© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Watt werden sie wählen?
Schleswig-Holstein: Kurz vor dem Urnengang liegen SPD und CDU fast gleichauf
Christian Schreiber

Mit der Landtagswahl in Schleswig-Holstein nimmt das Superwahljahr 2017 am Sonntag richtig Fahrt auf. Ende März hatten die Saarländer die CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer im Amt bestätigt. Nun strebt ihr SPD-Kollege Torsten Albig ebenfalls die Wiederwahl an. Seit der Abstimmung im kleinsten Flächenland wird landauf, landab die Frage gestellt, ob der Schulz-Effekt bereits an Schwung verloren hat. Die SPD schnitt im Saarland wesentlich schwächer ab, als die Meinungsumfragen dies vorhergesehen hatten. In den letzten Tagen vor der Wahl hat sich nach Ansicht der Demoskopen die CDU im hohen Norden an den Sozialdemokraten vorbei. 

Das ist eine handfeste Überraschung, lag Albig in allen Direktvergleichen bislang weit vor dem CDU-Herausforderer Daniel Günther. „Er ist 43 Jahre alt, er sieht zehn Jahre jünger aus. Einem Drittel der Wahlberechtigten ist er unbekannt“, schrieb Spiegel Online über den Herausforderer und hatte offenkundig Mühe, ihm nicht das Etikett „Weichei“ auf die Stirn zu kleben. Der Politikwissenschaftler hat eine Parteikarriere wie aus dem Bilderbuch hingelegt, war Landesgeschäftsführer und Vorsitzender der Landtagsfraktion. Im vergangenen Herbst wurde er überraschend zum Spitzenkandidaten gekürt, nachdem mit Ingbert Liebing bereits der fünfte Landesvorsitzende seit 2010 entnervt das Handtuch geworfen hatte. Bundesweit bekannt wurde Günther, als er vor wenigen Monaten gefordert hatte, die Landesregierung solle sich für den Erhalt von Schweinefleisch im Angebot öffentlicher Kantinen einsetzen, woraus einige Medien eine Forderung nach „Schweinefleischpflicht“ machten.  

Bislang galt es als nahezu ausgeschlossen, daß die CDU den Ministerpräsidenten wieder stellen könnte. Amtsinhaber Albig zeigte sich daher trotz jüngster Umfragewerte siegessicher. Es werde spannend, aber am Ende werde die SPD vor der Union liegen. Albig bekannte sich auch zu der bestehenden Küstenkoalition mit Grünen und SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Auf die Frage nach einer möglichen Koalition mit den Linken, antwortete er nur: „Die werden gar nicht im Landtag sein, von daher mache ich mir da keinen Kopf darüber.“

Eine Woche vor der Wahl lagen CDU und SPD nahezu gleichauf bei etwas mehr als 30 Prozent. Albigs im Norden traditionell starker grüner Juniorpartner lag demnach über der Zehn-Prozent-Marke; die FDP, die abermals mit Haudegen Wolfgang Kubicki in die Wahl zieht, leicht darunter. Die AfD (siehe Seite 3) sahen alle Meinungsumfragen knapp über der Sperrklausel, die Linkspartei eher darunter.  

Der Südschleswigsche Wählerverband, der die im Norden des Bundeslandes lebende dänische und friesische Minderheit vertritt, ist von der Fünfprozenthürde befreit. Bei der vergangenen Wahl erreichte der SSW 4,6 Prozent der Stimmen und drei Sitze im Landtag – genau sie brachten Albig damals die Mehrheit. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Kritik am Sonderstatus des SSW. 2013 bestätigte das Landesverfassungsgericht diesen, wenn auch nur knapp. Mitglieder der Jungen Union hatten dagegen geklagt. „Die Lust, sich noch mal dagegen zu wenden, dürfte relativ gering sein“, sagte der Kieler Verfassungsrechtler Florian Becker der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung. In der Vergangenheit hat der SSW immer wieder mal eine SPD-geführte Regierung unterstützt. 1987, als es besonders eng zuging, schimpfte der damalige CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, daß „es nicht sein kann, daß ein Bundesland von einem Dänen regiert wird.“ 

Die Hauptakzente im Wahlkampf des Spitzenkandidaten Lars Harms lagen bei sozialen Themen. „Ich glaube auch, es ist wichtig, über Bildungspolitik zu reden“, fügte er hinzu, „und für uns ist natürlich Mehrsprachigkeit und Minderheitenpolitik wichtig. Da sind noch viele Baustellen, die wir noch erledigen müssen. Und da werden wir uns drum kümmern.“ Der sechsfache Familienvater stellte klar, daß für ihn nur eine erneute Koalition mit Albigs SPD in Frage komme. Doch ob dieses landläufig als Küstenkoalition bekannte Bündnis eine Mehrheit haben wird, ist fraglich. Günther hat der SPD bereits eine Große Koalition in Aussicht gestellt, FDP-Mann Kubicki, der mit 65 Jahren offenbar noch einmal vom großen Wurf träumt, liebäugelt wahlweise mit einem Ampelbündnis unter SPD-Führung oder einer Jamaika-Koalition unter einem CDU-Ministerpräsidenten Günther.  

Der stand zuletzt im Blickpunkt, weil  die SPD-Politikerin Gabriele Schwohn ihm als Zuschauerin des TV-Duells vorgeworfen hatte, sie als „Verdi-Schlampe“ beschimpft zu haben. Günther wies dies vor laufender Kamera vehement zurück. Der NDR habe unmittelbar nach der Sendung im Internet klargestellt, „daß die Dame ihre Behauptung nicht belegen konnte“, sagte CDU-Landesvize Tobias Koch. Neben dem Dauerbrenner „soziale Gerechtigkeit“ spielte auch die Frage von Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan eine Rolle. Die rot-grüne Regierung hatte einen Stopp verordnet und dafür heftige Kritik von CDU, FDP und AfD geerntet. Stumm geblieben sind dagegen die Piraten, die vor fünf Jahren satte 8,2 Prozent erzielten. Ihre Fraktionsarbeit war geprägt von Mißtrauen; die Abgeordneten warfen sich auf offener Bühne Intrigen, Lügen und Spitzeleien vor. Ihr Rauswurf aus dem Parlament ist so gut wie besiegelt.