© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Ohne rot zu werden
SPD-Wahlprogramm: Nach drei Wahlklatschen setzen Martin Schulz und Genossen auch auf „harte“ Themen / „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Haßpredigern
Christian Schreiber

Der geplante Befreiungsschlag ging schon mal mächtig in die Hose. Just an dem Tag, an dem die SPD ihr vorläufiges Programm zur Bundestagswahl präsentierte, ging Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil mit einem eigenen Steuerkonzept an die Öffentlichkeit. Eine Möglichkeit, mit einem medialen Coup die schlechte Stimmungslage aufzubessern, wurde vertan. 

Und so mußte der Spitzenkandidat und Parteivorsitzende Martin Schulz einräumen, daß es sich lediglich „um eine Abstimmungsgrundlage“ für den Bundesparteitag handele. Konkret ist in dem in der vergangenen Woche vorgestellten Entwurf denn auch noch wenig. In dem 67 Seiten starken Papier fehlen noch Details zur Renten- und Steuerpolitik, etwa in welcher Höhe die SPD das Rentenniveau stabilisieren will. Auch die Kosten der Vorschläge werden nicht beziffert. Experten gehen davon aus, daß sie sich auf mehr als 30 Milliarden Euro belaufen könnten, die Partei hält diese Zahl für zu hoch gegriffen. Immerhin erklärt Spitzenkandidat Schulz, „daß es ein gerechteres Deutschland nicht zum Nulltarif geben wird.“ Kollektive Steuersenkungen lehnt die Partei daher ab. Einen Schwerpunkt legen die Sozialdemokraten erwartungsgemäß auf die Themen Arbeit und Soziales. Die Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachliche Gründe soll abgeschafft werden, ebenso die Ausnahmen beim Mindestlohn für Langzeitarbeitslose. 

Die Republik brauche einen „Pakt für anständige Löhne und eine stärkere Tarifbindung“. In der Arbeitslosenversicherung soll ein Recht auf Weiterbildung verankert werden, verbunden mit einem „Arbeitslosengeld Q“, das nicht auf das reguläre Arbeitslosengeld angerechnet wird. Demnach soll jemand auch so lange Zuschüsse erhalten, wie er sich an staatlichen Qualifizierungsmaßnahmen beteiligt. Die Schwelle für den Bezug von Arbeitslosengeld soll abgesenkt werden. 

Wähler in SPD-Hochburgen zur AfD abgewandert

Relativ unkonkret bleiben die Aussagen beim Thema Rente. „Unser Ziel: das Rentenniveau zu stabilisieren. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, verdient eine angemessene Rente, ohne auf Grundsicherung angewiesen zu sein“, heißt es in dem Entwurf. Schulz kündigte an, daß sich die Partei darüber noch weiter beraten müsse. Denn die von Arbeitsministerin Andrea Nahles vorgeschlagene Mindestsicherung des Rentenniveaus und die Deckelung des Beitragssatzes finden sich nicht in dem Programm.

Beim Thema Krankenkassen greift die Partei ein Lieblingsthema ihres Gesundheitsexperten Karl Lauterbach auf. Mit Ausnahme der bislang Privatversicherten sollen einer künftigen Bürgerversicherung alle angehören. Die SPD setzt auch auf die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung für Selbständige mit geringem Einkommen. Perspektivisch ist auch eine Abschaffung des „Zwei-Kassen-Systems“ angedacht. 

Einen Schwerpunkt hat die Partei auf den Themenkomplex innere Sicherheit gelegt und damit sicherlich Erkenntnisse aus der Tatsache gezogen, daß bei den vergangenen Wahlen zahlreiche Wähler aus den klassischen SPD-Hochburgen zur AfD abgewandert sind. Für den Fall eines Wahlsieges sollen 15.000 neue Stellen bei der Polizei in Bund und Ländern geschaffen werden. „Sicherheit ist ein zentrales Bedürfnis der Menschen“, heißt es in dem Programm. Die SPD bekennt sich darin zu einem starken, handlungsfähigen Staat, der Kriminalität, Extremismus und Terror entschieden entgegentritt. Prävention und effektive Strafverfolgung sollten dem Bürger ein Gefühl der Sicherheit geben. Neue Töne schlägt die Partei bei Einwanderung und ausländischen Extremisten an. Notwendig sei gegenüber Haßpredigern eine „Null-Toleranz-Politik“. Extremistischen Bestrebungen in Moscheen müsse ein Riegel vorgeschoben werden, notfalls müßten diese geschlossen werden. 

Die Kontrollen an den Außengrenzen des Schengenraums sollen verstärkt werden: „Kriminelle und Terroristen dürfen nicht in die Europäische Union gelangen“, heißt es in dem Papier.  Notwendig sei zudem eine schnellere Abschiebung von kriminellen Asylbewerbern.“ Offiziell soll das Programm erst am 25. Juni in Dortmund beschlossen werden. Und Papier ist bekanntermaßen geduldig.