© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Erfolge dringend benötigt
Sudetendeutsche: Vor dem Treffen zu Pfingsten gärt es in der Volksgruppe
Gernot Facius

Bernd Posselt ist begeistert: „Im Herzen Europas wächst endlich zusammen, was jahrhundertelang zusammengehörte.“ Was stimmt den Bundesvorsitzenden und Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL) so euphorisch? Die Bereitschaft von Pavel Belobradek, Chef der tschechischen Christdemokraten und stellvertretender Premierminister, zum Sudetendeutschen Tag nach Augsburg zu kommen. Pfingsten 2015 war Belobradek noch per Video zu den „sehr geehrten Landsleuten“ zugeschaltet, nun will er sich leibhaftig in den Messehallen zeigen. 

Ein „mutiges Zeichen“, sagt Posselt, der die Visite mit eingefädelt hatte.  Es gehe den Repräsentanten von Tschechen und Sudetendeutschen um eine Fortsetzung des Verständigungs- und Annäherungsprozesses zwischen beiden Seiten, der „seinen Ausgangspunkt in den von den Sudetendeutschen mitgestalteten bayerisch-tschechischen Begegnungen der letzten Jahre hatte“. 

Der SL-Sprecher braucht dringend einen Erfolg, um seinen „Reformkurs“ , der mit jahrzehntelang erhobenen Forderungen bricht, gegenüber mißtrauischen oder empörten Landsleuten verteidigen zu können. Vor zwei Jahren hatte Belobradek den Eindruck eines Politikers hinterlassen, der trotz aller Freundlichkeit nicht von der bekannt harten Prager Linie abweicht und sich dabei sogar auf  SL-„Reformer“ stützen kann. 

Im Tschechischen Rundfunk sagte er damals, er sei froh, daß „auf der letzten Bundesversammlung der Sudetendeutschen kein einziges Wort über die Beneš-Dekrete oder die Rückgabe von Eigentum gefallen ist“. Das sei ein „bedeutender Schub und ein größeres Entgegenkommen“ der Landsmannschaft. Anträge auf Restitution sollten nach seiner Meinung heute keinen Erfolg mehr haben. Und es klang nach einem dicken Lob für die SL-Spitze um Posselt, als Belobradek nach der Rückkehr von einem Besuch des Münchner Sudetendeutschen Hauses in Prag erklärte: „Die sudetendeutsche Kommunität ist in der Frage der Beneš-Dekrete und in der Eigentumsfrage wesentlich vorangeschritten.“ 

Der „Fortschritt“, von dem der tschechische Vizepremier sprach, stellt die Landsmannschaft allerdings vor eine Zerreißprobe. Die von ihrer Bundesversammlung beschlossenen Satzungsänderungen verzichten nicht nur auf die Forderung nach „Wiedergewinnung der Heimat“, gestrichen wurde bei der Beschreibung des Satzungszwecks auch das Verlangen nach „Restitution beziehungsweise gleichwertige Entschädigung“. 

Rechtsstreit, Austritte,        finanzielle Probleme

Mehrere SL-Mitglieder sind gegen diese Beschlüsse, die mit Kernforderungen der Landsmannschaft brechen, vor Gericht gezogen – durchaus mit Erfolg. Ein neuerlicher Richterspruch in dieser brisanten Angelegenheit wird für Ende Juni erwartet. Der lange Rechtsstreit stellt inzwischen den Bundesverband der Landsmannschaft in München vor finanzielle Probleme und führt zu Austritten aus der SL.Vor allem in den Bezirksgruppen Schwaben und Oberbayern gärt es.  

Man befürchtet als Folge der „pragmatischen“ Politik von Ministerpräsident Horst Seehofer eine bayerisch-tschechische Übereinkunft zu Lasten der Vertriebenen. Der „Lösung der Gegenwarts- und Zukunftsfragen“, von denen Seehofer immer wieder spricht, seien die alten Forderungen der Sudetendeutschen „schlicht im Weg“, urteilte der dienstälteste deutsche Prag-Korrespondent, Hans-Jörg Schmidt. „Sie mußten einfach weg.“ Und das habe der Münchner Regierungschef denn auch erfolgreich der SL-Führung deutlich gemacht. „Die band er gleichzeitig nicht ungeschickt in seine Diplomatie mit Prag ein.“ 

Erst Anfang Mai war er zusammen mit der CSU-Landtagsfraktion wieder an der Moldau. Mitreisen durfte der Posselt-Vize Steffen Hörtler, auch er ein CSU-Kämpe. Es ging primär um die Themen, die Seehofer am Herzen liegen: Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und bessere Bahnverbindungen von Bayern nach Prag. Der Besuch der Delegation aus München fiel zeitlich mit der Krise der Dreierkoalition des sozialdemokratischen Premiers Bohuslav Sobotka zusammen, die noch immer nicht endgültig beigelegt ist. 

Sobotka ist seit Jahren der bevorzugte tschechische Gesprächspartner von Seehofer. Ob er sich bei den Parlamentswahlen im Oktober behaupten kann, ist allerdings offen. Bei Meinungsumfragen der vergangenen Wochen lag Sobotkas Partei weit hinter dem Koalitionspartner ANO des als Finanzminister abberufenen Milliardärs Andrej Babiš, dem der Premier Verquickung von Geschäft und Politik vorgeworfen hat. 

Und die Christdemokraten, auf die Bernd Posselt große Hoffnungen setzt? Sie kämpfen, um nicht zwischen den großen Parteien zerrieben zu werden. Belobradek ist deshalb mit der Gruppierung der Bürgermeister und Unabhängigen (STAN) ein Bündnis eingegangen. Für die Christdemokraten, deren Hochburgen im mährischen Landesteil liegen, wurde bislang nur ein Stimmenanteil von zwischen sechs und acht Prozent vorausgesagt, der neue Partner erreichte ein Prozent. Dennoch träumt Belobradek von einem „starken Block in der ersten politischen Liga“. Er sucht sich mit einer alten tschechischen Volksweisheit Mut zu machen: „Wer Angst hat, darf nicht in den Wald gehen.“