© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Schmach für die etablierten Parteien
Präsidentschaftswahl Frankreich: Während Macron in der Stichwahl auf breite Unterstützung hofft, muß sich Le Pen neu erfinden
Friedrich-Thorsten Müller

Punktlandung der Meinungsforscher. Wenig spektakulär endete der erste Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahlen. Der unabhängige Linksliberale Emmanuel Macron und Marine Le Pen vom Front National haben sich mit 24,0 und 21,3 Prozent für die Stichwahl am 7. Mai qualifiziert. Dicht gefolgt vom Kandidaten des Mitte-Rechts-Bündnisses „Republikaner“, François Fillon, mit 20 und dem Bewerber des linksextremen Spektrums, Jean-Luc Mélenchon, mit 19,6 Prozent. Der Kandidat der noch regierenden Sozialisten, Benoît Hamon, landete mit 6,4 Prozent weit abgeschlagen auf Platz fünf. Daneben erzielte von den insgesamt elf Bewerbern lediglich der „konservative Souveränist“ Nicolas Dupont-Aignan mit 4,7 Prozent noch ein Ergebnis deutlich über ein Prozent.

Jedes Ergebnis unter 60 Prozent wäre eine Schande

Die Wahlbeteiligung lag im Vergleich zum ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2012 mit 77,8 gegenüber 80,4 Prozent nur geringfügig niedriger. Historisch ist dagegen der Einbruch der beiden bisher die französische Politik dominierenden Lager. 2012 erreichten die Schwesterparteien von CDU und SPD im ersten Wahlgang noch zusammen 55,8 Prozent der Stimmen und konnten damit beide mit neun bis zehn Punkten Abstand zum drittplazierten FN sicher in die Stichwahl einziehen. Diesmal erreichten sie mit insgesamt 26,4 Prozent noch weniger als die Hälfte ihrer bisherigen Wähler. Damit spielen sie im Rennen um die Präsidentschaft in der Endrunde keine Rolle mehr. 

Etwa 50 Prozent der Franzosen haben darüber hinaus für euro- und europakritische Kandidaten gestimmt. Deshalb kann sich die etablierte Politik in Frankreich auch wenig damit trösten, daß der frühere sozialistische Wirtschaftsminister Macron mit seiner neuen unabhängigen Bewegung „En marche“ eigentlich eine geschickte, sozialdemokratische, Abspaltung der regierenden Linken ist.

Auch wenn man Marine Le Pen vor Monaten sogar noch bis zu 30 Prozent der Stimmen zugetraut hatte, sind 7,6 Millionen Wähler das beste Ergebnis, das die Partei seit ihrer Gründung vor fast 45 Jahren jemals erreichen konnte. Marine Le Pens Vater Jean-Marie konnte – als er 2002 ebenfalls in die Stichwahl einzog – lediglich 4,8 Millionen Franzosen hinter sich vereinen.

Bemerkenswert sind die Werte im Nord- und Südosten Frankreichs. Umgerechnet auf die in wenigen Wochen anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung erzielte der Front National in 84 Wahlkreisen Ergebnisse über 30 und in 21 sogar Resultate über 35 Prozent. Das ist ein deutlicher Zuwachs gegenüber 2012, wo dies nur in 59 von 570 Kreisen der Fall war. Hervorzuheben sind die Ergebnisse im Departement Aisne (Wahlkreis 3) mit 40 Prozent und Pas-de-Calais (Wahlkreis 10) mit 39,8 Prozent für den FN. Die übrigen Bewerber erreichten aufgrund ihres landesweit gleichmäßigeren Abschneidens nur in Ausnahmefällen Wahlkreisresultate oberhalb von 30 Prozent.

Aufgrund der massiven Unterstützung aus dem linken, liberalen und teilweise auch konservativen Lager geht Emmanuel Macron als klarer Favorit in den zweiten Wahlgang. François Hollande rief mit seinem Kabinett gleich nach der Wahl zur Unterstützung Macrons auf. Der unterlegene Fillon erklärte seinen Rückzug als Kampagnenführer für die Wahl der Nationalversammlung, forderte aber seine Wähler ebenfalls auf, im zweiten Wahlgang für Macron zu stimmen. Allerdings gibt es aus dem konservativen Lager auch andere Wortmeldungen. So bekannte zum Beispiel Fillons frühere Städtebauministerin Christine Boutin, für Le Pen stimmen zu wollen. Der Abgeordnete Georges Fenech meinte darüber hinaus, „keinen Konservativen zu kennen, der für Macron stimmen“ werde. Auch die extreme Linke ziert sich im Moment noch, zur Wahl Macrons aufzurufen. Jean-Luc Mélenchon erklärte ohne Rückenwind einer geplanten Mitgliederbefragung, Macron nicht unterstützen zu wollen. Tatsächlich ist ihm dessen Merkel-Freundlichkeit fast genauso verhaßt, wie der Front National.

Unterdessen versucht Marine Le Pen mit einer Charmeoffensive vor allem auf die Wähler Fillons, Mélenchons und Dupont-Aignans zuzugehen und Macron als den „Kandidaten der Banken und Salons“ hinzustellen. Sie bemüht sich, Ängste vor ihrer Regierung abzubauen, indem sie alle wesentlichen Entscheidungen, wie den Euro-Austritt, unter den Vorbehalt von Volksabstimmungen stellt. Außerdem hat sie temporär ihren Parteivorsitz niedergelegt, um zu unterstreichen, daß sie Präsidentin aller Franzosen werden möchte. 

Macron – für den jedes Ergebnis unter 60 Prozent fast schon einer Niederlage gleichkäme – darf dagegen keine Zeit verlieren und muß nun ohne Parteiapparat im Eiltempo Kandidaten für die Wahl zur Nationalversammlung im Juni in Stellung bringen. Außerdem wird er versuchen, aus den etwa 250.000 eingeschriebenen „Anhängern“ seiner Bewegung „En marche“ möglichst zahlende Parteimitglieder zu machen.

Zum großen Kräftemessen der beiden Kandidaten wird es am 3. Mai in einer Fernsehdebatte kommen. Dabei ist es bezeichnend für die Polarisierung des Landes, daß ausgerechnet der europafreundlichste Kandidat und die EU-feindlichste Bewerberin das Rennen um die Präsidentschaft unter sich ausmachen werden.