© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Heimweh wecken ist schwer
Fachkräftediskussion: Bundesregierung setzt auf deutsche Rückkehrer / Mediziner und Techniker gesucht
Dirk Meyer

Theologen, Historiker, Archäologen, Politologen, Anthropologen oder Journalisten zählen laut einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) nicht zu jenen Fachkräften, bei denen es bei der Stellenneubesetzung zu Engpässen kommt. Mediziner und Techniker fehlen hingegen, auch in den praktischen Ausbildungsberufen bleiben Arbeitsplätze unbesetzt. Deshalb gewinnt die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland zunehmend an Bedeutung.

Als neue Zielgruppe gelten rückkehrwillige Deutsche, denn zwischen 2009 und 2013 gingen rund 710.000 Deutsche ins Ausland. Bei rund 580.000 Zuzügen verlor Deutschland demnach jährlich rund 25.000 Staatsbürger durch Abwanderung – zumeist jung und gut ausgebildet. Die bedeutendsten Auswanderungsziele sind die Schweiz, die USA, Österreich und Großbritannien.

Willkommensportal „Make it in Germany“

Allerdings ist der Wanderungssaldo deutscher Staatsangehöriger (ohne Spätaussiedler) bereits seit 1967 negativ. Der Nettoverlust beträgt seitdem rund 1,5 Millionen. Insgesamt leben vier Millionen Deutsche im Ausland. Seither hat sich die jährliche Aus- und Rückwanderungsrate etwa verdoppelt: Mehr Deutsche verlassen Deutschland, aber mehr kehren auch wieder zurück. Dies ist Ausdruck einer mobileren Gesellschaft, die durchaus Chancen bietet.

Auslandsaufenthalte befördern einen produktiven Austausch von Ideen, und eine stärkere internationale Vernetzung trägt zu Innovationen bei. Rückkehrer verfügen zudem über strategisch nutzbare Fähigkeiten, wie beispielsweise Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelle Kompetenzen und transnationale Netzwerke, die in einer exportorientierten Wirtschaft vorteilhaft nutzbar sind.

Das Willkommensportal „Make it in Germany“ soll internationale Fachkräfte nach Deutschland locken. Das Informations- und Beratungsangebot wird im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie durch das Kölner IW umgesetzt und von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) unterstützt. Die Bundesregierung plant jetzt, das Angebot auf Deutsche im Ausland auszuweiten. Speziell an deutsche Akademiker im Ausland richtet sich Gain (German Academic International Network) – ein bewußtes Wortspiel mit dem englischen Wort für „rückgewinnen“.

Diese von dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Alexander-von-Humboldt-Stiftung getragene Initiative bietet ein Portal zu den Fördermöglichkeiten aller großen Forschungs- und Förderorganisationen für die transatlantische Kooperation und Rückkehr: Forschungsstipendien, Finanzierung von Forschungsaufenthalten, Forschungspreise, Gastdozenturen und -professuren.

Für den Zugewinn Hochqualifizierter ist ein Blick auf die Gründe hilfreich, die zur Auswanderung und gegebenenfalls zur Rückkehr führen. Eine Untersuchung des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) aus dem Jahr 2015 benennt als Auswanderungsgründe: den Wunsch, neue Erfahrungen zu machen und den Horizont zu erweitern (72 Prozent), berufliche Gründe (67 Prozent), Partnerschaft und Familie (51 Prozent), erwartetes Einkommen bzw. Lebensstandard (47 Prozent), Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland (41 Prozent) sowie ausbildungs- bzw. studienbezogene Gründe (17 Prozent).

Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland?

Deutsche Rückkehrer nennen vorrangig partnerschaftsbezogene und familiäre Gründe (64 Prozent), berufliche Gründe (57 Prozent), Unzufriedenheit mit dem Leben im Ausland (40 Prozent) sowie eine bereits im vorhinein beabsichtigte Rückkehr (40 Prozent).

Erstens ergeben sich laut der Studie keinerlei Hinweise dafür, daß Hochqualifizierte in hohem Maße dauerhaft ins Ausland abwandern (Braindrain). Statt dessen kommt es zu einer Zirkulation von Spitzenkräften (Brain Circulation).

Zweitens sind für die Rückwanderung zumeist mehrere Motive ausschlaggebend, wobei kurzfristige Einkommensmotive zumindest für eine Rückkehr nicht die entscheidende Rolle spielen. Hier dominieren berufliche und soziale Motive (Familie, Freunde). Neben sogenannten Pull-Faktoren, die eine Migration motivieren, wirkt Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland durchaus als Push-Faktor. Da die Erhebung im Jahre 2013 stattfand, konnte die durch den Flüchtlingszustrom veränderte gesellschaftliche Lage (Schulsituation, Ausländerkonzentration in manchen Großstädten, Kriminalität) nicht mit einfließen.

Drittens wurden als berufliche Gründe neben einem höheren Einkommen insbesondere eine interessantere berufliche Tätigkeit, bessere Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Arbeitsbedingungen angeführt. Sodann wird eine in Deutschland hohe Steuer- und Abgabenlast von etwas über 40 Prozent als negativ gesehen, jedoch gleichzeitig die gute medizinische Versorgung als Attraktionsfaktor hervorgehoben.

Da berufliche Gründe eine wichtige Rolle bei der Migrationsentscheidung spielen, können arbeitsmarktpolitische Rahmenbedingungen in Deutschland einen wichtigen Anknüpfungspunkt für Verbesserungen darstellen. Im Hochschulsektor stehen eine ungewollte Teilzeitarbeit und überwiegend befristete Arbeitsverträge für den wissenschaftlichen Mittelbau im Zentrum.

Speziell im Medizinsektor wären die Studieninhalte zu reformieren, und im Krankenhausbetrieb machen eine geringe Personaldecke, unbezahlte Überstunden und eine wenig familienfreundliche Freizeitregelung die Arzttätigkeit unattraktiv. Schließlich wird über einen „Paternoster-Effekt“ bei Rückwanderung geklagt: Mit Ausnahme von promovierten Arbeitskräften, die profitieren, scheint die Eingliederung ins berufliche Leben mit Gehaltsnachteilen verbunden zu sein. Hier läge es an den Unternehmen, entsprechend gegenzusteuern.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.