© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

„Wo waren Ihre Abgeordneten?“
Veteranentag: Ehemalige Soldaten haben ihrer bei Auslandseinsätzen gefallenen und verwundeten Kameraden gedacht / Politiker bleiben Veranstaltungen fern
Christian Vollradt

Ein roter Teppich vor dem Kanzleramt ist eigentlich nichts Besonderes; daß Soldaten Spalier stehen, auch nicht. Dennoch ist an diesem sonnigen Freitagnachmittag alles anders vor dem Berliner Regierungssitz. Denn der rote Teppich ist vor dem Zaun ausgerollt, nicht dahinter. Und die Soldaten tragen keine Paradeuniform und keinen Karabiner, sondern sind in zivil erschienen. Nur ihre schwarzen T-Shirts und die weißen Fahnen mit dem Eichenlaub kennzeichnet sie nach außen als Gemeinschaft. Als Mitglieder des Bundes Deutscher Einsatz-Veteranen.

Sie wollen keinen Staatsgast begrüßen, sondern einen der ihren: Alexander Sedlak. Der hatte für die Bundeswehr in Afghanistan gedient, unter anderem als Scharfschütze in Kundus. Hier in Berlin beendet Sedlak seinen 750 Kilometer langen Fußmarsch „Gegen das Vergessen“, mit dem er auf das Leid traumatisierter Soldaten aufmerksam machen und Spenden sammeln wollte (JF 22 17). 

 Insgesamt kamen so fast 10.000 Euro zugunsten traumatisierter Soldaten zusammen. Sedlak bekennt bei der kurzen Begrüßung durch die rund 70 Teilnehmer, er sei stolz, sein Ziel erreicht zu haben. Für ein Resümee des Marsches sei es jedoch noch zu früh, sagt er etwas später der JUNGEN FREIHEIT. „Ich muß das erstmal sacken lassen.“ Daß die Kameraden vom Veteranenverband in Berlin ihn so willkommen geheißen haben, nennt er überwältigend: „Mit so vielen Leuten habe ich echt nicht gerechnet.“

Eigene, unbelastete         Tradition der Truppe

Zwei von ihnen halten ein Transparent am Zaun des Kanzkeramts: „Ihr seid nicht vergessen“, steht dort. Gewidmet „unseren Gefallenen“ und den „unsichtbaren Einsatzveteranen der Bundeswehr“. Der Veteranenverband fordert ein „klares politisches und militärische Bekenntnis“ zu den Leistungen der „Frauen und Männer, die mit schmutzigen Stiefeln und Waffe in der Hand für die Bundesrepublik Deutschland auf fremdem Boden gestanden, ihr Leben riskiert haben.“ 

Im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte über den Traditionserlaß der Bundeswehr verdienten nach Ansicht des Verbands die jährlich etwa zehntausend aus dem Auslandseinsatz zurückkehrenden einen Platz in einer „eigenen, modernen und unbelasteten Traditionslinie“ der Truppe. Dies gehöre zu einer Armee im Einsatz: mit tapferen Soldaten „die helfen, schützen, aber auch kämpfen mußten, die gefallen sind oder mit körperlichen oder seelischen Verwundungen heimkehrten, mit Erfolgen und Mißerfolgen, mit militärischen Glanzleistungen, aber auch mit Führungsversagen“. 

Bezeichnend ist, daß sich kein Mitglied der Bundesregierung, kein Bundestagsabgeordneter bei den Männern und Frauen des Veteranenverbands blicken läßt. Auch einen Tag später, beim Gedenken im Wald der Erinnerung am Einsatzführungskommando in Potsdam oder dem Motorradkorso von Veteranen, glänzen Politiker durch Abwesenheit. 

Der ehemalige Zeitsoldat Björn Schreiber, Mitherausgeber des Sammelbands „Die unsichtbaren Veteranen“ (JF 12/16), fand in einem offenen Brief an die Bundestagsparteien deutliche Worte für diese Leerstelle. „Wo waren Ihre Abgeordneten, um zu zeigen, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt sind?“ Daß viele Politiker zwar beim zeitgleich stattfindenden Kirchentag oder beim Pokalfinale waren, wertet der Reserveoffizier als „Zeugnis des gesamtgesellschaftlichen ‘freundlichen Desinteresses’ an den Soldatinnen und Soldaten“. 

Aus den Gesprächen mit Teilnehmern der Mahnwache vor dem Kanzleramt geht immer wieder hervor, daß es dieser Mangel an  Wertschätzung ist, der die Veteranen so wurmt. „Es geht uns nicht um Geld!“, betont einer von ihnen. „Wir schicken unserer Jungs da runter nach Afghanistan – und dann?“, meint ein anderer, Älterer. Ein ehemaliger Fallschirmjäger und Kosovo-Veteran, der seit einem Verkehrsunfall im Rollstuhl sitzt, hätte sich eine kleine Geste der Kanzlerin gewünscht. „Ich dachte, die Angie guckt mal raus – aber nee ...“ Um so mehr beeindruckt ihn der Spendenmarsch von Alexander Sedlak: „Vor dem habe ich den größten Respekt“, sagt er und wischt sich kurz über die feuchten Augen.