© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/17 / 26. Mai 2017

Die Führung des Landes schaut weg
Ägypten: Koptische Christen sind beinahe täglich Zielscheibe des islamischen Terrors / Kritik an mangelndem Schutz
Michael Link

Ein tödliches Schußattentat auf einen Diakon in Al-Arisch auf der Halbinsel Sinai setzte zuletzt eine Serie von Anschlägen auf koptische Christen in Ägypten fort. Vier maskierte Männer erschossen am 7. Mai auf offener Straße Nabil Saber Ayoub Mansour. Der 40jährige ist damit bereits das achte koptische Anschlagsopfer in dem Badeparadies – und früheren Flugstützpunkt des kaiserlichen Asien-Korps – in diesem Jahr. Mansour war einer von Hunderten koptischen Christen, die den Norden des Sinais im Februar wegen der Terrorwelle des Islamischen Staates (IS) und aus Angst vor weiteren Übergriffen von IS-Kämpfern verlassen hatten. Er war nur zurück nach Al-Arisch gegangen, um dort ein Zertifikat für die neue Schule seines Sohnes abzuholen.

Moslems sollen christliche Ansammlungen meiden 

Seit Jahren sind Christen, die mit zehn Prozent der 94 Millionen Einwohner Ägyptens die größte christliche Glaubensgemeinschaft im Nahen Osten darstellen, im Visier des IS. Erst im April hatte der IS zwei der schwersten Anschläge der letzten Jahre auf Kopten verübt. Diesen fielen insgesamt 44 Menschen zum Opfer. Zunächst sprengte sich am Palmsonntag während des Gottesdienstes in der St.-Georg-Kirche in der nord­ägyptischen Universitätsstadt Tanta ein Selbstmordattentäter in die Luft. Wenige Stunden später zündete ein Terrorist außerhalb einer Kirche in der Hafenstadt Alexandria seinen Sprengstoffgürtel.

Zu beiden Anschlägen bekannte sich der IS. Mit dem Doppelanschlag setzten die Islamisten ihre im Februar auf einem Video festgehaltene Ankündigung um: „Es wird weitere Anschläge und Ströme von Blut geben.“ Darüber hinaus zirkulieren im Internet Todeslisten von Christen. In der Vorwoche drohte der IS den Christen in Ägypten erneut und kündigte weitere Angriffe an. Ein namentlich nicht genannter Anführer der Terrorgruppe warnte in einem Interview mit der IS-Publikation al-Nabaa, Moslems sollten Ansammlungen von Christen und Ausländern aus dem Westen meiden.

Die Regierung verhängte nach den Anschlägen vom Palmsonntag einen dreimonatigen Ausnahmezustand. Staatspräsident Abd al-Fattah as-Sisi berief den nationalen Sicherheitsrat ein und gab anschließend den Befehl zur „sofortigen Abstellung von Armee-Einheiten“ im gesamten Land. Durch diese Maßnahme solle die Polizei unterstützt werden, wichtige Gebäude zu schützen.

Jedoch sei bereits vor den Anschlägen der Schutz christlicher Einrichtungen ausgeblieben, kritisiert Ahmed Badawi, Nahost-Experte von der Freien Universität Berlin. So habe die Mar-Girgis-Kirche in Tanta, wo sich auch das koptisch-orthodoxe Oberhaupt Tawadros II. in der von rund 2.000 Gläubigen besuchten Kirche aufhielt, trotz der erkennbaren Gefährung nicht den nötigen Schutz erhalten. „Wo waren hier die Sicherheitskräfte?“ fragt Badawi. Auch die Unterstützung beim Wiederaufbau zerstörter Kirchen und Gebäude von Kopten sei weitgehend ausgeblieben, beklagt Mohammad Almasri vom Doha-Institut. „Und das, obwohl as-Sisi das Versprechen zur Wiedererrichtung aller Häuser gegeben hat.“

Papst Franziskus besuchte am 28. und 29. April Ägypten, auch um mit dem Staatspräsidenten und Tawadros II. über die Situation der koptischen Christen im Land zu sprechen. Franziskus traf auch den Großimam der renommierten islamischen Al-Azhar-Universität, Ahmed al-Tayyeb. Dieser bestritt allerdings, daß die Gewalt und der Terror seitens islamischer Dschihad-Gruppen in Verbindung mit dem Islam stehe.

Neben der Gewalt leiden Christen im Alltagsleben unter vielfältigen Formen der Diskriminierung, betont Berthold Pelster vom katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. So sei es im beruflichen Bereich für sie manchmal schwieriger, eine Arbeitsstelle zu finden, „weil zum Beispiel der muslimische Besitzer eines kleinen Handwerksbetriebes lieber Muslime einstellt als einen Christen“.

Viele höhere Ämter, so zum Beispiel im Staatsdienst oder im Militär, seien für Christen gar nicht zugänglich. Auch im Familienrecht gebe es Benachteiligungen, erklärt Pelster: „Christliche Männer dürfen keine muslimischen Frauen heiraten, muslimische Männer aber sehr wohl christliche Frauen.“

Konvertiten stehen unter besonderem Druck

Oft werden junge christliche Frauen und Mädchen entführt, um sie zu zwangskonvertieren und mit muslimischen Männern zu verheiraten. Doch nur selten werden diese oder andere Gewaltverbrechen gegen Kopten aufgeklärt. „Es muß noch viel stärker gegen häufig zu beobachtendes parteiisches Verhalten der Sicherheitsbehörden zuungunsten von Christen eingegriffen werden“, fordert Pelster.

Zu den besonders diskriminierten und verfolgten Christen in Ägypten zählen Konvertiten. Zwar stehe auf einen Übertritt vom Islam zum christlichen Glauben nicht die Todesstrafe. Doch könne die Eintragung des neuangenommenen Glaubens in den Personaldokumenten schon große Probleme bereiten, so Pelster. „Vor allem im näheren Umfeld (Familie, Nachbarschaft, Arbeitskollegen) kann eine solche Konversion zu starken Anfeindungen führen, im Extremfall zu blutiger Verfolgung“, unterstreicht Pelster.