© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Ländersache
Wider Erwarten wiedergefunden
Christian Vollradt

Für Betroffene ist es ein individuelles Ärgernis, statistisch ist es mittlerweile ein Massenphänomen, das fast schon schulterzuckend hingenommen wird: Fahrraddiebstahl. Besonders häufig treiben die Zweirad-Langfinger ihr Unwesen in den großen Metropolen. Über 800 Fahrräder pro 100.000 Einwohner wechseln in Berlin und Hamburg illegal ihren Besitzer. 

In der Hansestadt wurden im vergangenen Jahr mindestens 17.485 Velos gestohlen; die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, da längst nicht jeder Diebstahl angezeigt wird. Denn die Chance, seinen Drahtesel wiederzubekommen, ist äußerst gering. Die Aufklärungsquote lag 2016 beim Delikt Fahrraddiebstahl bei lediglich 3,9 Prozent. Laut Ermittlern liegt das vor allem an den „spurenarmen“ Tatorten. 

Um so aufsehenerregender ist deswegen der Coup, der nun in Hamburg der Polizei gelungen ist. Auf dem Gelände zweier Firmen im Stadtteil Rothenburgsort stellten Beamte der Ermittlungsgruppe „Fahrrad“ 1.500 Zweiräder sicher. Die mutmaßlichen Hehler waren zuvor intensiv observiert worden. Über sie wollen die Ermittler an die Vertriebswege und Geldflüsse kommen. Offenbar auffällig waren viele Lieferwagen mit osteuropäischen Kennzeichen. Die Fahrräder – nach ersten Erkenntnissen Diebesgut aus dem gesamten norddeutschen Raum – sollen bis nach Usbekistan und Tadschikistan gebracht worden sein, auch in Afrika fanden laut Medienberichten die Exportgüter der Hamburger „Fahrrad-Mafia“ ihre Abnehmer. Einer der Firmenbesitzer beteuerte in gebrochenem Deutsch vor der Kamera des NDR, er habe die nun beschlagnahmten Räder auf Flohmärkten erworben und nicht gewußt, daß sie höchstwahrscheinlich gestohlen worden seien. Zu den Eigenschaften der entsprechenden Gewerbetreibenden scheint es zu gehören, keine Fragen nach der Herkunft der ihnen angebotenen Ware zu stellen. 

Oft, so die Polizei, handele es sich um Beschaffungskriminalität von Drogensüchtigen, die zwischen zehn und 50 Euro für ein Fahrrad bekommen. Professionelle Täter, die mit Kleintransportern durch die Stadt fahren, dürften nach Erkenntnissen der Ermittler um die hundert Euro für ein gutes Fahrrad bekommen haben. Der Verkaufspreis für ein gutes und fast neuwertiges Fahrrad, das im Laden mehr als 1.000 Euro kostete, liegt nach Einschätzung der Polizei bei rund 200 bis 300 Euro. 

Doch eine weitere Mammutaufgabe kommt auf die Polizisten zu: Nachdem mit Hilfe von mehreren Lkw und Mitarbeitern des Technischen Hilfswerks die Räder in eine 5.000 Quadratmeter große ehemalige Sporthalle gebracht worden waren, müssen sie nun anhand der Rahmennummer katalogisiert und mit der Diebstahlsdatei abgeglichen werden. Das kann allerdings Wochen dauern. Ziel sei es dann, so viele Fahrräder wie möglich ihren rechtmäßigen Besitzern wiederzugeben. 

Bislang konnten 120 der Zweiräder durch die Rahmennummer als gestohlen identifiziert werden. Mit etwas Glück bekommt vielleicht der eine oder andere, dem jüngst ein Drahtesel entwendet worden war, demnächst einen Anruf von der Polizei – um wider Erwarten das wahrscheinlich längst abgeschriebene Rad bald doch wieder in den Händen halten zu können.