© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/17 / 05. Mai 2017

Merkels modulare Plattenbauten 2.0
Die ungebremste Asyleinwanderung zwingt die deutsche Bauwirtschaft zur Reindustrialisierung
Paul Leonhard

Als 2015 die Asylbewerberzahlen sprunghaft anstiegen, propagierten Bundespolitik, Gewerkschaften, Wirtschaft und Leitmedien eine „neue Willkommenskultur“. Skeptikern antwortete Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2016 mit den legendären Worten: „Wir schaffen das, denn Deutschland ist ein starkes Land.“ Doch zu den über eine Million Asylzuwanderern kommen bald Hunderttausende Familienangehörige – und die sollen nicht in Behelfsunterkünften leben.

Mindestens 350.000 Wohnungen müssen daher in Deutschland jährlich neu gebaut werden. Nur so könne die Wohnungsnachfrage besonders in den Ballungszentren befriedigt und gleichzeitig auch für anerkannte Asylbewerber angemessener Wohnraum zur Verfügung gestellt werden, sagt Gunther Adler. Der Staatssekretär im Umwelt- und Bauministerium verweist auf das „Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen“, welches Ministerin Barbara Hendricks (SPD) schon 2014 ins Leben rief.

Höhere soziale und baukultureller Qualität?

Diese Pläne erinnern an die Aufbauzeit, als in West wie Ost Hochhaussiedlungen die Wohnungsnot kostenkünstig beseitigen sollten. München-Neuperlach oder der Osdorfer Born in Hamburg waren anfangs nicht ganz so trostlos wie die DDR-Trabantenstädte, doch längst zieht auch dort freiwillig keiner mehr hin. Die neuen Plattenbauten 2.0 sollen daher von „guter umweltpolitischer, sozialer und baukultureller Qualität“ sein. Und das bei ausufernden Bauvorschriften und ständigen „Nachbesserungen“ durch die Bundesregierung und 16 unterschiedlichen Landesbauordnungen.

So ist eine Erfüllung des staatlich geforderten Wohnungsbaus wohl nur durch eine durchgreifende Industrialisierung der Bauindustrie möglich, die aber noch „in ihren Strukturen mit regionalen Handwerksbetrieben traditionell und diverisifiziert aufgestellt“ ist, wie Horst Wildemann, Leiter des Forschungsinstituts Unternehmensführung an der TU München, erkannt hat.

Der 75jährige Initiator der kostenoptimalen Kanban- und Just-in-Time-Produktion in Deutschland plädiert für einen radikalen Systemwechsel: standardisierte und vorgefertigte Raummodule in Großserie in Fabriken herzustellen und dann auf der Baustelle zu montierten. Wie beim Baukastenprinzip in der Autoindustrie spare das Kosten, senke die Bauzeiten und steigere die Qualität. Wildemann setzt dabei auf exakt vorkonfigurierte Leichtmodule, die aus auf Stahlträgern montierten, wärmegedämmten und verputzten Gipskartonplatten bestehen.

Stadtplaner favorisieren aber weier aus Beton gegossene, vorfabrizierte Fassadenteile, wie sie beispielsweise das Fertigteilwerk in Gröbzig in Sachsen-Anhalt herstellt. So mußte Jochen Daur, Projektleiter der Heinkel Modulbau GmbH, vor zwei Jahren die Erfahrung machen, daß Wohnunterkünfte in Stahlskelett-Modulbauweise beim Berliner Senat wenig Anklang finden. Dort forderte man per Ausschreibung „solide, dauerhafte Betonkonstruktionen“, die „als Betonfertigteile (Treppen, Decken, Fassadenelemente) vorgefertigt werden“ – also Platten- und keine Modulbauten.

Auf diese Weise sind seit Anfang der Fünfziger in Europa ganze Stadtteile errichtet worden, die sich letzlich meist zu Banlieues und „sozialen Brennpunkten“ entwickelten. Eine Bauweise, die „der ideellen Planmäßigkeit zentral gesteuerter Systeme eher entsprach als marktwirtschaftlichen Auswahlprozessen“, konstatiert Florian Musso, Architekturprofessor an der TU München. Da sich weder der „Maßanzug“ konventionellen Bauens noch der „Anzug von der Stange“ einer schwer durchsetzbaren Industrialisierungsstrategie behaupten werden, komme der „Maßkonfektion“ mit Fertigteilen und verbesserten Ortbauweisen eine zentrale Rolle zu.

