© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Gegner der Sezession machen Boden gut
Katalonien: Die spanische Societat Civil Catalana setzt die Unabhängigkeitsbefürworter unter Druck
Michael Ludwig

Gibt es einen Meinungsumschwung in Katalonien? Die Zentralstaatsbefürworter holen auf, der Wunsch, sich vom spanischen Königreich zu lösen und einen eigenen Staat zu gründen, ist bei weitem nicht mehr so groß, wie er es schon einmal war. Einer aktuellen repräsentativen Umfrage zufolge haben die Unabhängigkeitsbefürworter ihre Mehrheit verloren – nur noch 44 Prozent der Befragten wollen sich von Madrid lossagen, 49 Prozent hingegen wollen ein Teil Spaniens bleiben.

Brüsseler Drohungen zeigen Wirkung

Sieht man sich das Meinungsbild genauer an, so wird die Aussage noch deutlicher. Auf die weitergehende Frage, ob man auch für die Sezession sei, wenn die Konsequenz der Ausschluß Kataloniens aus der EU sei, antworteten nur noch 40 Prozent mit einem Ja, 53 Prozent hingegen lehnten sie unter dieser Bedingung ab. Kein Wunder: Ist doch Spanien mit 4,5 Milliarden Euro jährlich der sechstgrößte Nettoempfänger des EU-Haushalts. Brüssel hat mehr als einmal deutlich gemacht, daß ein unabhängiges Katalonien keinesfalls automatisch EU-Mitglied bleiben könne, im Gegenteil – in diesem Fall müßte die Mitgliedschaft neu beantragt werden, ein Procedere, das Jahre dauern und an einem Veto Madrids scheitern würde.

Beherrschten in den letzten Jahren die machtvollen Auftritte der „Independentistas“ das öffentliche Bild der nordöstlichen Provinz der Iberischen Halbinsel, die mit ihrem Bevölkerungsreichtum und hohen Industrialisierungsgrad zu den einflußreichsten Gebieten des spanischen Festlandes zählt, so konnten in den vergangenen Monaten ihre Gegner Boden gutmachen. Nicht nur traditionelle Parteien wie die konservative Volkspartei PP, die bürgerlichen Ciudadanos und weite Teile der Sozialisten (PSOE) wenden sich gegen die Abspaltungstendenzen, auch die „Zivilgesellschaft“ hat zwischenzeitlich ihre Kräfte mobilisiert – sie organisiert sich vor allem in der Societat Civil Catalana (SCC).

Die SCC war es, die Ende März zu einer großen Demonstration in Barcelona aufgerufen hatte, um den Willen der Mehrheit seiner Bürger Ausdruck zu verleihen. Rund 15.000 Menschen zogen durch die Straßen der katalanischen Hauptstadt, sie trugen Transparente mit sich, auf denen „Wir wollen keinen Staatsstreich der Separatisten“, „Sie dürfen uns nicht betrügen, Katalonien ist Spanien“ oder „Ich bin ein Spanier“ standen. Der SCC-Vize José Domingo erklärte: „Es ist unverzichtbar, daß die katalanischen Institutionen ihr Vorhaben aufgeben, ein Referendum zur Unabhängigkeit abzuhalten, denn das einzige, das daraus erwachsen würde, wäre eine Spaltung der Gesellschaft.“ Die Demonstranten warfen der katalanischen Regierung vor, mit ihrem Kurs „dem Zusammenleben der Menschen schweren Schaden zuzufügen, sowie der Demokratie und unseren Interessen einen schlechten Dienst zu erweisen“. 

Wie stark die SCC letztlich in der Gesellschaft verankert ist, läßt sich schwer sagen. Fest steht, sie besitzt genügend Kraft, mit Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Demonstrationen immer wieder auf sich aufmerksam zu machen. Sie versteht sich als ein Sammelbecken all jener Kräfte, bei denen sich „nicht gleich Schaum vor dem Mund bildet, wenn von Madrid die Rede ist“, betonte einer ihrer Anhänger in einem Rundfunkinterview, sondern diejenigen, mit der Hauptstadt des Königreichs zu einem vernünftigen Verhältnis kommen wollen.

