© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Skeptischer Unterton
Rumänien: Frühe Texte des Philosophen Emil Cioran sind erstmals auf deutsch erschienen
Karlheinz Weißmann

Was ist im Grund Rumänien in den Augen der Deutschen? Ein von Wald bedecktes Land, primitiv, noch in der Steinzeit lebend; was es an Modernem hat, sind Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit; aus Tradition uninteressant und nicht vorhanden.“ Diese Sätze stammen von dem 1911 im damals habsburgischen Siebenbürgen geborenen Emil Cioran. Er hat sie 1934 geschrieben. Wenn sich unsere Einschätzung seither gewandelt hat, dann nur um Nuancen.

Rumänien liegt für die meisten Europäer nach wie vor am Rand, irgendwo im Osten, nahe der sprichwörtlich unaufgeräumten „Walachei“. Insofern fällt auch die Wertung des Beitrags, den Rumänien für das geistige Erbe des Kontinents geleistet hat, eher skeptisch aus. Ein Urteil, das kaum korrigiert wird, wenn man wenigstens die Namen jener drei Rumänen nennt, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine erhebliche Bedeutung für die intellektuelle Debatte hatten: Eugène Ionesco, Mircea Eliade und Cioran.

Der Dramatiker Ionesco ist heute weitgehend vergessen und dem Religionswissenschaftler Eliade scheint es ganz ähnlich zu ergehen, während Cioran mit erstaunlicher Stetigkeit weiter publiziert, ediert und kommentiert wird. Das ist auch deshalb verblüffend, weil sein Denken so sperrig für die vorherrschenden Anschauungen ist. Man wird den Verdacht nie ganz los, daß die Präsentation entweder auf einem Mißverständnis beruht oder auf der Neigung, sie als interessant, aber unerheblich zu betrachten.

Begeisterung für die Eiserne Garde

Dabei hat es im Fall Ciorans (wie im Fall Eliades) nicht an Hinweisen gefehlt, daß man die eine oder andere Besonderheit seiner Stellungnahmen nur verstehen kann, wenn man die zeitweise Begeisterung für die rumänische Variante des Faschismus – die „legionare“ Bewegung oder Eiserne Garde – in Rechnung stellt. Aber schon die sprachliche Barriere verhinderte lange Zeit, seine literarischen „Jugendsünden“ in Augenschein zu nehmen.

Das hat sich seit einigen Jahren geändert, vor allem seitdem die von Cioran in den dreißiger Jahren veröffentlichten Aufsätze ins Französische übertragen wurden. Jetzt hat der Wiener Karolinger-Verlag unter dem programmatischen Titel „Apologie der Barbarei“ auch eine deutsche Fassung herausgebracht. Programmatisch insofern, als sich durch diese Beiträge wie ein roter Faden die Annahme zog, daß das Rumänien der Zwischenkriegszeit dekadent sei, daß die Kopie alles Französischen durch die Gebildeten der älteren Generation ein Fehler war, daß dem Land eine Regeneration – wenn überhaupt –, dann nur möglich sein werde, wenn es sich an Deutschland orientiere und die Entschlossenheit aufbringe, eine Barbarei herbeizuführen, einen Zustand des produktiven, grausamen Chaos, der dann vielleicht einen Neubeginn ermögliche.

In einem seiner ersten Texte vermutete Cioran noch, daß er selbst diese große Regeneration nicht mehr miterleben werde, weil sie mindestens ein Jahrhundert in Anspruch nehme, aber in den folgenden macht sich eine Art von tapferem Pessimismus bemerkbar, der für die rechte Intelligenz dieser Phase nicht untypisch war. Cioran schloß sich vorübergehend der Eisernen Garde an, weil er nur in ihr und ihrem charismatischen Führer Corneliu Z. Codreanu einen Garanten für die Überwindung der Dekadenz sah.

Codreanu verkörperte für ihn den diktatorischen Anspruch, der nötig sein würde, um Rumänien aus seiner Lethargie zu reißen, die Legionäre waren jener geschlossene, gewalttätige, jugendliche Block, dessen irrationales Sendungsbewußtsein es erlauben konnte, jedes Hindernis zu überwinden. Die Betonung des Irrationalen spielte für Codreanu deshalb eine zentrale Rolle, weil er meinte, daß nur der Glaube, der keine Vernunftgründe braucht, in der Lage sein werde, die durch den Rationalismus entstandene innere Leere wieder zu füllen.

Damit ist er viel näher bei Nietzsche (der nicht vorkommt) als bei Oswald Spengler (der mehrfach vorkommt), viel näher beim romanischen Faschismus (den er mit einer gewissen Süffisanz betrachtete) als beim deutschen Nationalsozialismus (den er widerwillig bewunderte). Aber Ciorans Vitalismus hatte immer einen skeptischen Unterton, und man fragt sich unwillkürlich, ob er im Fall eines Erfolgs von Codreanu und der Errichtung eines „Legionären Staates“ entschlossen hätte, in dieser Realisierung auch einen Ansatz für die Gesundung der Rumänen als Nation zu erblicken.

Aber dazu kam es nicht. Der „Capitan“ wurde 1938 ermordet, die Eiserne Garde gezähmt und in eine eher konventionelle Militärdiktatur eingepaßt. Cioran floh vor dem Einmarsch der Sowjetarmee nach Frankreich, zog sich von aller Politik zurück und lebte fortan bis zu seinem Tod 1995 als Schriftsteller, dessen Ruhm langsam, aber stetig wuchs. Bis heute, und das trotz oder wegen der braunen Flecken in seiner Biographie.

E. M. Cioran: Apologie der Barbarei. Frühe Aufsätze 1932–1941, hrsg. von Martin Bertleff, Karolinger, Wien/Leipzig 2016, gebunden, 135 Seiten, 19,90 Euro