© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Marode Brücken, holprige Straßen
Infrastruktur: Trump verspricht eine Billion Dollar an Investitionen / Chance für deutsche Firmen?
Thomas Kirchner

Das vor 50 Jahren von Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) konzipierte „Programm zur Gesundung des deutschen Verkehrswesens“ versprach Milliardeninvestitionen in Bahnstrecken und Straßen. Und obwohl die in den Bundesverkehrswegeplänen von 1973, 1980 und 1985 gesetzten Ziele nur ansatzweise erreicht wurden, wuchs das Autobahnnetz in der damaligen Bundesrepublik von 3.204 (1965) auf 8.822 Kilometer (1990). Zudem wurde bis 1991 das Grundgerüst für das ICE-Netz der Bahn gelegt.

Im Zuge der Wiedervereinigung verlagerten sich die Investitionen vorübergehend ins ehemalige Zonenrandgebiet und die Ex-DDR. Bei der Streckenerhaltung und in den Kommunen wurde aber gespart: „Über 10.000 kommunale Straßenbrücken müssen bis 2030 ersetzt werden“, mahnt nicht ganz uneigennützig Peter Hübner, Chef des Bauindustrieverbands HDB, in der Allgemeinen Bauzeitung (13/17). Das seien 15 Prozent der insgesamt 66.700 Brücken. „Darüber hinaus befindet sich jede zweite Brücke in einem schlechten Zustand und muß dringend saniert werden“, so Hübner.

50 Milliarden direkte Verkehrseinnahmen

Am mangelnden Geld dürfte es nicht liegen, nahm doch allein der Bund 2016 36,2 Milliarden Euro Energiesteuer für Benzin und Diesel, 8,8 Milliarden Kfz-Steuer und 4,6 Milliarden Lkw-Maut ein. Daß nur ein Bruchteil der 50 Milliarden ins deutsche Verkehrswesen fließt, ist eine rein politische Entscheidung. Aber vielleicht ergeben sich für die deutsche Bauindustrie demnächst jenseits des Atlantiks neue Betätigungsfelder?

Denn wenn es in New York regnet, müssen die ohnehin schon von Verspätungen geplagten Passagiere am Inlandsflughafen LaGuardia auch noch Slalom laufen: Schon seit Jahren ist das Dach undicht, als Lösung dienen unter der Decke aufgehängte Plastikplanen, von denen Schläuche zu Eimern auf dem Boden führen, denen Passagiere in den viel zu engen Gängen ausweichen müssen. Conde Nast und JD Power zeichnen LaGuardia jedes Jahr aus: als den schlechtesten Flughafen Nordamerikas.

Nicht viel besser steht es um die New Yorker U-Bahn. Die Betreibergesellschaft beschäftigt Techniker, die in Handarbeit Ersatzteile für Signaltechnik aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg fertigen, weil es die Hersteller seit Jahrzehnten nicht mehr gibt. Auf einigen Linien werden Anzeigen für die Wartezeit bis zum nächsten Zug installiert – es ist das gleiche System, das unter Margaret Thatcher in der Londoner U-Bahn schon in den 1980er Jahren eingeführt wurde. Zwischen Washington und Boston verkehren Hochgeschwindigkeitszüge, die auf weiten Strecken als Bummelzug fahren müssen, weil die Trassen marode sind.

Über 60.000 Brücken in den USA sind dringend renovierungsbedürftig. Manchmal kommt die Reparatur zu spät: 13 Menschen mußten sterben und 145 wurden verletzt, als 2007 eine achtspurige Brücke über den Mississippi bei Minneapolis einstürzte. Die Schäden waren seit 1990 bekannt, unternommen wurde anderthalb Jahrzehnte lang nichts. Inzwischen ist man vorsichtiger, gefährdete Brücken werden gesperrt und lösen Verkehrschaos aus. Es herrschen Zustände wie in einem Dritte-Welt-Staat.

Grundsätzlich besteht Einigkeit zwischen Demokraten und Republikanern in Washington, daß eine Generalüberholung der Infrastruktur überfällig ist. Doch wie immer fehlt das Geld. Barack Obama versuchte sich an einigen Großprojekten, die er propagandistisch ausschlachtete, doch unterm Strich versagte er: In seiner Präsidentschaft wurde so wenig in Infrastruktur investiert wie zuletzt 1947 unter Harry S. Truman. Und der Reformstau wird immer länger.