Dies ist alles andere als einfach, denn zwischen Katalanen und Kastiliern, also den Bewohnern Zentralspaniens, herrscht traditionell kein besonders gutes Klima. Vor diesem Hintergrund unterstreicht die SCC die Gemeinsamkeiten, die sich über die Jahrzehnte durch vereinte Anstregungen, den Dialog, die Demokratie und den Pluralismus entwickelt hätten. Sie werde daher „nicht gleichgültig bleiben gegenüber den Sezessionsbestrebungen, die uns entwurzeln wollen, indem sie alle Bindungen, die uns als Spanier vereint, brechen, und die uns von dem Projekt Europa“ wegführten.

Madrid kämpft mit allen Mitteln

Die Unabhängigkeitsbestrebungen würden nicht nur zu enormen wirtschaftlichen Kosten führen, an denen alle Katalanen schwer zu tragen hätten. Die Wirtschaftszeitung Expansión berichtete, 2016 hätten 802 Firmen Katalonien verlassen, nur 531 wären hinzugekommen. In Madrid waren es hingegen 1.437 zu 1.013. Es gäbe auch emotionale Folgen, da sie zu einem Bruch innerhalb der katalanischen Gesellschaft führten, die seit altersher auf Integration aufgebaut sei. Vor zweieinhalb Jahren erhielt die SCC  den „Europäischen Bürgerpreis“, der vom EU-Parlament verliehen wird. Es würdigte damit das Eintreten der Organisation für europäische Werte wie „Respekt, Toleranz, Meinungsfreiheit und Dialogbereitschaft“.

In der aufgeheizten Stimmung Kataloniens sind diese Werte nicht selbstverständlich. Vertreter der SCC trafen kürzlich mit dem spanischen Generalstaatsanwalt José Manuel Maza zusammen, um ihrer Besorgnis über „die Situation, die die demokratische Normalität“ Kataloniens betrifft, Ausdruck zu verleihen. 

Es war von Ungeduld, Schikanen und aggressiven Übergriffen die Rede. Die Anwendung von Gewalt mußten kürzlich Studenten erfahren, die auf dem Campus der Autonomen Universität von Barcelona (UAB) einen Infostand aufgebaut hatten, um für die SCC Werbung zu machen. Ein Betroffener berichtete: „Plötzlich kamen etwa 30 Jugendliche auf uns zu, sie umringten uns, beschimpften uns, griffen uns an. Sie rissen die spanische Fahne von unserem Stand und verbrannten sie.“

Obwohl das Verfassungsgericht in Madrid die für September angekündigte Volksbefragung als illegal bezeichnet hat, will es die Provinzregierung in Barcelona offensichtlich auf einen Bruch ankommen lassen. Die letzte in der langen Reihe von Provokationen gegenüber dem Zentralstaat ist, daß nun 8.200 Urnen für die Abstimmung angeschafft werden sollen – 4.200 aus Karton für zusätzliche, weniger wichtige Abstimmungsfragen und 8.200 für das Unabhängigkeitsreferendum, deren Plastik mit dem aus der Lichttechnik bekannten Methacrylat überzogen ist. El Mundo meinte, daß man sich für die Beschichtung deshalb entschieden habe, weil sie sehr viel „feierlicher“ wirke. Kostenpunkt: angeblich rund 200.000 Euro. Die Madrider Regierung warnte Unternehmen davor, sich an Ausschreibungen zu beteiligen, die für das Referendum notwendig sind. Das sei, so hieß es, strafbar.

Nach Ansicht der linksliberalen spanischen Tageszeitung El País sind die katalanischen Behörden mit ihren Vorbereitungen für die Abhaltung der Volksbefragung, was den Termin im September betrifft, hoffnungslos ins Hintertreffen geraten: Für das letzte Referendum habe die Regierung in Barcelona eineinhalb Jahre Vorbereitungszeit gebraucht, die Zeit sei einfach zu knapp, um es jetzt noch zu schaffen. El País stellt den „Independentistas“ ein vernichtendes Zeugnis aus – sie seien „faul“, und ihre Ankündigung sei nichts weiter als „Geschwätz“.