© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Was macht Dschihadismus attraktiv und wie kann man ihm entgegenwirken?
Die Rückkehr der Dämonen
Anton Friesen

Was haben dschihadistische Attentäter mit den nihilistischen Terroristen aus Dostojewskijs ,,Dämonen“ gemeinsam? Was bewegt vorwiegend junge Menschen, aufgewachsen und sozialisiert in Deutschland, sich in Syrien oder dem Irak dem Islamischen Staat anzuschließen oder in Deutschland Anschläge zu begehen? Was sind die tieferen Ursachen ihrer Radikalisierung – und vor allem: Was kann man gegen sie tun?

Der im Westen weitgehend unbekannte deutschstämmige russische Emigrant Eugen E. Messner (1891–1974), Oberst im zaristischen Generalstab während des Ersten Weltkrieges, liefert in seinen beiden Hauptwerken „Aufstand – der Name des Dritten Weltkriegs“ (1960) und ,,Weltweiter Aufstand – der globale Krieg“ (1970) Antworten. Seine Überlegungen sind im Kontext der kommunistischen Subversion und Infiltration und den Studentenunruhen in den Ländern des Westens (,,1968“) entstanden, aber gerade heute vor dem Hintergrund des weltweiten Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus/ Dschihadismus aktuell.

Messner fragt nach den Ursachen der globalen Ausbreitung von Bürgerkriegen, Aufständen, Rebellionen und Terrorismus in der zweiten Hälfte der 1960er beziehungsweise in den 1970er Jahren. Er findet sie in einer permanenten Revolution, die sowohl das Bewußtsein des Individuums, die Wertebasis der grundlegenden gesellschaftlichen Institutionen wie der Familie, als auch den Staat angreift. Insofern ist der Aufstand nicht nur von seiner Reichweite her global, sondern auch universal – weil er alle Bereiche des menschlichen Daseins betrifft: die Persönlichkeit, die Gesellschaft und den Staat.

Die Revolution des Bewußtseins geht mit der Zerstörung der traditionellen, religiös legitimierten Werte einher. Ähnlich wie bei den anarchistischen Terroristen aus Dostojewskijs ,,Dämonen“ rebelliert das nihilistische Individuum, das keine von der Religion oder dem Staat gesetzten Grenzen anerkennt, gegen die hergebrachte gesellschaftliche und politische Ordnung. Genauso wie es weit davon entfernt ist, die traditionelle religiöse oder politische Autorität zu bejahen, verneint das anarchistisch-nihilistische Individuum jegliche elterliche Autorität.

Der Psychoanalytiker Peter Conzen verweist auf eine Definition des Fanatismus, die ziemlich gut sein Wesen als Rebellion gegen die hergebrachte Ordnung, die Tradition, erfaßt. Demnach ist der Fanatismus als das blinde, alle Kräfte, Fähigkeiten und Interessen des Menschen umfassende Verfolgen eines vom Subjekt als moralisch angesehenen Ziels zu begreifen. Dabei werden alle übrigen familiären, religiösen und moralischen Pflichten vernachlässigt. Alle Mittel sind im Kampf gegen den als absolut böse begriffenen Feind gerechtfertigt– ohne Rücksicht auf hergebrachte Normen. Das Individuum setzt sich – gerade beim religiösen Fundamentalismus – in eins mit der göttlichen Autorität. Es ,,spielt Gott“ und greift damit, paradoxerweise, die göttliche Autorität an. An den Attentätern des 11. September und an den bestialischen Schandtaten des Islamischen Staates sieht man exemplarisch, wohin apokalyptischer Nihilismus, gepaart mit Allmachtsphantasien, führen kann.

Seit 2012 hat sich die Zahl der Salafisten in Deutschland auf 9.000 verdoppelt. Der Salafismus wirkt häufig als ,,Durchlauferhitzer“ für den terroristischen Dschihadismus: Im Zeitraum 2011–2016 sind 5.000 Personen aus Westeuropa nach Syrien ausgereist. 

Der Angriff auf die tradierten Werte und Institutionen auf der Ebene des Individuums und der Gesellschaft setzt sich beim Staat fort. Wie von Messner bereits ausgemacht, wird die Autorität der Vertreter der Zwangsinstitutionen des Staates, welche wie Polizisten für Recht und Ordnung sorgen, untergraben.

