© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/17 / 19. Mai 2017

Es führt kein Weg nach draußen
Thriller: Bertrand Bonello inszeniert in „Nocturama“ Terror als Artwork
Sebastian Hennig

Der fatale Unsinn wird in den Massendemokratien weitervererbt, wie vormals das Gottesgnadentum der erlauchten Dynastien. Damals hieß es: „Le Roi est mort. Vive le Roi“, und als im November 2013 Islamisten bei zwei Attentaten in der französischen Hauptstadt 130 Menschen ermordeten, nahmen viele mit einem Satz von Ernest Hemingway eine  Trotzhaltung ein: „Paris – ein Fest für das Leben“ (Paris est une fête).

„Paris est une fête“ war auch der erste Titel des Drehbuchs von Bertrand Bonellos Film „Nocturama“. Die erste Fassung war im Sommer 2011 fast fertiggestellt, als innerhalb weniger Tage Anders Breivik seinen Massenmord exekutierte und eine chaotische Jugendrevolte in England tobte. „Es gab zwischen den beiden Ereignissen keinerlei Verbindung“, erklärt der 48jährige Bonello, aber ein Satz des britischen Schriftstellers James Graham Ballard habe besondere und starke Resonanz hervorgerufen: „Die irrationalen Bereiche des menschlichen Denkens werden den Platz von Ideologien einnehmen.“

Den geheimnisvoll griffigen Titel „Nocturama“ entlehnte Bonello dann einem Albumtitel des Sängers Nick Cave. Das große Kaufhaus, in dem die jugendlichen Attentäter ihr unausweichliches Ende erwarten, gleicht einem Noctarium, dem Tierhaus, das in Zoologischen Gärten den nachtaktiven Arten vorbehalten ist. In die Tagesaktivitäten der beteiligten Individualisten wird der Betrachter zu Beginn des Films ohne Kommentar hineingezogen. Nach und nach beschleicht ihn die Ahnung, daß ihrer Zielstrebigkeit ein teuflischer Plan zugrunde liegt. Zuletzt fallen gezielte Schüsse, und es erschüttern mehrere Explosionen die Stadt.

Erst im zweiten Teil des Films, in besagtem Kaufhaus, dem Noctarium, erfahren wir durch eine Art Manöverkritik, was die schrecklichen Kinder da ins Werk gesetzt haben. Da ist vom Sprengstoff Semtex die Rede und von zwei Gefährten, die auf der Strecke geblieben sind. In der TV-Abteilung genießen sie den omnipräsenten Nachrichtenwert ihrer Taten. Doch die Einsicht in die Wirkungslosigkeit ist auch nicht weit: „Wir hätten Facebook in die Luft jagen sollen.“ Sie bleiben Sklaven und Schergen der Welt, die sie anzugreifen meinen. In der Mikrowelt des Kaufhauses gibt es keine Fenster nach außen, und die Mobiltelefone haben keinen Empfang. Zweimal steht einer der ziellosen Verschwörer vor einer Modepuppe, die wie er gekleidet ist. 

Bertrand Bonello, der Filme über Luxusschneider wie „Saint Laurent“ gemacht hat und in „Der Pornograph“ (2001) und „Haus der Sünde“ (2011) Kintopp mit Pornographie verbrämte, läßt aus dem Terror ein knackiges Konsumprodukt entstehen. Paris bleibt auch bei ihm ein Fest. Er setzt nur ein paar Schwärmer drauf. Da schießen die Flammen einer Explosion aus der Fensterreihe des geschmackvollen Palais, welches das Innenministerium beherbergt. Eine vergoldete Statue geht symbolkräftig in die Luft. Später im dunklen Kaufhaus wird ein farbiger Knabe mit einer goldenen Maske dieses Bild paraphrasieren. Einer der Verschworenen versucht aus dem Kaufhaus zu entkommen und muß feststellen, daß es kein Draußen mehr für ihn gibt. Eine hübsche Passantin mit Fahrrad (Adèle Haenel) bemerkt lapidar zu ihm: „So etwas mußte doch passieren und jetzt ist es passiert.“

Bonello erkennt, was verblümte deutsche Intellektuelle nicht wahrhaben wollen: „Im Unterbewußtsein wollen die Menschen bestraft werden. Sie wissen nicht, wofür. Wir leben in einem Paradies des Konsums, und wir fühlen uns schuldig, daß wir so reich sind. Wir spüren, daß wir das nicht verdient haben. Unsere Gesellschaft wird sich in eine sadistische wandeln. Das ist meine Angst. Ich denke, daß in den nächsten Jahren die Menschen im Westen von einer Art masochistischem Schuldgefühl dominiert sein werden.“

Man kann dem Film das Kompliment nicht versagen, daß er Bilder findet, die nachwirken. Er ist sehr elegant gemacht, ohne falsche Sentimentalität oder Dämonisierung. Über die Wirkung kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich wird sie nicht groß sein. Obwohl sich der dänische Filmregisseur Lars von Trier zu entschuldigen müssen glaubte, weil Anders Breivik dessen Filme als Inspirationen zu seiner Untat angegeben hat. Warten wir es ab. Es kommt, was kommen muß. Im Film gelingt die multikulturelle Gesellschaft. Es ist aber nicht die fade Herzlichkeit von Backpackern in einem Hostel am Ende der Welt, sondern eine zielstrebige Zerstörung, die auch und gerade vor sich selbst nicht haltmacht. Bonello gibt zu, daß sein Film in dieser Hinsicht klüger ist als er.

Am Schluß dringt die Eingreiftruppe der Nationalgendarmerie in das Kaufhaus vor und erledigt die Staatsfeinde. Die jungen Leute halten bis zuletzt an dem Irrtum fest, ihr Verhalten würde ihr Schicksal beeinflussen.





Joseph Beuys

Er gilt als einer der wichtigsten, aber auch umstrittensten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts: Joseph Beuys (1921–1986). Regisseur Andres Veiel hat ihm nun ein Filmporträt gewidmet. In seiner diese Woche in den Kinos anlaufenden Dokumentation läßt er Beuys in Ton und Bild auftreten, montiert dazu historisches Fotomaterial und Äußerungen von Weggefährten. Im diesjährigen Berlinale-Wettbewerb ging der Künstlerfilm leer aus. (tha)