© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Doch wo ist unser Sinn?
Bundeswehr: Die Verteidigungsministerin hat das Großreinemachen wider alle historischen Hinterlassenschaften der Wehrmacht befohlen
Peter Möller

Die verteidigungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Christine Buchholz, kann ihr Glück noch gar nicht fassen. Seit Jahren wirft ihre Partei der Bundeswehr vor, in der Tradition der Wehrmacht zu stehen. Immer wieder forderte ihre Partei erfolglos, ausnahmslos alle Kasernen, die nach Soldaten aus der Zeit vor 1945 benannt sind, umzubenennen. Doch nun scheint plötzlich alles möglich, was sich die ganz linken Bundeswehrgegner immer erträumt hatten.

Denn die von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Zusammenhang mit dem Fall des terrorverdächtigen Oberleutnants Franco A. und weiteren Verdächtigen angekündigte „Säuberung“ der Bundeswehr wird nun offenbar auch auf die Namen der Kasernen ausgedehnt. „Ich finde, die Bundeswehr muß nach innen und außen klar signalisieren, daß sie nicht in der Tradition der Wehrmacht steht“, sagte von der Leyen der Bild am Sonntag. Die Bundeswehr solle ihre 60jährige Geschichte selbstbewußt stärker in den Vordergrund stellen. „Wenn wir in den kommenden Monaten den 35 Jahre alten Traditionserlaß modernisieren, müssen wir auch an das Thema Kasernennamen ran“, kündigte sie zugleich die Neufassung des für das Geschichtsbild der Bundeswehr maßgeblichen Erlasses an (Seite 7). 

Derzeit sind noch mehrere Kasernen der Bundeswehr nach Soldaten der Wehrmacht benannt, unter anderem nach dem auch international hoch angesehenen „Wüstenfuchs“ Generalfeldmarschall Erwin Rommel. In der Truppe sorgte die Meldung über die geplanten Umbenennungen für weitere Verunsicherung. Bereits am Wochenende kursierte das Gerücht, sogar Kasernen, die nach dem Widerstandskämpfer – und Wehrmachtsoffizier – Henning von Tresckow benannt sind, könnten einen neuen Namen erhalten. Mit ihrer Initiative zur Umbenennung vollzieht von der Leyen eine Kehrtwende. Noch 2014 hatte das Verteidigungsministerium eine pauschale Umbenennung aller nach Soldaten der Wehrmacht benannten Kasernen mit Verweis auf den Traditionserlaß abgelehnt. 

„Die letzten Jahre hat sich die Ministerin der überfälligen Frage der Kasernenumbenennung immer wieder verweigert, erst bei der letzten Sitzung des Verteidigungsausschusses am vergangenen Mittwoch noch einmal“, sagte Linken-Politikerin Buchholz ungläubig Spiegel Online: „Wenn sie nun plötzlich mit einer Order von oben kommt, ist das hoffentlich nicht nur heiße Luft, denn ein konsequenter Bruch mit Wehrmachtstraditionen ist dringlich.“

Wie konsequent derzeit Traditionen bei der Bundeswehr abgeräumt werden, zeigt vor allem der Fall des Bildersturms an der dem Verteidigungsministerium unterstehenden Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Die von der Universitätsführung verfügte Abhängung eines Fotos in einer Studentenunterkunft, das den späteren Bundeskanzler und Namensgeber der Hochschule, Helmut Schmidt, im Zweiten Weltkrieg in Wehrmachtsuniform zeigt, hat auch bei Politikern von Union und vor allem der SPD kontroverse Reaktionen hervorgerufen. 

„Demokratischste  Armee, die es je gab“

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kritisierte die Entscheidung scharf: „Bei allem Verständnis für eine kritische Überprüfung der Vorgänge in der Bundeswehr scheint man in diesem Fall doch über das Ziel hinausgeschossen zu sein“, sagte er. Die Vergangenheit des Altkanzlers in der Wehrmacht sei bekannt. „Seine Lebensleistung als Bundeskanzler, als Verteidigungsminister, als Innensenator und Publizist weist weit über diese Zeit hinaus, weshalb er zu Recht Namensgeber der Bundeswehr-Universität in Hamburg geworden ist“, bekräftigte Scholz. 

Mittlerweile wurde offenbar auch im Bendlerblock erkannt, daß hier etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums hätte das Bild von Helmut Schmidt nicht unbedingt abgehängt werden müssen. „Aus Sicht des Bundesministeriums für Verteidigung hätte die Entscheidung nicht zwingend so ausfallen müssen“, sagte ein Sprecher in Berlin. Dennoch kehrte das Foto bislang nicht an seinen alten Platz zurück.

In der vergangenen Woche wurde zudem bekannt, daß das Verteidigungsministerium bereits im Januar eine bereinigte Neuauflage des Liederbuchs „Kameraden singt!“ der Bundeswehr in Auftrag gegeben hatte. Die Verteilung der aktuellen Ausgabe wurde gestoppt. „Im Rahmen des kritischen und sensiblen Umgangs mit den Inhalten wurde erkannt, daß einige Textpassagen nicht mehr unserem Werteverständnis entsprechen“, hieß es zur Begründung aus dem Verteidigungsministerium. Als Beispiele genannt wurden Stücke wie „Schwarzbraun ist die Haselnuß“ oder das „Panzerlied“. Die Lieder seien in der Zeit des Nationalsozialismus beziehungsweise während des Zweiten Weltkriegs als Ausdruck nationalsozialistischer Überhöhung mißbraucht worden.

Die Diskussion über tatsächliche oder angebliche rechtsextremistische Netzwerke innerhalb der Bundeswehr hat neben der Debatte über die Traditionen auch die Diskussion über die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht neu belebt. Der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg ( CDU) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die Aussetzung der Wehrpflicht habe bewirkt, daß die Bundeswehr keinen Querschnitt der Gesellschaft mehr abbilden könne. „Dabei wäre der Bürger in Uniform ein verläßliches Frühwarnsystem zur Erkennung von Extremismus von links und rechts“, sagte Sensburg, der Reserveoffizier im Rang eines Oberstleutnants ist. „Unsere Zivilbevölkerung ist auch das Immunsystem gegen Demokratiefeindlichkeit.“ 

Skeptisch äußerte sich der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD). Zwar hätte Deutschland die Wehrpflicht 2011 nicht Hals über Kopf abschaffen sollen, sagte Bartels der Passauer Neuen Presse. „Sie allerdings jetzt schnell wieder aufleben zu lassen, ist praktisch nicht machbar. Und auch nicht nötig: Wir haben heute die demokratischste Armee, die es in Deutschland je gab.“ 

Noch deutlicher äußerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Was die Bundeswehr braucht, ist Berechenbarkeit in ihrer Entwicklung“, sagte sie. Die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 sei eine grundsätzliche Entscheidung. „In der Kontinuität dieser Entscheidung sollten wir jetzt auch die nötigen Reformen vornehmen.“ Zumindest diese Diskussion scheint damit vorerst beendet.