Zurück ins Heute: Warum erfreut sich die gefährlichste, weil häufig direkt in den Dschihad führende Form des Islamismus – der Salafismus – so großer Beliebtheit und ist nach Ansicht führender Experten wie Ahmad Mansour die dynamischste Jugendbewegung in Deutschland? Seit 2012 ist die Anzahl der Salafisten in Deutschland von 4.500 auf gegenwärtig 9.000 angestiegen – ein Zuwachs um 100 Prozent! Der Salafismus wirkt häufig als „Durchlauferhitzer“ für den gewalttätigen, terroristischen Dschihadismus: Alleine im Zeitraum 2011 bis 2016 sind 5.000 Personen aus Westeuropa nach Syrien ausgereist, um sich dort dem Islamischen Staat oder anderen dschihadistischen Organisationen anzuschließen.

Was wir nach aktuellen Studien, zum Beispiel des bekannten Islamismusexperten Olivier Roy, über Salafisten wissen, stützt die obigen Überlegungen: Offensichtlich handelt es sich um Personen, die sich von den traditionellen islamischen religiösen Autoritäten abgewandt haben und schon bevor sie sich radikalisierten mit dem Staat, mit Recht und Gesetz, in Konflikt geraten sind. Das niederländische Forschungsinstitut ICCT ermittelte in einer großangelegten, europaweiten Studie, daß zwei Drittel der untersuchten Dschihadisten polizeibekannt sind.

In einer Untersuchung über Dschihadisten mit krimineller Vergangenheit kommen die Terrorismusexperten Rajan Basra und Peter Neumann zu dem Ergebnis, daß 68 Prozent der 79 untersuchten Personen Kleinkriminelle waren und 65 Prozent Gewalt anwandten (Basra, Rajan / Neumann, Peter R.: „Criminal Pasts, Terrorist Futures: European Jihadists and the New Crime-Terror Nexus“, in: „Perspectives on Terrorism“, Band 10 (6), 2016, S. 25-40).

Fast jeder fünfte Dschihadist ist ein Konvertit. Offensichtlich handelt es sich bei den immer jünger werdenden Terroristen um Jugendliche und junge Erwachsene, die auf Sinnsuche sind und nicht von Imamen, welche einen traditionellen Islam predigen, erreicht werden oder aber sich von ihrem hergebrachten christlichen Glauben abgewandt haben.

Zerrüttete Familienstrukturen und eine Kluft zwischen den Generationen, die sich darin zeigt, daß gerade die oftmals arbeitslosen oder abwesenden Väter nicht mehr als Autoritäten gelten, tragen zum Gesamtbild eines nihilistischen, von den Traditionen und den traditionellen Autoritäten losgelösten Individuums bei. Dieses Individuum saugt extremistische Ideologien wie ein Schwamm auf, bietet doch gerade der Salafismus Sinn, Gemeinschaft, Disziplin, Erlösung von der kriminellen Vergangenheit und einem Leben, das aus sexuellen und sonstigen Ausschweifungen besteht, und stärkt das Selbstwertgefühl durch die proklamierte moralische Überlegenheit sowie Allmachtsphantasien, die sich gewalttätig entladen.

Wenn das Übel geistig ist, muß es auch die Medizin sein. Der Kampf gegen den islamistischen Terrorismus ist vor allem ein geistiger Kampf. Es gilt, die traditionellen Autoritäten in Religion, Gesellschaft und Politik zu stärken. Das fängt ,,ganz unten“ bei den muslimischen Gemeinden an. Dort braucht man Imame, die die Sprache der Jugendlichen sprechen. Das ist durchaus wortwörtlich zu verstehen. Die Sprache der hier geborenen und aufgewachsenen Jugendlichen ist Deutsch. Während aber Salafisten Jugendliche auf deutsch ansprechen, tun es die Imame von Moscheen der traditionellen islamischen Verbände aufgrund mangelnder sprachlicher Kompetenzen nicht. Eine Ausbildung von Imamen an deutschen Universitäten und eine Deutschpflicht für ihre Predigten sind deshalb sinnvolle Maßnahmen.

Imame aus Staaten, die in der ganzen Welt den Islamismus fördern, dürfen nicht in Deutschland predigen beziehungsweise gar nicht erst nach Deutschland einreisen. Islamistische Moscheen und Vereine müssen konsequent verboten werden.

