© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Im Westen was Neues
Landtagswahl Nordrhein-Westfalen: Die Sozialdemokraten haben in ihrer Herzkammer eine empfindliche Niederlage erlitten / Wahlsieger sind drei bürgerliche Parteien / Die AfD bleibt einstellig, aber ist stärker als die Grünen / Schwarz-gelbe Koalition zeichnet sich ab
Christian Schreiber / Christian Vollradt

Die Bilder gleichen sich: eine triumphierende CDU, eine geschlagene SPD, frustrierte Linke und eine FDP, die vor Kraft kaum laufen kann. Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die aufgrund der Einwohnerdichte und Sozialstruktur des größten Flächenlandes der Republik als „kleine Bundestagswahl“ gilt, hat die politische Großwetterlage bestätigt. 

Die CDU behauptete sich mit 33 Prozent auf bescheidenem Niveau. Die Zugewinne können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der blasse Spitzenkandidat Armin Laschet das zweitschlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte einfuhr. Die SPD mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft kassierte eine bittere Niederlage und stürzte auf 31,2 Prozent ab. Der bisherige Koalitionspartner von den Grünen schaffte es bei deutlichen Verlusten mit 6,4 Prozent erneut in den Landtag. Die AfD sprang entgegen allen Unkenrufen mit 7,4 Prozent locker über die Sperrklausel, was der Linkspartei mit 4,9 Prozent denkbar knapp verwehrt blieb. Als großer Sieger aber feierten sich die Liberalen, die unter Führung von Christian Lindner sensationelle 12,6 Prozent einfuhren und sich damit berechtigte Hoffnungen auf einen Wiedereinzug in den Bundestag im September machen können. 

Laut den Zahlen des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap haben enttäuschte SPD-Anhänger und ehemalige Nichtwähler Armin Laschet  ins Amt des Ministerpräsidenten befördert. Von jenen Wahlberechtigten, die vor fünf Jahren noch zu Hause geblieben waren oder für die Sozialdemokraten stimmten, entschieden sich am vergangenen Sonntag  mehr als 800.0000 für die CDU. Die Sozialdemokraten verloren auch 160.000 Stimmen an die FDP, die ihr bestes Nachkriegsergebnis erzielte. 

Die Wahlbeteiligung nahm im Vergleich zur vergangenen Abstimmung deutlich zu. 65,2 Prozent der über 13 Millionen Wahlberechtigen gingen an die Urnen, das sind 5,6 Prozentpunkte mehr als 2012. Die AfD, die an Rhein und Ruhr rund 620.000 Stimmen erzielen konnte, schnitt bei den männlichen Wählern mit neun Prozent besser ab als bei den weiblichen, bei denen sie fünf Prozent auf sich vereinen konnte. Die AfD nahm der SPD rund 160.000 Stimmen ab, profitierte von den bisherigen Nichtwählern und konnte das Protestpotential, welches 2012 von den Piraten aufgesaugt wurde, zum Teil für sich gewinnen. Ihre besten Ergebnisse erzielte die Partei bei der Gruppe der 24- bis 33jährigen, wo sie ein zweistelliges Resultat erreichte. Bei den über 65jährigen kam sie allerdings lediglich auf fünf Prozent. 

Die AfD schnitt insbesondere im Ruhrgebiet überdurchschnittlich gut ab, wurde dort in einigen Wahlkreisen dritte Kraft. In Gelsenkirchen II (15,2 Prozent), Duisburg IV-Wesel V (14,6 Prozent) und Gelsenkirchen I (14,1 Prozent) erzielte sie ihre besten Ergebnisse. In Problemvierteln wie Duisburg-Marxloh lag der Anteil allerdings noch höher. Im Stimmbezirk Marxloh kam die AfD auf 16,26 Prozent. Marxloh hält einen weiteren Negativrekord: Die Wahlbeteiligung lag dort nur bei etwa 33 Prozent. Spitzenkandidat Marcus Pretzell selbst kam in seinem Wahlkreis Recklinghausen auf über neun Prozent der Stimmen. Lediglich in zwölf der 128 Wahlkreise scheiterte die AfD an der Fünfprozenthürde, zwei davon in Köln. Das schlechteste Ergebnis fuhr man in Münster I mit nur 3,4 Prozent ein. In der Landeshauptstadt Düsseldorf, traditionell eher einem schwierigen Pflaster für Rechtsparteien, kam Pretzells Truppe auf rund sechs Prozent der Stimmen.  Der populäre Essener Bergmann Guido Reil, der nach seinem Ausscheiden aus der SPD für die AfD antrat, kam in seinem Wahlkreis auf 13 Prozent und verfehlte damit sein selbstgestecktes Ziel von 20 Prozent recht deutlich. Auch sein Listenplatz 26 reichte nicht für ein Landtagsmandat (siehe Graphik). 

