© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Umwelt
Aphrodites Speisekarte
Volker Kempf

Wildvögel zu töten ist in der griechischen Republik Zypern verboten. Wer bei der Vogeljagd erwischt wird, der muß zwischen 600 und 800 Euro zahlen. Dabei wären Strafen im fünfstelligen Bereich möglich, sogar mehrjährige Gefängnisstrafen. Die milden Strafen führen dazu, daß Vogeljäger einfach mehr Vögel jagen, um die Geldbuße wieder reinzubekommen. Von 2,3 Millionen getöteten Wildvögeln, die jeden Herbst das Mittelmeer mit Zwischenstation auf der Insel der Aphrodite überqueren wollten, gehen Vogelschützer aus. Die große Zahl der getöteten Tiere ist nur durch die Jagd mit Netzen möglich, die ausgelegt werden. Singvögel verfangen sich in den Netzen, zappeln bis zur Erschöpfung, werden getötet und in Eimern eingesammelt. Von der Vogeljagd sind Vogelschützern zufolge mehr als 150 Vogelarten betroffen, von denen 78 auf der EU-Liste gefährdeter Arten stehen sollen.

Wäre es nicht effektiver, dort anzusetzen, wo die Vogelbestände am meisten dezimiert werden?

In Restaurants und Tavernen können Nachtigallen, Mönchsgrasmücken, Bienenfresser, Rotkehlchen, Weidenlaubsänger und Singdrosseln gegessen werden. Sie stehen nicht auf der Speisekarte, sondern werden unter der Hand angeboten – das unter Einheimischen aber rege. Die Situation ist absurd: Da werden Vögel im Mittelmeerraum massenhaft getötet. Auf der anderen Seite werden in der EU Vogelschutzprogramme aufgelegt und Schutzgebiete ausgewiesen. Für den Bienenfresser etwa werden in den Rebbergen des Kaiserstuhls ganze Hänge für einzelne Exemplare hergerichtet. Wäre es nicht effektiv, dort anzusetzen, wo die Vogelbestände am meisten dezimiert werden? Geltendes Recht nur so umzusetzen, daß die Wilderer gut damit leben können, ist ein Skandal, den die EU auch als solchen behandeln müßte. Das Ethos Europas, wo ist es in der EU nur geblieben?