Daß Donald Trump die Infrastruktur zum Wahlkampfthema machte, zeigt nicht nur, wie dramatisch die Lage ist, sondern auch, daß jetzt endlich etwas passieren könnte. Trump versprach eine Billion Dollar an Investitionen über zehn Jahre – der gleiche Betrag, den auch die Demokraten ausgeben möchten.

Unter Obama waren es 2015 nur 288 Milliarden gewesen, davon 135 Milliarden für das Transportwesen und den Straßenbau. Notwendig wären unabhängigen Schätzungen zufolge aber insgesamt drei bis vier Billionen im Jahrzehnt. Unterschiede gibt es erwartungsgemäß in der Ausführung. Die Demokraten wollen die Milliardeninvestitionen komplett durch den Staat bezahlen lassen. Trump plant 137 Milliarden an Steuersubventionen, für den Rest sollen private Investoren ins Boot geholt werden.

Private Fehlschläge und Bürokratiehürden

Die USA haben eine lange Tradition privat finanzierter Infrastruktur, die im Gegensatz zu Deutschland nie komplett verstaatlicht wurde. Zahlreiche Autobahnen und Brücken wurden privat finanziert und erheben Maut von den Nutzern. Kritiker konzentrieren sich auf die unvermeidlichen gelegentlichen Fehlschläge. So rekonstruierten Spaniens Ferrovial und die australische Macquarie ein 157 Meilen langes Autobahnteilstück der Interstate 90 in Indiana für 3,8 Milliarden Dollar und erhielten eine Pacht für 75 Jahre – doch statt der erwarteten elf Millionen Laster rollten nur halb so viele über die Indiana Toll Road. Das Projekt machte 2014 Konkurs, doch der Schaden ging zu Lasten der Investoren, Steuerzahler profitierten von deren Fehlkalkulation.

Der Finanzplan war von den Behörden im Genehmigungsverfahren abgesegnet worden. Bei einer staatlichen Finanzierung wäre wohl genauso gerechnet worden, nur der Schaden hätte dann den Fiskus getroffen. Noch problematischer ist die Bürokratie, welche die Kosten in die Höhe treibt. Bis zu 18 verschiedene US-Bundesbehörden reklamieren Zuständigkeit für Infrastrukturprojekte. Deshalb setzt Trump auf Entbürokratisierung, insbesondere auf die Lockerung des von Obama verschärften Umweltschutzes.

Auch Provinzbürokraten spielen gern Stolperstein. Seit 2012 versucht Brightline in Florida, die Touristenmetropolen Orlando und Miami mit Siemens-Dieselschnellzügen zu verbinden. Kosten: 1,75 Milliarden Dollar, privat finanziert. Doch ab West Palm Beach stockt das Projekt, zudem haben einige der Gemeinden entlang der bestehenden Trasse Klagen wegen Sicherheitsbedenken und wegen des zu erwartenden Lärms eingereicht und verzögern das Projekt. Der wahre Grund, wird gemunkelt, sei vielmehr die Geldquelle hinter Brightline: die Beteiligungsgesellschaft Fortress, eine „Heuschrecke“. Manchen Politikern wäre eine staatliche Finanzierung lieber. Einige Gemeinden haben inzwischen mehr Geld für Klagen ausgegeben, als sie selbst in Infrastruktur stecken. 

Andere Planungsbehörden verhindern einen effizienten und schnellen Neubau alternder Infrastruktur. In New Jersey muß eine Brücke erhöht werden, damit die Schiffe, die durch den vergrößerten Panamakanal fahren, auch den New Yorker Hafen anlaufen können. Ein Neubau hätte vier Milliarden gekostet, doch ein Angestellter der Hafenbehörde kam auf die clevere Idee, statt dessen die bestehende Brücke zu heben. Eine Kostenersparnis von drei Milliarden.

Doch niemand hat die Befugnis, das zu genehmigen. 47 Genehmigungen von 17 Behörden mußten eingeholt werden, einschließlich Denkmalschutz. Umweltgutachten füllen 20.000 Seiten, obwohl die bestehenden Fundamente genutzt werden sollen. Mit Geld allein ist die US-Infrastruktur nicht zu retten. Wenn Trump etwas erreichen will, braucht es eine umfangreiche Entbürokratisierung. Der deutschen Bauindustrie dürften diese Probleme sehr bekannt vorkommen.

Infrastrukturreport 2016: peternavarro.com