© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Europa soll entmündigt werden
Souveränität: Frankreichs neuer Präsident Macron erweist sich als Sachwalter des entgrenzten Globalismus
Thorsten Hinz

Die Ausrufung des 39jährigen Emmanuel Macron als europäischen Hoffnungsträger und sein blitzartiger Aufstieg zum Präsidenten Frankreichs gehört zur länderübergreifenden Neuaufstellung der Politik in den westlichen Staaten. Alte parteipolitische Frontlinien lösen sich unter dem Druck des global agierenden Kapitalismus und des internationalen Finanzsektors auf. An die Stelle der altgedienten Parteiarbeiter treten smarte junge Männer mit charismatischer Ausstrahlung, die auch eine erotische Komponente besitzt. Sie werden als Quereinsteiger und -denker präsentiert, sie zelebrieren ihre Modernität, Internationalität, Ideologiefreiheit und die Unabhängigkeit vom alten Establishment. In Wirklichkeit sind sie längst hervorragend vernetzt und genießen die Unterstützung durch internationale Medien.

Einen Anfang machte Tony Blair, der 1997 mit seinem „New Labour“-Programm, das eine Art „Dritten Weg“ beschrieb, britischer Premier wurde. Der kanadische Premierminister und Posterboy Justin Trudeau, der wegen seiner Klima- und Flüchtlingsfreundlichkeit gerühmt wird, gehört ebenfalls in diese Reihe. Die Nachwuchspflege beginnt früh: Anläßlich der Parlamentswahlen in den Niederlanden stellten die europäischen Medien den 31jährigen Grünen-Politiker Jesse Klaver, der auch über indonesische und marokkanische Wurzeln verfügt, als Mann mit großer Zukunft vor. Das Interview, das die Tageszeitung Die Welt mit ihm führte, enthielt zwar nur eine Ansammlung von Banalitäten und Halbwissen, doch wichtiger ist offenbar, daß er wie ein jüngerer Trudeau-Bruder wirkt.

Die Inthronisierung Barack Obamas zum ersten schwarzen US-Präsidenten hatte einen ganz besonderen Symbolwert, der freilich durch den Sieg Donald Trumps relativiert wurde. Doch schon ist Rettung in Sicht. Als im April bei einer Nachwahl zum US-Repräsentantenhaus in einem traditionell republikanischen Wahlkreis der demokratische Bewerber, der 30jährige Filmemacher Jon Ossoff, sich seinem Konkurrenten auf Haaresbreite näherte, beeilten sich die europäischen Zeitungen, es US-Medien nachzutun und ihn als neuen „Anti-Trump“ zu feiern. 

Dieser Politiker-Typ ist internationalistisch und multikulturell gesinnt, er tritt für supranationale Machtstrukturen, für die Aufhebung von Staatsgrenzen und der traditionellen Geschlechterrollen ein. Die massenhafte Migration in die nördlichen Wohlstandszonen betrachtet er als folgerichtiges Komplementärstück zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Er ist der Liebling internationaler, vor allem transatlantischer Netzwerke und unterhält gute Verbindungen in die internationale Geschäftswelt. 

Macron paßt sich idealtypisch in dieses Muster ein. Die Anfangsbuchstaben seiner jungen Partei: En Marche!, bilden die Initialen seines Namens ab, was Rückschlüsse auf narzißtische Neigungen und ein hohes Sendungsbewußtsein zuläßt. Der französische Schriftsteller Pascal Bruckner attestierte ihm eine „besorgniserregende Konfusion zwischen dem Geistlichen und dem Weltlichen“.

Zu einem Sonderfall wird Macron durch seine Ehe mit einer 25 Jahre älteren Frau, seiner früheren Französischlehrerin. Die Beweggründe für diese Beziehung mögen privater Natur sein, ebenso wie etwaige Obsessionen der beiden. Die deutsche Presse hat viel Mühe darauf verwandt, die Verbindung als modern, mutig, unkonventionell, inspirierend darzustellen, doch fand sie dafür keine anderen als Formulierungen aus dem Trivialroman.

Der springende Punkt wurde ausgespart: Dieser Ehe war der Verzicht Macrons auf Generativität und Fortpflanzung von Anfang an biologisch eingeschrieben. Was unter anderen Umständen eine reine Privatsache wäre, wirkt bei einem Staatspräsidenten, der – gemäß der Lehre Ernst Kantorowicz’ von den zwei Körpern des Königs – über einen leiblichen und einen öffentlichen Körper verfügt, symbolisch: Macrons Machtantritt versinnbildlicht die aktuelle Schwäche und den demographischen Rückzug des „Weißen Mannes“ und die Essenz der aktuellen Politik.

Um zwei Hauptpunkte seiner Ankündigungen und Wahlkampfaussagen herauszugreifen: Macron möchte, wie es heißt, eine „bürgernahe“, eine „demokratische“ und „politische“ EU errichten, wozu er vor allem den Euro „stärken“ will. Vor gut einem Jahr erklärte er in einem Interview: „Frankreich etwa scheut den Souveränitätsentzug, Deutschland die Aufgabe seiner Finanzautonomie. Ich sage: Machen wir beides!“

Hier schlägt die alte Neigung durch, die Deutschen für französische Ambitionen zahlen zu lassen. Angesichts der deutschen Schwäche wird Macrons Wunsch nach der Vergemeinschaftung der Schulden sich über kurz oder lang erfüllen, doch das ist nicht einmal das Hauptproblem. Bestimmend ist die ökonomische Inkompatibilität der meisten Euro-Staaten, an der die Ausweitung von Transfers nichts ändern kann. Das Ergebnis wird die Zerstörung der deutschen Bonität sein, die der wichtigste Vertrauens- und Stabilitätsanker der EU ist.

In der Folge wird die globale Position Europas geschwächt statt gestärkt, seine Abhängigkeit vom internationalen Finanzsektor vergrößert sich und neben dem deutschen wird auch der französische Demos weiter entmündigt. Hier erweist Macron sich als Sachwalter des entgrenzten Globalismus, der den Europäern die Herrschaft über ihre Länder und den Kontinent streitig macht.

Als einziger europäischer Politiker von Rang hat er die von Merkel angeordnete Grenzöffnung für Einwanderer aus der Dritten Welt offen gelobt und als die Ehrenrettung Europas bezeichnet. Er ist überzeugt davon, daß man Migration nicht aufhalten könne, und er hat die Existenz einer spezifischen französischen Kultur in Frage gestellt. Auch das paßt zum Konzept der Globalisten, die die ökonomische Logik auf die Gesellschaft einschließlich ihrer kulturellen und ethnischen Struktur übertragen wollen und Europa als „freien Markt“ betrachten, auf dem die einheimischen Kulturen und Religionen mit den eingewanderten in einen „Wettbewerb“ zu treten haben.

Der Volkswirt und Historiker Manfred Pohl, Träger des Kulturpreises des EU-Parlaments, hat schon 2007 in dem Buch „Das Ende des Weißen Mannes“ diesem unmißverständlich mitgeteilt, er habe sich künftig in Europa und Amerika mit seiner Minderheitenposition abzufinden.

Genau hier liegt die subkutane Botschaft der neuen französischen Präsidentschaft.