© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Von Hiroshima nach Augsburg
Autoindustrie: Der „Kleinhersteller“ Mazda widersetzt sich dem globalen Fusionstrend
Albrecht Rothacher

Es gibt in Augsburg, trotz der Bombenangriffe vom Februar 1944, bedeutsamere Sehenswürdigkeiten – etwa die Fuggerhäuser in der Maximilianstraße. Doch ab kommendem Wochenende kann man dort in einem ehemaligen Straßenbahndepot auch das erste Mazda-Museum außerhalb Japans besuchen. Das schönste ist natürlich am Firmensitz in Hiroshima, doch der bayerische Mazda-Importeur Walter Frey kann mit Dutzenden von exotischen, technisch interessanten Exponaten aus allen Jahrzehnten durchaus mithalten.

Der fünftgrößte japanische Pkw-Hersteller wurde ursprünglich 1920 unter dem Namen Toyo Cork Kogyo als Kork-Veredler gegründet. Erst 1931 begann der damals schon 56jährige Firmengründer Jujiro Matsuda, ein gelernter Schmied, motorisierte Dreiräder, Lkws und Gesteinsbohrer herzustellen. Im Zweiten Weltkrieg kam die japanische Standardwaffe Arisaka Typ 99 hinzu.

Und nur fünf Jahre nach dem Atombombenabwurf vom 6. August 1945 begann Mazda wieder Lkws herzustellen. 1960 kam das erste Pkw-Modell auf den Markt: der R360, ein viersitziges Coupé mit 16 PS, das dank des optionalen Automatikgetriebes auch behindertentauglich war – und seither ist Mazda auch ein Sonderfall unter den Autoherstellern.

1961 wurde eine Lizenz für den deutschen Wankelmotor erworben. Während Audi-NSU, Citroën oder Mercedes vor der Technik des Rotationskolbenmotors kapitulierten, produzierte Mazda Hunderttausende davon – bis der hohe Wankel-Spritverbrauch und die Ölkrise den heute fünftgrößten japanischen Autohersteller in Schwierigkeiten brachten. 1974 mußte Ford als Kooperationspartner und 1979 als Teilhaber akzeptiert werden. Dennoch schaffte es Mazda 1981 als einzige japanische Firma, 10.000 Autos vom „Golf“-Typ 323 an die devisenarme DDR zu verkaufen.

Obwohl Ford nie über ein Drittel an Mazda besaß, degradierte der US-Gigant die Wankel-Fetischisten aus Hiroshima zum Tochterunternehmen: Keine Konkurrenz für Ford-Modelle und keine Auslandsproduktion, die Ford in die Quere kommen könnte – GM und Opel lassen grüßen. Zwischen 1996 und 2003 besetzen Amerikaner und Briten den Vorstand in Hiroshima. Die Weltfinanzkrise brachte 2009 die Wende: Ford ist technisch pleite. Um nicht staatlich gerettet (GM) oder aufgekauft zu werden (Chrysler durch Fiat), muß Ford seine Mazda-Anteile bis auf 2,1 Prozent verkaufen – die Japaner sind wieder frei.

Mit einer Produktion von 1,2 Millionen Fahrzeugen pro Jahr und einer eingedampften Palette – in Deutschland sind nur sechs verschiedene Grundmodelle im Angebot – spielt Mazda nicht in der Liga der drei Zehnmillionenhersteller VW, Toyota und GM. Auch fehlt der Nimbus der Exklusivität von Daimler und BMW, die stückzahlmäßig sogar noch knapp vor Mazda liegen.

Viel Eigensinn und Sparsamkeit

Immerhin ist der seit 1989 produzierte MX-5 mit über einer Million Exemplaren der meistverkaufte Roadster der Welt. Mazda-Hauptproduktionsstandort ist weiter Hiroshima. Seit 2014 wird in Mexiko Mazdas 3er-Reihe hergestellt. Hinzu kommen einige kleinerer Fertigungsstätten in Asien, die die Mazdas lediglich zusammenschrauben.

In Japan selbst schrumpft der Absatzmarkt, die Bevölkerung altert. Die autofahrende Provinz stirbt langsam aus. Die Jungen leben in Großstädten und kaufen, auch weil sie immer weniger Familien haben, kaum noch Pkws. Die effizienten und sauberen Massentransportmittel von der U-Bahn bis zum Hyperschnellzug Shinkansen reichen auch. Also was tun in einem Hochkostenstandort wie Japan, von wo man direkt exportiert und nicht wie Nissan, Honda und Toyota für den europäischen Markt in Frankreich und Großbritannien produziert? In Europa wurden 2016 etwa 240.000 Mazdas abgesetzt. Das entspricht einem Marktanteil von 1,5 Prozent. In Deutschland waren es mit 63.000 sogar 1,9 Prozent – und damit mehr als bei Kia, Peugeot oder Citroën.

Mazda profitiert vom niedrigen Yen, dessen Währungsdumping angesichts des Brexit, des Euro-Niedergangs und trotz der Liquiditätsflut der „Abenomics“ immer schwieriger wird. Mazda setzt auf Kostenersparnisse, wie ein Besuch in der Firmenzentrale in Hiroshima offenbart: graue, endlose Fabrikhallen in einer öden Industrievorstadt. Bei der Lehrlingsausbildung: Zerschlissene Plastikstühle. Wände, denen frische Farbe guttäte. Es gibt grünen Tee aus Papierbechern, nicht mehr die opulenten Geschenke, mit denen die Besucher einst verwöhnt wurden.

Die jungen Leute, die künftige Elite der Industriearbeiter Hiroshimas, sollen lernen, mit den Robotern gut zusammenzuarbeiten, von ihnen nicht zerquetscht zu werden und die Monster trotzdem zu mögen und zu pflegen. Sie wirken als junge Arbeiterelite motiviert und willig, doch ihre Karrierechancen? Maximal „Kakaricho“, Vorarbeiter und Gruppenführer in der Produktion also. Alle wirklichen Führungsfunktionen bleiben Hochschulabsolventen überlassen, die intern weiter geschult und ausgesiebt werden. Zudem gibt es Partnerschaften mit Ford oder Toyota.

Die Kooperation von Suzuki und VW endete im Streit. Daimler übernahm zwar 2011 Fuso (die Lkw-Sparte von Mitsubishi) zu 90 Prozent, doch bei Pkws fand man – anders als BMW und Toyota – nicht zusammen. Die 1999 geschmiedete Renault-Nissan-Allianz klappt offenbar, sie wurde 2016 sogar um Mitsubishi erweitert.

Vielleicht sind deutsche Automanager zu arrogant im Umgang mit Japanern. Dabei beweist Mazda erneut Mut, etwa im Motorenbau. Während europäische Hersteller auf „Downsizing“ plus Turboaufladung setzen und selbst BMW schon fragile Dreizylinder-Motoren anbietet, verweigert sich Mazda diesem Benzinspartrend. Die Ingenieure setzten auf Hubraum und höhere Verdichtung. Mazdas SUV-Erfolgsmodell CX-5 erreicht daher nicht die Beschleunigungswerte des Marktführers VW Tiguan. Welches Motorenkonzept letzlich länger hält, ist aber eine ganz andere Frage.

Das „Mazda Classic Automobil Museum“ wird am 13. Mai in Augsburg eröffnet: mazda-classic-frey.de