© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Gegenentwürfe zur Übermacht
Natur, Mensch und Technik: In der Kunsthalle Mainz ist die Ausstellung „Biotopia“ zu sehen
Claus-M. Wolfschlag

An Installationskunst muß man schon Gefallen finden, wenn man sich in die Mainzer Schau „Biotopia“ begibt. Denn auf teils stark abstrahierende Weise setzen sich zahlreiche moderne Künstler mit der „evolutionären Sackgasse“ auseinander. Kuratorin Sabine Rusterholz Petko versteht im Einleitungstext darunter das Zeitalter des Anthropozäns. Der Begriff geht auf den Atmosphären-Chemiker und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen zurück. Er vertritt die These,  daß der Mensch, der sich „Jahrtausende gegen die Übermacht der Natur behaupten mußte“, sein Verhältnis zur Natur spätestens mit der Industrialisierung umgedreht habe.

Die neun Künstler der Ausstellung würden, laut Rusterholz Petko, somit „Modelle für mögliche Gegenentwürfe oder zumindest Ansätze für ein Umdenken“ suchen. Das ist etwas zu hoch gegriffen, gleichwohl ist bei einigen Künstlern Ehrfurcht vor der Natur spürbar. Es handelt sich dabei um die besseren, emotional berührenden Arbeiten, die sich von anderen abstrahierenden Spielereien abheben.

Der in Brasilien lebende Daniel Steegmann Mangrané zeigt eine Wald-Fotoreihe und macht ein Stück des tropischen Regenwaldes mittels Virtual-Reality-Technik erfahrbar. Mit Hilfe einer Brille wird dem Besucher das Eintauchen in eine 3D-Rundperspektive ermöglicht. Die Aufnahmen machte der Künstler mittels eines 360-Grad-Scanners und verfremdete sie dann. Somit ist nur die Struktur des Waldes erfahrbar, er bleibt aber farblos, „nur ein Phantom, eine holographische Vision der realen Natur“.

Der in Berlin lebende Schweizer Julian Charrière hat in einer riesigen gläsernen Kühlvitrine mit flüssigem Stickstoff tropische Pflanzen tiefgekühlt, deren Ursprünge in die Kreidezeit zurückreichen. Die Exponate wirken unter der Eisschicht wie Fossilien, die eine Klimakatastrophe überstanden haben, als sei die Zeit für sie angehalten worden. Das Schweizer Künstlerpaar Monica Studer und Christoph van den Berg wollen darauf hinweisen, daß Vögel durch den Verkehrslärm angeblich die Fähigkeit zum Singen verlernen könnten. An einem Amiga-2000-Computer haben sie deshalb Vogelgezwitscher künstlich neu kreiert. Die Amerikanerin Elodie Pong zeigt Pflanzenskulpturen aus dem 3D-Drucker, der aus Cottbus stammende Phillip Zach diverse Polyurethanschaum-Wandbilder zum Thema Würmer.

Versöhnt werden auch ratlose Besucher der Ausstellung mit dem Film „Travel“ des flämischen Videokünstlers David Claerbout. Zu New-Age-Entspannungsmusik können sie eine meditative Bildreise durch einen dunklen Wald genießen.

Die Ausstellung „Biotopia“ ist bis zum 30. Juli in der Kunsthalle Mainz, Am Zollhafen 3-5, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr, zu sehen. Telefon: 0 61 31 / 12 69 36

 http://kunsthalle-mainz.de