© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Herrin und König
Vor dreihundert Jahren wurde die Habsburger-Monarchin Maria Theresia geboren
Eberhard Straub

Laß Dich warnen und heirate ja nie einen Mann, der nichts zu tun hat!“ Diesen lebensklugen Rat gab Maria Theresia, vor dreihundert Jahren am 13. Mai 1717  geboren, ihrem Kammerfräulein Charlotte Hieronymus, wie deren Tochter, die Schriftstellerin Caroline Pichler, in ihren Lebenserinnerungen berichtet. Ihre Mutter hielt sich daran und heiratete den mächtigen und geistreichen Beamten Franz Sales von Greiner, den Vertrauten der alternden Kaiserin, wie sie gemeinhin genannt wurde, obschon sie es gar nicht war. 

Diese hatte aus Liebe 1736 den in Wien aufgewachsenen Flüchtling vor den Franzosen, den armen, aber ungemein eleganten und liebenswürdigen Herzog Franz Stephan von Lothringen geheiratet. Den seit 1737 zum Großherzog von Toscana avencierten Lothringer wählten 1745 die Kurfürsten zum Kaiser, allein aus dem Grund, weil er Maria Theresias Mann war. So wurde sie aus Höflichkeit wie eine Kaiserin angeredet und behandelt, obschon sie sich hartnäckig den Bitten nun des Kaisers Franz I. verweigert hatte, sich festlich zur Kaiserin krönen zu lassen, wie vor ihr viele Frauen der Kaiser. Reich und Kaiser bedeuteten für sie eine Minderung ihrer Souveränität. Denn als Reichsstand und gar als gekrönte Kaiserin wäre sie verpflichtet gewesen, auf diese beiden übergeordneten Größen gewisse Rücksichten zu nehmen. 

Alle ihre Titel waren reichsfürstliche. Nur als König von Ungarn war sie souverän und völlig unabhängig von Kaiser und Reich. Sie beteuerte stets, eine aufrichtige Ungarin zu sein. Für Ungarn gehört Maria Theresia, Domina et Rex, Herrin und König, zu den großen Monarchen ihres alten und ehrwürdigen Königreiches. 

Maria Theresia trieb nicht als Reichsfürst Politik, sie verfolgte als König von Ungarn, als Souverän, im Sinne der Staatsräson ihre Interessen, ohne Rücksicht auf Kaiser und Reich. Der Lothringer – Kaiser Franz I. –, ein Reichsfürst aus der, neben den Welfen, ältesten Dynastie im Reich und in Europa, ist den Deutschen höchstens als „Simandl“ in Erinnerung geblieben, also als Pantoffelheld, wie die Norddeutschen sagen, eben als Mann „der Kaiserin“. Im Reich nicht mehr begütert – und ob Toscana wirklich noch zum Heiligen Römischen Reich gehörte, blieb damals heftig umstritten –, war es für ihn kaum möglich, an der Seite seiner energischen Frau sich als Kaiser und selbständige politische Kraft behaupten zu können. 

Mit dem Kaisertum hatte sie nichts mehr im Sinn

Sie sorgte dafür, daß er nichts zu tun hatte. Als Privatier war er überhaupt nicht unbetriebsam. Er war ungemein geschäftstüchtig und wurde zu einem der reichsten Männer des Jahrhunderts. Der Römische Kaiser als bourgeois gentilhomme, als rechnender und spekulierender Bürgerkönig – das war für jeden Aristokraten eine peinliche Figur. „Die Kaiserin“ erbte 1766 die Millionen ihres Mannes. Sie tilgte damit sofort die Schulden, die sie mit ihren Kriegen aufgehäuft hatte. Als wahre Fürstin und Adelige verachtete sie das Geld, sie war und blieb eine menschenfreundliche und lustvolle Verschwenderin. 

