© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Die Bande mit dem Baedeker
Illegale Einwanderung: Vor dem Hamburger Landgericht muß sich ein Schleuser aus dem Iran verantworten / Touristenvisa von der Botschaft in Budapest
Hinrich Rohbohm

Er tarnte sich als Reiseleiter, kassierte 7.000 Euro pro Immigrant. Und das in großem Stil, noch weit vor dem Beginn der Zuwanderungskrise vom Sommer 2015. Mindestens 72 Menschen soll So-heyl M. aus dem Iran nach Deutschland geschleust haben. Bis er am 31. Mai vorigen Jahres nach internationaler Fahndung in London aufflog Seit November sitzt er nun in Untersuchungshaft, muß sich seit vergangener Woche wegen bandenmäßigem Einschleusen von Ausländern vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft legt dem 37 Jahre alten gebürtigen Iraner zur Last, gemeinsam mit mehreren Mittätern illegalen Einwanderern in der Zeit von Juli bis November 2010 Einreise und Aufenthalt in Deutschland und anderen EU-Staaten ermöglicht zu haben. 

Dabei hatte die Bande den Illegalen Touristenvisa verschafft, die in der ungarischen Botschaft in Teheran ausgestellt wurden. Gegenüber dem Botschaftspersonal gaben sie falsche Berufe sowie eine falsche Aufenthaltsdauer an. Als Reiseleiter getarnt, begleitete die Bande ihre Klienten auf ihren Emirates-Flügen nach Ungarn, checkte mit ihnen gemeinsam im Budapester Royal Park Hotel ein. Anschließend organisierten die Täter für die Immigranten zum Schein ein ganz normales zehntägiges Reiseprogramm. Mit dem Unterschied, daß ihre „Kunden“ in der Regel nicht wieder in den Iran zurückkehrten. 

Stattdessen ging es für sie per Bus weiter nach Österreich. Die Schleuser besorgten für die Iraner Unterkünfte in Deutschland, Österreich, Norwegen, den Niederlanden oder in Großbritannien. Hierbei kassierte die Bande pro Familie weitere 2.000 Euro. Auch unterstützten sie ihre Klienten bei der Durchführung von Asylverfahren. 

Zeugen wurden unter Druck gesetzt

Vor dem Hamburger Landgericht will Soheyl M. nun ein umfangreiches Geständnis ablegen und hofft, auf diese Weise ein milderes Urteil bekommen zu können. Das Strafgesetzbuch sieht für das bandenmäßige Einschleusen von Ausländern eine Mindeststrafe von einem Jahr vor. Die Höchstrafe liegt bei zehn Jahren. 

Nicht selten aber kommen Schleuser mit Bewährungsstrafen davon. Als die Polizei im Januar vorigen Jahres einen Schleuserring zerschlagen konnte, der Immigranten aus Afrika nach Italien brachte, fiel das Urteil gegen einen Syrer äußerst dürftig aus. 800 Menschen hatte der Mann per Boot über das Mittelmeer in die Europäische Union geschleust. Doch nur für vier Fälle konnte der Beschuldigte vom Gericht verurteilt werden. Statt eines langjährigen Gefängnisaufenthalts blieb der Angeklagte mit einer einjährigen, zur Bewährung ausgesetzten Strafe auf freiem Fuß. Mögliche Zeugen wurden offenbar unter Druck gesetzt. Während sie in ihrer polizeilichen Vernehmung den Syrer noch als Schleuser bezeichneten, wollten sie ihre Aussagen vor Gericht nicht mehr bestätigen. Die Hintermänner des Schleuserrings waren dagegen längst untergetaucht. 

Im Dezember waren vor dem Landgericht Köln zwei Angeklagte vom Vorwurf des Menschenschmuggels und der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Sie sollen per Schlauchboot Immigranten vom türkischen Ferienort Bodrum auf die griechische Insel Kos gebracht haben. Elf Menschen waren dabei ums Leben gekommen. Doch die Beweise hatten für eine Verurteilung nicht ausgereicht. Schon im Ermittlungsverfahren waren die Beschuldigten bereits aus der Untersuchungshaft mangels dringenden Tatverdachts wieder entlassen worden. Als Entschädigung für die Haft und die Durchsuchung ihrer Flüchtlingsunterkunft zahlte der Staat ihnen noch dazu 1.000 Euro. 

Soheyl M. dagegen befindet sich nach wie vor noch in Untersuchungshaft. Der Prozeß gegen ihn wird am 30. Mai fortgesetzt. Ein Urteil wird voraussichtlich im Juli erfolgen.