© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Kritische Stimmen mundtot machen
Tagung: Das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg diskutierte über Zensur und Einschränkungen der Meinungsfreiheit
Gil Barkei

Zensur gefällig?“ Gut 250 Interessenten folgten am 1. Mai der Einladung des Instituts für Gesellschaftswissenschaften Walberberg ins Bonner Hotel Bristol, um über „aktuelle und geplante Einschränkungen der Meinungsfreiheit“ zu diskutieren. Auf dem Podium saßen der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach, der Journalist und Blogger Peter Winnemöller sowie der Rechtsanwalt und Publizist Joachim Steinhöfel. 

Schon seit längerem gebe es „einen Trend, bestimmte Meinungen, obwohl sie es gar nicht sind, als rechtswidrig zu erklären“, resümierte Winnemöller. Kritische Fragen würden als Phobien diskreditiert und an den Rand der Illegalität gedrängt – über „1984“ sei man längst hinaus. Das von Justizminister Heiko Maas (SPD) geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bedeute eine weitere „drastische Einschränkung der Meinungsfreiheit“. In Konsequenz würden die Unternehmen Inhalte „löschen, was das Zeug hält“ und eine Beweislastumkehr etablieren: Nicht das soziale Netzwerk muß belegen, daß ein gelöschter Beitrag rechtswidrig war, sondern der Nutzer muß beweisen, daß er es nicht war. Ob es überhaupt noch zu politischen Diskussionen im Netz komme, sei fraglich. Zudem werde Facebook nicht auf Menschen für die Kontrolle setzen, sondern diese mit programmierten „Zensur-Bots“ automatisieren. 

Steinhöfel prophezeit Maas eine Niederlage

Für Steinhöfel, Autor von Tichys Einblick, ist Maas’ Gesetzesvorhaben „verfassungswidrig, europarechtswidrig und schlicht überflüssig“, da das bestehende Regelwerk ausreiche. Der passendere Name sei „Meinungsfreiheitsbekämpfungsgesetz“. Daß nicht mehr Gerichte, sondern Privatunternehmen entscheiden sollen, ob eine Äußerung strafbar ist, komme einem „Anschlag auf die Gewaltenteilung“ gleich. Der Entwurf aus dem Justizministerium bedeute eine „Privatisierung der grundgesetzlich untersagten Zensur, die durch gigantische Bußgelder erpreßt wird“.

Das Vorgehen sei zudem durch Einseitigkeit geprägt. Während „Fake News“ von Politikern à la Merkels „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben“ sowie linksextreme und islamistische Hetze kaum verfolgt würden, meine die politische Klasse besonders Kritiker der gegenwärtigen Einwanderungspolitik mit repressiven Maßnahmen kontrollieren zu können. Der Kampf gegen Haßsprache verkomme dabei zu einer Hysterie und diene angesichts wankender Deutungshoheit lediglich dazu, den Diskurs zu bestimmen sowie politische Gegner und nichtstaatliche Ansichten mundtot zu machen. 

Joachim Steinhöfel prophezeit Maas eine „demütigende Niederlage“ vor dem Bundesverfassungsgericht und verwies auf ein Urteil von 2009: „Die Absicht, Äußerungen mit schädlichen oder in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlichen Inhalten zu behindern, hebt das Prinzip der Meinungsfreiheit selbst auf und ist illegitim.“ Der Jurist zeigte sich ernüchtert darüber, daß die Union nicht nur Widerstand vermissen lasse, sondern teilweise noch weitergehende Schritte fordert.

Wolfgang Bosbach vermied persönliche Kritik an Heiko Maas und hob hervor, eine ideologische Motivation des Ministers nicht zu erkennen. Vielmehr sei die Intention des Gesetzentwurfes „edel“. Die technische Möglichkeit der weltweiten Nachrichtenverbreitung und die Anonymität im Internet hätten zu einer Verrohung der Umgangsformen geführt. Anfeindungen, aber auch Lügen, welche die gesellschaftspolitische Stimmung, die Meinungsbildung und die Entscheidungsfindung beeinflussen wollen, hätten in jüngster Vergangenheit zugenommen, so daß reagiert werden müsse.

Allerdings sehe auch er zwei Probleme. Die Anweisung, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ zu löschen, lasse die Frage ungeklärt: Was heißt „offensichtlich“? Ob etwas rechtswidrig ist, darüber „können sich ganze juristische Bataillone streiten“. Manche Prozesse zögen sich über Jahre hin, und jetzt solle dies innerhalb weniger Stunden und Tage entschieden werden. „Wenn Facebook und Co. auf der sicheren Seite stehen und nicht mit Bußgeldern rechnen wollen, dann werden sie löschen“, sagte der CDU-Politiker. Denn Zahlungen drohten nur für nicht gelöschte strafbare Inhalte, aber nicht für das Löschen strafrechtlich irrelevanter Beiträge. Genau dies berühre die Meinungsfreiheit. Aufgrund dieser rechtlichen Bedenken und da die laufende Legislaturperiode nur noch vier Sitzungswochen vorsehe, sei er äußerst skeptisch, daß der Gesetzesentwurf noch vor der Bundestagswahl am 24. September beschlossen werde.