Doch als Staatsoberhaupt mußte sie auch an das Gemeinwohl und den neuesten Staatszweck, nämlich das Glück der Untertanen, denken und in diesen Zusammenhängen rechnen, sparen und überhaupt eine gute Haushälterin des Staates sein. Eine Bürgerkönigin wollte sie unter gar keinen Umständen sein. Sie war vollkommen von ihrer Majestät ergriffen. Mit dem Kaisertum hatte sie nichts mehr im Sinne. Das Reich betrachtete sie als Ausland und brach mit den Traditionen ihres Hauses, des Allerhöchsten Kaiserhauses. Dieser Bruch äußerte sich dramatisch in dem Bündnis mit Frankreich, das sie 1756 gegen alle Einwände des Kaisers abschloß. Damit begann die allmähliche Abkehr der Deutschen von Österreich. Die vollständige Niederlage bei Roßbach, die 1757 Friedrich der Große den Franzosen und der Reichsarmee beibrachte, bildete den großen Wendepunkt. Von nun an bekamen Deutschland und deutsche Kultur einen neuen, alles belebenden Inhalt, wie sich Goethe später erinnerte, der „fritzisch“ in seiner Jugend gewesen war. 

Friedrich II. begann mit seinem Einfall in Schlesien im Dezember 1740 den europäischen Krieg um das österreichische Erbe. Die meisten Staaten hatten die weibliche Erbfolge, wie sie Karl VI. in der Pragmatischen Sanktion 1713 festlegte, aufgrund großer Zugeständnisse anerkannt. Prinz Eugen riet als staatskluger Berater davon ab, Verträge und Verrechtlichung politischer Fragen als unerschütterliches Fundament der Monarchie einzuschätzen. Ein starkes Heer und geordnete Finanzen böten bessere Aussichten für die Sicherheit der Kronländer. Daran fehlte es 1740, als Kaiser Karl VI. starb und es trotz aller Verträge eine „Österreichische Frage“ gab. 

Der preußische König strebte nicht nach einer Aufteilung der Staaten des Hauses Österreich. Vergrößert um Schlesien wünschte er allein Gleichberechtigung Preußens, einen Dualismus und Wettbewerb der beiden führenden Mächte im Reich, bereit Maria Theresia gegen all ihre Feinde zu unterstützen. Solche Angebote erschienen ihr verständlicherweise unsittlich, was allerdings politisch wenig weitsichtig  war. Auf der Zusammenarbeit von Österreich und Preußen beruhte seit 1814, nach dem Sieg über die Französische Revolution und Napoleon, die Ruhe und Sicherheit der Mitte Europas und damit des gesamten Kontinents. 

Was Maria Theresia dem preußischen König verwehrte, gestand sie nach zähen Verhandlungen Ungarn zu: eine Doppelherrschaft im Verein der Erbländer, die von nun an als eine kompakte Masse, ein Gesamtstaat, vereint durch das Haus Habsburg-Lothringen, verstanden wurden. „Die Monarchie“ wiederholte in kleineren Verhältnissen die föderalen Verhältnisse im alten, verblassenden Römischen Reich. 

Maria Theresia ist die eigentliche Gründerin dieser europäischen Großmacht und dieses sehr europäischen Vielvölkerverbandes, in dem tatsächlich Einheit in Vielfalt erreicht wurde, gerade weil die Monarchin nicht nach Homogenisierung, nach der Gleichheit der Lebensverhältnisse in sämtlichen Kronländern und Staaten strebte. Wien war nicht Brüssel! Zusammengehalten wurde dies weite Reich durch Beamte und Offiziere, die sich vorwiegend des neuen Latein, der deutschen Sprache, als Reichsverkehrssprache bedienten, wie einst die alten Römer in ihrem vielsprachigen Imperium. 