Betonplattenbauten erfordern einen langwierigen Ausbau des Rohbaus auf der Baustelle, warnt Heinkel-Experte Daur. Beim Modulbau würden lediglich Fundament oder Untergeschoß konventionell errichtet und auf diese fertige Module mit einem Vorfertigungsgrad von mehr als 90 Prozent aufgesetzt. Diese entstehen wetterunabhängig in Hallen, enthalten bereits Fenster, Oberflächenbelag, Sanitäreinrichtung, Beleuchtung und die Medientrasse.

„Eine Standzeit von mindestens 50 Jahren“

Einschließlich der Endarbeiten an den Außenwänden, Dächern und inneren Verbindungen können die Bauarbeiten so in acht bis zwölf Wochen beendet werden. Und die Gebäude können bei Bedarf erweitert, versetzt oder rückgebaut werden. „Wir können nach Auftragseingang in vier bis fünf Monaten liefern, wir erfüllen sämtliche geltenden Bauvorschriften samt Energie, und unsere Häuser haben eine Standzeit von mindestens 50 Jahren“, sagt Daur.

Noch verbinden viele den Modulbau mit übereinandergestapelten Containern auf Großbaustellen ohne räumliche oder architektonische Qualitäten. Inzwischen seien die Baukastensysteme aber konstruktiv ausgereift, energietechnisch optimiert und architektonisch gleichgestellt mit den konventionell errichteten Bauten, schreibt Marian Dutczak, Städtebauprofessor an der TH Köln, in der Deutschen Bauzeitschrift. Zu beachten sei lediglich, daß die maximale Stapelung aus wirtschaftlichen Gründen zur Zeit bei sechs Vollgeschossen liege und daß die Verkehrsinfrastruktur für den Transport der Module geeignet ist.

Damit Brücken und Tunnel passiert werden können, sind die Abmessungen der Module auf eine Breite von sechs, eine Höhe von vier und eine Länge von 20 Metern begrenzt. Auch dürfen hinsichtlich der Rentabilität Baustelle und Produktion maximal 400 Kilometer entfernt sein. Modulbau biete deutliche Vorteile bei Bauzeit, Ausführungsqualität und Umweltschutz, sagt Dutczak. Die Kosten seien im Vergleich zu einem konventionellen Generalunternehmen gleich, die Kosten- und Terminsicherheit jedoch deutlich höher.

Wie modernes modulares Bauen funktioniert läßt sich im Bochumer Stadtteil Hofstede ansehen. Hier hat der Großvermieter Vonovia SE in der Insterburger Straße in nur drei Monaten Bauzeit ein dreigeschossiges Gebäude aus standardisierten Elementen mit 14 Wohnungen errichtet. Man habe damit bewiesen, daß „modulares, serielles Bauen gut funktioniert“, sagt Vonovia-Chef Rolf Buch. In Gelsenkirchen hat die Wohnungsbaugesellschaft GGW von der Planung bis zur Fertigstellung hingegen13 Monate benötigt, um dreigeschossige Wohngebäude mit je 17 Wohnmodulen à 60 Quadratmetern in Fertigteilbauweise zu errichten.

Die Vorteile modularisierter Bauweisen würden zuwenig kommuniziert und im Studium beziehungsweise in der Ausbildung von Architekten und Ingenieuren verankert, kritisiert der aus Leipzig stammende SPD-Staatssekretär Adler: „Industrielles Bauen erfordert die Zusammenarbeit von Planern und Ausführenden von Anfang an, um Ausführungskompetenzen, Kreativität und Innovationen einbringen zu können.“ Verfahrenserleichterungen für Typenprojekte seien denk- und machbar.

Ein Fingerzeig, den der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und der Fachverband Vorgefertigte Raumsysteme aufgegriffen haben. Gemeinsam wollen sie eine Richtlinie zum Thema „Modulares Bauen“ erarbeiten. Ziel ist es, einheitliche Regeln für modulare und serielle Bauweisen zu definieren.

„Bündnis bezahlbares Wohnen und Bauen“: www.bmub.bund.de