© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/17 / 12. Mai 2017

Eleganz als Rebellion
Übertrieben modisch gekleidet: Dandys sind zu einem weltweiten Phänomen geworden
Heiko Urbanzyk

Da war diese Juristen-Fortbildung: Der Dozent trägt ein blaues Hemd mit Blumenmuster, darüber ein kariertes Jackett im englischen Landhausstil mit Ärmelschonern, Anzughose mit Hochwasser, Lackschuhe und bunte Socken. Tuscheln unter den Zuhörern. Weiß der Mann, was er da trägt? Vielleicht ist der honorige Richter a.D. ein Dandy? Der Stilbruch wäre dann Eleganz, das Auffallen bewußte Lebenseinstellung und Abkehr vom Niederen, Massentauglichen, das Unverständnis der Hörer ein Ritterschlag.

Oscar Wilde war ebenso Dandy wie Andy Warhol. Benjamin Stuckrad-Barre und Christian Kracht gelten als moderne Vertreter in Deutschland. Auch Pim Fortuyn soll einer gewesen sein – laut Duden „ein sich übertrieben modisch kleidender Mann“. Während Dandys in Kurdistan und im Kongo mit teurer Designerware ihren Stil definieren, suchen Vertreter aus reichen Nationen ihre Erfüllung mitunter in gebrauchter Kleidung („Vintage“) oder Opas alten Anzügen. 

Das weltweite Phänomen des „Dandyismus“ kennt auch dank Facebook und Instagram keine Grenzen. Allerdings bringe jedes Land seine eigenen Stile und Motivationen mit sich, erklärt das vergangene Jahr erschienene Buch „We are Dandy“ mit seinen Bildern des „elegant Gentleman around the World“. In einer Welt „der Eintönigkeit und globalisierten Modestile bewahren lediglich einige kultivierte Gentlemen durch ihren Lebens- und Kleidungsstil ihre Unabhängigkeit“, heißt es in dem früheren Werk „I am Dandy“.

Auch Studienobjekt war der feine Herr bereits –  so 2004 in Aus Politik- und Zeitgeschichte. Sein Stil sei stets Rebellion und Geisteshaltung. Gegen was rebelliert wird, bestimmen Zeit und Ort. Wenn der Mann als Dandy sich auch nur auf sich selbst bezieht, so hat er doch eine Botschaft an seine Umwelt.  

In Brazzaville, der Hauptstadt des Kongo, existiert die Bewegung unter verschiedenen Bezeichnungen seit den 1970ern. „La Sape“ („Société des Ambianceurs et des Personnes Elégantes“), die Gesellschaft der Stimmungsmacher und eleganten Menschen ist  ein loser Bund mit Tausenden Anhängern, dessen Einfluß bis in die kongolesischen Quartiere von Paris, London und Brüssel reicht.

Was einst den Stil der französischen Kolonialherren imitierte, ist längst afrikanisch-individuell geworden. Die „Sapeurs“ tragen gern grelle Farben und stolzieren gleich unübersehbaren Signalbojen durch die Armenviertel. Wer hier Dandy ist, zeigt in einer Welt der Armut, daß er sein Schicksal in die eigene Hand nimmt. Wichtig ist westliche Designer- und Markenkleidung. Manche Sapeurs verzichten für sie sogar auf Lebensmittel. 

Stil als gesellschaftliche und politische Botschaft 

Im kurdischen Teil des Iraks ist es die Gruppierung „Mr. Erbil“, die in der gleichnamigen Stadt Mode zum Widerstand erhoben hat. Ein Club von 40 Gentlemen, die nur eine Stunde entfernt vom Schlachtfeld Mossul Fotosessions in eleganter Kleidung abhalten. Westlicher Schick trifft auf kurdische Traditionen der Effendis. Zubehör wie Krawatten oder Pflegeprodukte wie Bartöl und Bartwachs werden als lokale Produkte hergestellt und vertrieben. Ein Hauch von Landlust im wilden Kurdistan. 

Politisch wollen sie nicht sein, dabei ist ihr Dandytum Politik: Die traditionellen Rollenbilder von Mann und Frau sollen aufgebrochen werden, Kleidung wird bewußt in Notlagern von Binnenflüchtlingen hergestellt, das kurdische Volk als eigene Sprach- und Kulturgemeinschaft soll sichtbar werden – und ein eigener Staat Kurdistan wäre natürlich schön. Ahmed Nauzad, Mitbegründer von Mr. Erbil, kehrte 2014 aus Mannheim zurück, wo er seit dem Irakkrieg 2003 lebte. Mit Mode und Öffentlichkeit will er einen Imagewechsel seiner kriegsgebeutelten Heimat herbeiführen. Nicht jeder Kurde kann die bärtigen jungen Männer verstehen, die um ihrer selbst willen in Cafés sitzen und über Designeranzüge schwärmen, während Kriegsfreiwillige zu Zehntausenden an der Front gegen den Islamischen Staat kämpfen. So ist der Dandy: Ziele und Wege der anderen sind nicht seins.

Wenig spektakulär, wenn auch nicht minder schrill im Vergleich zu den Dandys der Dritten Welt wirken die Westler, wie zum Beispiel der deutsche Männermode-Blog „Dandy Diary“. Durchaus politisch wird es, wenn Sätze über das Türkeireferendum oder Ivanka Trump fallen. Daneben herrschen Mode und dekadente Selbstverliebtheit. Verschwendungssucht kennzeichnet den Dandyismus seit jeher. Das wirkt in Deutschland natürlich anders als in Afrika oder Asien, wo Luxus Opfer erfordert.