In diesem Sinne sorgte Maria Theresia, die selber nur ein derbes Wienerisch sprach, dafür, daß durch Spracherziehung Deutsch überhaupt zu einer eleganten, weltläufigen Sprache wurde, geeignet mit ihr ein großes Reich zu verwalten und in enger Verbindung mit der deutschen Kultur zu halten. Das Deutsch des Burgtheaters und der Hofräte, bis weit ins 20. Jahrhundert geläufig, die feinste Variante des Hochdeutschen, bestätigte anschaulich, daß in Wien bald der Geist Weimars herrschte, eine Herrschaft, die Maria Theresias Schul-, Sprach- und Kulturpolitik vorbereitet hatte. 

Insofern geriet die Monarchie in sich verändernden Zeiten in viel engere Beziehungen zu den Deutschen im alten Reich und bildete zusammen mit den übrigen deutschen Staaten ein gemeinsames Mitteleuropa, vereint durch eine gleiche Kultur, von der immer noch Überbleibsel zwischen Linz und Czernowitz, von Innsbruck bis Triest und Hermannstadt zeugen. 

Das Wien und Österreich der Maria Theresia ist den Deutschen am vertrautesten durch den „Rosenkavalier“ geblieben, die Oper des Wiener Dichters Hugo von Hofmannsthal, des Münchner Komponisten Richard Strauss, 1911 uraufgeführt in Dresden, wohin wegen des Erfolges gleich Sonderzüge von Berlin aus verkehrten, also ein Symbol für mitteleuropäische, kulturelle Eintracht. In das Österreich, in das Böhmen und Ungarn zur Zeit Maria Theresias – „Rokoko, verstaubt und lieblich, / Seht … das Wien des Canaletto, / Wien von siebzehnhundertsechzig“, wie der junge Hofmannsthal dichtete – führt jetzt auf prosaisch-wissenschaftlichen Wegen die Biographie der Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger hinein. Dies voluminöse Werk ist keine Lebensbeschreibung im engeren Sinne. Es ist ein Bündel von Essays zur Organisation der Verwaltung, zur Aufklärung und zu vielfachen Reformen unter deren katholisch nuancierten Einfluß, zur Entfaltung der verschiedenen Konfessionen in der Monarchie, zur zielbewußt gelenkten Einwanderung oder Umsiedlung, zur Türkenmode – auch Maria Theresia trat in prächtigen Gewändern als Türkin auf. 

Mehr Aktenstudium als höfische Zerstreuung

Besondere Aufmerksamkeit widmet Barbara Stollberg-Rilinger den früher oft vernachlässigten Fragen des Zeremoniells, der höfischen Welt und mitten in ihr der wegen ihrer sechzehn Kinder wieder recht stattlich gewordenen Familie mit genug männlichen Erben. Maria Theresia war eine anstrengende Geliebte und Ehefrau, eine fordernde Mutter und eine zuweilen recht ungeduldige, sehr launige Herrscherin, gewohnt, daß ihr Wille geschehe. Sie glich ihrem preußischen Vetter darin, die meiste Zeit am Schreibtisch verbracht zu haben und noch im Bett bis Mitternacht mit Akten und Korrespondenzen beschäftigt. 

Ihr verspieltes Schönbrunn spricht von dem Rokoko koketter Frauen, zierlicher Kavaliere und witziger Abbati, das Hofmannsthal beschworen hatte. Doch an deren Treiben nahm die Monarchin immer weniger Anteil. Herrscher haben selten ein Privatleben. Sie müssen regieren, und das heißt arbeiten, oder repräsentieren, was meint, unpersönlich eine Idee veranschaulichen, das Königtum, das niemals stirbt. Insofern liegt es nahe, statt eine dramatisierte Lebensgeschichte vorzulegen, mit einer Sammlung von Abhandlungen Zeit und Raum zu behandeln, auf deren Herausforderung ein Monarch passende Antworten mit seinen Räten finden mußte. So kann man diesen Lebensbericht wie ein gelungenes Nachschlagewerk benutzen.

Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia – Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2017, gebunden, 1.083 Seiten, Abbildungen, 28,99 Euro