© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Ländersache
Löschen ist auch keine Lösung
Christian Vollradt

Der Verdacht wiegt schwer: Haben Beamte des Berliner Landeskriminalamts (LKA) Akten im Fall Anis Amri manipuliert? Sollte auf diese Weise vertuscht werden, daß der Tunesier, der am 19. Dezember 2016 einen polnischen Lastwagen gekapert hatte und damit in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast war, eigentlich schon längst vor diesem Attentat hätte verhaftet werden müssen? Hätten, wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, die zwölf Toten und 67 Verletzten verhindert werden können? 

Rückhaltlose Aufklärung versprach Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Das sind wir den Opfern, den Angehörigen und den Überlebenden schuldig“, sagte der Politiker am vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Er hat Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt und Urkundenfälschung erstattet. Gegen mindestens zwei Kripo-Beamte werde zur Zeit ermittelt. Der Vorwurf lautet, die Polizisten sollen in einer digitalen Akte des Landeskriminalamtes vom November 2016 nachträglich Erkenntnisse über Amri gelöscht haben, die auf „gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Handel mit Betäubungsmitteln“ hinwiesen. In diesem Fall hätte ein Haftbefehl gegen Amri – einen Monat vor seiner Terrorfahrt – erwirkt werden müssen. 

Der vom Berliner Senat im März eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost soll nun entdeckt haben, daß im Februar 2017 ein zweiter Vermerk gefertigt und auf November zurückdatiert worden sei, in dem bei Amri nur noch von „Kleinsthandel“ mit Drogen die Rede gewesen sei. In diesem Fall hätte kein Haftgrund vorgelegen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière sprach mit Blick auf die Manipulationsvorwürfe von einem „unerhörten Verdacht“. 

Am vergangenen Wochenende meldete dann die Berliner Morgenpost, es seien weitere Manipulationen durch Mitarbeiter des Berliner Landeskriminalamtes festgestellt worden. So sollen Namen anderer Dealer gelöscht worden sein, damit Amri nicht als Teil einer Bande, sondern lediglich als Kleinhändler aktenkundig ist. „Damit verfestigt sich der Eindruck, daß es sich bei den ersten Löschungsversuchen nicht um Zufall handelt“, unterstrich der Senator. 

Kritik am Vorgehen des Innensenators kam von der Opposition. Die AfD warf den Regierungsfraktionen vor, aus ihren Reihen werde „gegen die Beamten gehetzt“. Noch sei vollkommen unklar, wie genau es zu der Aktenfälschung kommen konnte. „War es ein Befehl von oben oder vorauseilender Gehorsam?“ fragte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Karsten Woldeit. Und auch FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja meinte, es entstehe der Eindruck, „daß sich der Innensenator auf dem Rücken der Polizei profilieren will“. 

Am Montag war der Fall Amri dann nochmals Thema im Innenausschuß. Dort kam ans Licht, daß in dem abgespeckten Bericht von ursprünglich 73 Protokollen abgehörter Telefonate nur noch sechs enthalten waren. 

Immerhin haben sich nun auch der rot-rot-grüne Senat sowie die CDU dafür ausgesprochen, einen Untersuchungsausschuß einzurichten. Den hatten zuvor AfD und FDP vergeblich gefordert. Zu klären wäre dann auch, ab wann Innensenator Geisel von den Manipulationsvorwürfen Kenntnis hatte.

 Kommentar Seite 2