© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Reaktionen auf den G7-Gipfel
Realpolitik trifft Gesinnung
Thorsten Brückner

Was auf dem Zettel stand, den US-Präsident Donald Trump bei seinem Besuch in Israel in eine Ritze der Klagemauer steckte, ist nicht bekannt. Üblicherweise handelt es sich dabei um ein Gebet, einen Wunsch an Gott. Beistand des Allmächtigen kann Trump nach seiner Heimkehr allemal gebrauchen. Seine Regierung wird von einem Skandal nach dem anderen heimgesucht, Informationen wandern aus dem Weißen Haus an Journalisten wie Wasser aus einer undichten Leitung. 

Zumindest auf dem internationalen Parkett gelang es dem Präsidenten aber, an Format zu gewinnen. Seine Mahnung an die Europäer beim G7-Gipfel, ihre Grenzen zu sichern und sein Zögern bei Klimaschutzabkommen und außer Kontrolle geratenem Freihandel entspringt einer realpolitischen Herangehensweise, die angesichts der moralisch aufgeladenen Gesinnungspolitik europäischer Prägung wie ein kaltherziger Anachronismus wirkt. Und getroffene Hunde bellen: Ausgerechnet in einem Münchner Bierzelt kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel an, Europa werde künftig sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Auf die USA sei kein Verlaß mehr. Für Merkels Paladine in den Medien spricht so die neue Führerin der westlichen Welt. Größenwahn, gekleidet in ein europäisch-globalistisches Mäntelchen, wäre eine treffendere Beschreibung.