätsfimmel oder um die Italiener und ihre schicke Schludrigkeit. Der ferrarirote Sportwagen von Grautvornix aus „Asterix und die Normannen“ wird selbstverständlich in Mediolanum, also Mailand, hergestellt, erweist sich aber als vollkommen ungeeignet für den Hinkelsteintransport.

Und als 1961 „Asterix und die Goten“ erschien, wurde von den Galliern eine ganz andere Lektion aus der Geschichte abgeleitet, als die im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft offiziell erwünschte. So ließ Goscinny den Druiden Miraculix erklären, daß es für die Sicherheit Galliens nur ein Rezept gebe: das Land der Goten müsse geteilt und zerstritten bleiben. Dieser Herzenswunsch hatte selbstverständlich damit zu tun, daß der Durchschnittsfranzose auch im zweiten Jahrzehnt nach Kriegsende den Deutschen nicht über den Weg traute, in ihnen immer noch die Nachkommen der Goten sah (denen die Gallier anachronistischerweise begegnen), so wie Uderzo sie zeichnete: Barbaren mit Pickelhauben auf dem Kopf, brutal und hinterlistig, die im Stechschritt marschieren und ihre Lieder brüllen.

Zu betonen bleibt aber, daß Asterix alles andere als frei von Selbstkritik ist, wenn es um die Franzosen geht, ihre Eitelkeit oder ihre Ruhmredigkeit zum Beispiel. Aber letztlich wird das „ewige Frankreich“ in unverkennbarem Stolz gezeichnet, kleine Boshaftigkeiten ergänzen nur das Bild.

Die Geschichte „Tour de France“ etwa nimmt wohl Bezug auf das Radrennen, aber auch auf ein vormals berühmtes, ziemlich chauvinistisches Kinderbuch, das dem Nachwuchs die einzelnen Regionen vorstellen sollte. Jetzt werden die kulinarischen Spezialitäten aller Landstriche zum Thema und gleichzeitig die Provinz gegen Lutetia-Paris, das dreckige, laute, wo die Kollaborateure hausen, in Stellung gebracht.

Das Essen spielt, wie könnte es in Frankreich anders sein, immer eine Rolle, aber der wahre Gallier zieht im Zweifel einen ordentlichen Wildschweinbraten vor, und die „Haute Cuisine“ erscheint wegen ihrer dekadenten Überzüchtung regelmäßig in einem schlechten Licht; von Rinderfüßen à la Crème und Biberschwänzen in Himbeersoße ist in „Die Lorbeeren des Cäsar“ leicht angewidert die Rede. Diese Neigung zur France profonde, zur Seele Frankreichs, zeigte sich auch an der Art, wie in „Asterix bei den Spaniern“ die Folgen des modernen Massentourismus aufs Korn genommen werden oder in „Die Trabantenstadt“ die Zerstörung des bäuerlichen Lebens durch die Urbanisierung.

In Deutschland hat man Asterix eher als Linken betrachtet. Die Achtundsechziger waren seine Fans, und das hing nicht nur mit dem Pariser Mai oder der Frankophilie zusammen, sondern auch mit der Sympathie für einen Subversiven mit ausgeprägtem Affekt gegen die Obrigkeit und latenter Gewaltneigung. Der Vorbehalt des Galliers gegenüber der Moderne paßt nicht ganz in den Zusammenhang, es sei denn, man nimmt eine verborgene antiamerikanische Botschaft an. Tatsächlich sind die USA das einzige westliche Land, in dem Asterix bisher kaum Erfolg hatte. Man macht dafür die Fixierung der amerikanischen Comic-Kultur auf Superhelden verantwortlich oder die Fremdheit gegenüber dem historischen Hintergrund der Erzählungen. Aber selbst die Reverenz vor Walt Disney und die Menge der gar nicht so unfreundlichen Anspielungen auf die amerikanische Politik, die Uderzo in dem letzten von ihm selbst gestalteten Asterix-Band – „Gallien in Gefahr“ – eingebaut hat, konnten das kaum ändern.

Die Distanz hat sicher nicht mit den Problemen zu tun, die bei der Übersetzung der zahlreichen Anspielungen aus dem Französischen bestanden und bestehen. Eher geht es hier um den prinzipiellen Unterschied zwischen alter und neuer Welt. Und der kleine Gallier Asterix, vor allem jener der klassischen Epoche zwischen 1959 und 1977, gehört doch ganz zur alten.





Ab Oktober: Asterix in Italien

Sie sind weit herumgekommen, die beiden Gallier Asterix und Obelix, von der Neuen Welt lange vor Kolumbus  bis nach Ägypten und ins Morgenland. Im Herbst dieses Jahres nun geht es auf die italienische Halbinsel, wo im Jahre 50 v. Chr. viele Regionen sehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht sind und Cäsars Bestrebungen, sie unter seiner Herrschaft zu einem Großreich zu vereinen, die Stirn bieten. „Asterix in Italien“ lautet der Titel des 37. Abenteuers, das am 19. Oktober beginnt. „Italien läßt sich nicht auf Cäsar, Rom und das Kolosseum reduzieren“, erklären die neuen Heftmacher Jean-Yves Ferri (Text) und Didier Conrad (Zeichnung). Die beiden sind seit dem 35. Band „Asterix bei den Pikten“ (JF 45/13) die Nachfolger von Albert Uderzo.

Nach Angaben des Egmont-Verlages erscheint der neue Band „Asterix in Italien“ in über 20 Sprachen mit einer Startauflage von mehr als vier Millionen Exemplaren. (tha)

 http://asterix37.com