 Die Machtverhältnisse in der neuen Landtagsfraktion erscheinen eindeutig. Zumindest die ersten zehn Plätze der Landesliste waren mit Anhängern aus dem Pretzell-Lager besetzt. Mit Frank Neppe und Markus Wagner gehören zwei ehemalige Mitglieder der Schill-Partei der neuen Fraktion an. Auch Sven Tritschler, Bundeschef des Parteinachwuchses Junge Alternative hat den Einzug geschafft. Auf dem letzten Platz (16) gelangte auch Thomas Röckemann in den Landtag, der Pretzell bei der Spitzenkandidaten-Wahl knapp unterlegen war. Mit dem Listenzweiten Roger Bekamp zieht ein mittlerweile erfahrener Kommunalpolitiker in den Düsseldorfer Landtag ein.

„Protest allein ist            nicht nachhaltig“

Dort sind künftig nach wie vor fünf Parteien vertreten. Die AfD löst die Piraten ab, die nunmehr auch ihre letzte Fraktion verloren haben (Seite 6). Auf verlorenem Posten standen auch die „Sonstigen“. NPD, Republikaner und Die Rechte blieben unter der 0,5-Prozent-Marke. Dies gilt auch für Migranten-Parteien AD-Demokraten und BIG, die es auf je 0,2 Prozent schafften. Auch die christliche Vereinigung Aufbruch C war mit 0,1 Prozent weit von einem Achtungserfolg entfernt. 

AfD-Spitzenkandidat Pretzell nannte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT das Ergebnis seines Landesverbands „akzeptabel“ angesichts dessen, „was die Partei insgesamt an Fehlern in der Vergangenheit gemacht hat“. Zufrieden äußerte er sich angesichts der sich abzeichnenden schwarz-gelben Regierungskoalition: „Ich freue mich auf die Oppositionsarbeit, die wir gegen Herrn Laschet und Herrn Lindner betreiben dürfen, weil wir nämlich offenlegen werden, daß das, was man jetzt für den Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen gemacht hat, für den Bundestagswahlkampf nicht mehr die Glaubwürdigkeit entfalten sollte, wie das jetzt leider noch der Fall war“, meinte er mit Blick auf „rhetorische Annäherungen“ von CDU und FDP an AfD-Positionen. Pretzells Ehefrau, Parteichefin Frauke Petry, hatte dieses Phänomen zuvor so beschrieben: „Die Union blinkt nur rechts, aber biegt nicht ab.“ 

Gemeinsam mit Petry und Pretzell hatten am Montag nach der Wahl auch Co-Parteichef Jörg Meuthen sowie das Spitzenduo für die Bundestagswahl, Alice Weidel und Alexander Gauland, in der Bundespressekonferenz zum Ergebnis der NRW-Wahl Stellung bezogen. Auffällig war dabei das Bemühen aller, die Streitereien der jüngeren Vergangenheit beiseite zu lassen und Harmonie zu vermitteln. So lobten Weidel wie Gauland die Parteifreunde im größten Bundesland ausdrücklich für einen Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen; Pretzell habe einen „hervorragenden Job“ gemacht.  

Der räumte gegenüber der jungen freiheit durchaus selbstkritisch ein, daß zwei Dinge den Bürgern nicht gefallen hätten: Zum einen der innerparteiliche Streit, zum anderen die – noch nicht ganz geklärte – Frage, wie weit das Spektrum der AfD reiche. Auch Petry mahnte vor den Hauptstadtjournalisten, ihre Partei müsse den Wählern klar sagen, wofür sie steht und wofür nicht. Dies bedeute auch, sich klar von den Rändern abzugrenzen. Die AfD, so Petry, sei im Wahlkampf zu stark als Protestpartei wahrgenommen worden: „Das müssen wir ändern.“ 

Für die Medien war dies die Steilvorlage, Parteivize Alexander Gauland nach seiner Meinung dazu zu fragen. „Wir sind vieles, auch Protestpartei“, entgegnete der – nur sanft widersprechend. „Wir müssen aber auch Lösungen für Probleme anbieten.“ Und Alice Weidel ergänzte: „Protest allein ist nicht nachhaltig.“