© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Ländersache
Teure Altlasten im Boden
Paul Leonhard

Während andere Städte in Kindergärten, Schulen oder ihre Infrastruktur investieren, ist ein Großteil des Haushaltes von Oranienburg (43.500 Einwohner) für die Entschärfung von britischen und amerikanischen Bomben reserviert. Die Stadt im Norden Berlins gilt als eine der am stärksten mit Sprengstoff kontaminierten Kommunen.

Neben Tausenden konventionellen Bomben warfen die Alliierten rund 10.500 Großbomben mit chemischen Langzeitzündern über Oranienburg ab, das mit den Auer-Werken sowie den Heinkel-Flugzeugwerken ein Zentrum der Chemie- und Rüstungsindustrie war.

Zehn bis zwanzig Prozent der Bomben seien Blindgänger gewesen, schätzen Experten. Das hängt auch mit der besonderen Bodenbeschaffenheit zusammen: Viele Bomben drangen ellipsenförmig in den Boden; mit dem Ergebnis, daß der Zündmechanismus nicht auf die nach oben zeigende Bombe einwirken konnte, aber bis heute aktiv blieb. Seit 1965 wurden mehr als 400 Blindgänger entschärft, davon die Hälfte nach 1990.

Bereits im September 2011 beschloß der Stadtrat ein „Konzept Kampfmitteldienst“, das für die folgenden zwanzig Jahre mehr als 70 Millionen Euro Haushaltsmittel für die Kampfmittelsuche reserviert. Mittlerweise wurden die Rückstellungen auf mehr als 140 Millionen Euro angehoben, da die Kosten für die Entschärfungen durch die oft notwendigen Grundwasserabsenkungen enorm gestiegen seien, wie es in einer Mitteilung der Stadt heißt. Die Bombensuche erfolgt seit Ende 1998 nach einer Prioritätenliste, die jährlich fortgeschrieben wird. Neben kommunalen Geldern werden rund drei Millionen Euro Landesgelder jährlich für die Kampfmittelsuche und -beseitigung in der Stadt eingesetzt. Das ist die Hälfte der dafür in Brandenburg zur Verfügung stehenden Mittel. Allerdings sei man mit den vorhandenen Mitteln auch „in 30 Jahren noch nicht mit der Bombensuche fertig“, klagt Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD).

Obwohl die in der Erde verborgenen Sprengkörper durch Korrosion immer labiler werden und es schon zu Selbstentzündungen mit tragischen Folgen kam, tut sich der Bund mit dem Erbe des alliierten Bombenkriegs schwer. Penibel unterscheidet er zwischen deutschen und ausländischen Kampfstoffen. Nur für die Entschärfung und Beseitigung ersterer wird gezahlt, für amerikanische und britische Blindgänger müssen Länder oder Kommunen aufkommen. Mehrere Bundesratsinitiativen von Brandenburg und Niedersachsen zur finanziellen Beteiligung des Bundes wurden entweder nicht behandelt oder zurückgewiesen.

Immerhin hat die Bundesregierung auf Druck der Länder reagiert und 60 Millionen Euro für die Räumung alliierter Munition bewilligt. Das Geld soll bis 2019 in einzelnen Tranchen ausgezahlt werden. Unklar ist der Verteilungsmodus.

Allein Oranienburg hatte vier Millionen Euro beantragt. Angekommen ist noch nichts. Gegenüber dem Oranienburger Generalanzeiger appellierte der CDU-Bundestagsabgeordnete Uwe Feiler jetzt an das Land Brandenburg, „den Zuschuß des Bundes für die Munitionsbeseitigung an die betroffenen Kommunen auch weiterzuleiten“. Das Postdamer Finanzministerium reagierte gereizt: Es seien bisher keine Gelder eingetroffen.