Die ausländische Einflußnahme – Ditib und der türkische Staat unter der islamistischen Herrschaft Erdogans, Förderung von Salafismus durch Saudi-Arabien, Katar etc. – muß konsequent unterbunden werden. Die Tätigkeit der Ditib, wie der größten islamistischen Organisation in Deutschland, Millî Görüs, auf deutschem Staatsgebiet ist zu verbieten. Moscheen und islamische Vereinigungen in Deutschland dürfen – ebenso wie in Österreich – nicht aus dem Ausland finanziert werden. Imame aus Staaten, die weltweit den Islamismus fördern, dürfen nicht in Deutschland predigen beziehungsweise gar nicht erst nach Deutschland einreisen. Islamistische Moscheen und Vereine müssen konsequent verboten werden.

Auf der „nächsthöheren Ebene“ muß der deutsche Staat Autorität vermitteln und Gehorsam einfordern. Dies fängt ,,ganz oben“ beim Einfordern und Sanktionieren von gemeinsamen Werten an (aktuelles Stichwort: deutsche Leitkultur) und hört „ganz unten“ bei Gerichten auf, die Strafen möglichst nicht auf Bewährung oder nach dem Jugendstrafrecht verhängen sollten. Strafen – auch bei kleinkriminellen Delikten – sollen eine abschreckende Wirkung haben und auf dem Fuß folgen. Gleichzeitig muß verhindert werden, daß in Gefängnissen Radikalisierungsprozesse stattfinden. Daher sollten Islamisten (Salafisten) in Justizvollzugsanstalten isoliert und die Justizbediensteten umfassend für die Anzeichen einer islamistischen Gesinnung beziehungsweise einer Radikalisierung sensibilisiert werden. Jegliche Zirkulation extremistischer Propaganda ist zu unterbinden. Muslimische Seelsorge muß von in Deutschland ausgebildeten Imamen geleistet werden, um den extremistischen Einfluß in den Gefängnissen zurückzudrängen.

Jenseits von Einzelmaßnahmen braucht es in Deutschland einen inklusiven, integrierenden Patriotismus. Das Bekenntnis zu Deutschland muß in der Schule vermittelt und in der Gesellschaft eingefordert werden. Die deutsche Gesellschaft und der deutsche Staat stellen die Chancengerechtigkeit in Bildung und Beruf – unabhängig von Religion und ethnischer Herkunft – her, verlangen aber auch einen loyalen Staatsbürger, der sich aktiv für das eigene Land einsetzt. Dies kann gerade bei der jüngeren Generation auf vielerlei Art und Weise bewerkstelligt werden – zum Beispiel durch einen verpflichtenden Dienst an der Gemeinschaft im zivilen oder militärischen Bereich, der sowohl junge Männer als auch Frauen umfaßt. So wird ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, das Jugendliche gegenüber der salafistischen Verheißung widerstandsfähiger macht.

Schließlich gilt es „ganz oben“, auf der internationalen Ebene, für eine Allianz der Zivilisationen einzutreten, die den anderen als solchen akzeptiert. Statt „liberaler Kreuzzüge“ muß der Westen traditionelle religiöse und kulturelle Eigenarten (wie aus den vorherigen Ausführungen hervorgeht, gehört der Islamismus gerade nicht dazu) anerkennen. Eine weltweite moralische Aufrüstung gegen Fundamentalismus, Extremismus und Terrorismus wird nur auf Basis der zivilisatorischen Vielfalt erreicht. Ebenso wie der weltweite Aufstand ist auch der weltweite Frieden primär ein Produkt des Geistes.






Dr. Anton Friesen, Jahrgang 1985, promovierte an der FU Berlin mit einer Arbeit über die US-Strategie im Afghanistankrieg. Der Politologe ist heute Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag. Er veröffentlichte zu Kriegstheorien, Geopolitik sowie russischer und US-amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik.

Foto: Bei einer Kundgebung der radikalen salafistischen Hetzer Abu Abdullah (l.) und Sven Lau (r., muß sich zur Zeit vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen mehrfacher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland verantworten) wird ein junger Mann in die moslemische Gemeinde aufgenommen, März 2015 in Wuppertal: Fanatismus als das blinde, alle Kräfte, Fähigkeiten und Interessen des Menschen umfassende Verfolgen eines vom Subjekt als moralisch angesehenen Zieles