© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Glaube, Liebe, Zoff
Evangelischer Kirchentag: Das mediale Interesse fokussierte sich auf Barack Obama und die AfD
Thorsten Brückner / Christian Vollradt

Die Boykottaufrufe haben nicht gefruchtet. Über 200 Kirchentagsbesucher in ihren orangefarbenen Schals drängten am Eingang der Sophienkirche in Mitte an Christi Himmelfahrt gegen das Eingangstor. Die Diskussionsrunde „Christen in der AfD?“ war – trotz des zeitgleichen Auftritts des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama am Brandenburger Tor – ein Publikumsmagnet. Das kleine Häufchen von Antifa-Aktivisten, das in gelben Warnwesten mit der Aufschrift „9.11.1938 – kein Vergessen“ gegen die Veranstaltung demonstrierte, blieb eine Randerscheinung. 

Christenverfolgung will    Dröge „nicht dramatisieren“

Für die Podiumsdiskussion mit der Bundesvorsitzenden der „Christen in der AfD“, Anette Schultner, dem Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Markus Dröge, und der Publizistin Liane Bednarz wählten die Veranstalter des Kirchentags einen historischen Ort. Hier predigte 1964 der amerikanische Bürgerrechtler Martin Luther King gegen die Berliner Mauer. Hier leisteten Gläubige der DDR-Diktatur in der Wendezeit passiven Widerstand. Von dem Geist dieser Zeiten war während der Veranstaltung wenig zu spüren. Schultners Ausführungen wurden immer wieder durch Buhrufe, höhnisches Gelächter und Schmähgesänge unterbrochen. 

Dabei gaben Schultners Ausführungen wenig Stoff für Kontroversen. „Jeder Mensch, der existiert, ist gottgewollt, jeder einzelne Mensch ist wertvoll für Gott“, faßt sie gleich zu Beginn ihre Definition eines christlichen Menschenbilds zusammen. In der Kirche erntet sie dafür keine Zustimmung. Das lag wohl auch daran, daß nur ein kleiner Teil der vor dem Tor Wartenden überhaupt Einlaß fand. Zahlreiche Besucher einer Bibelarbeit mit Familienministerin Manuela Schwesig (SPD), die vorher in dem Gotteshaus stattfand, blieben einfach sitzen. Dröge ging nicht so weit, seiner Gesprächspartnerin ihren Glauben abzusprechen. Es gehe ihm um „glaubwürdiges Christsein“, was in der AfD nicht möglich sei. Die Chance, Glaubwürdigkeit vorzuleben, ließ der Bischof allerdings kurz darauf verstreichen, als er unter Weglassung einer zentralen Passage aus dem Strategiepapier der Partei zitierte. Einziges Ziel: Schultner zu demontieren. Einige Journalisten sollten später schreiben, Dröge habe Schultner vorgeführt. Recherche hätte hier für Klarheit gesorgt.

Während Dröge und Bednarz unter tatkräftiger Unterstützung der ZDF-Journalistin Bettina Warken, die die Veranstaltung moderierte, auf der politischen Ebene blieben, gelang es Schultner, ihre Positionen theologisch zu untermauern. „Das Gesetz der Nächstenliebe sagt nicht: ‘Liebe jeden Menschen auf der Welt wie dich selbst.’“ Respekt habe sie vor Menschen, die bei sich zu Hause Flüchtlinge aufnähmen. Die Kirche predige Nächstenliebe, aber erwarte, daß sich der Staat kümmere. „Nächstenliebe darf staatlich nicht verordnet werden.“ Schultner, die einer Freikirche angehört, verwies auf den Wahrheitsanspruch der Kirche in Glaubensfragen, der sich von dem politischen Wahrheitsanspruch, den die evangelische Kirche oft für sich reklamiere, unterscheide. „Es müßte die größte Sorge der Kirche sein, das Evangelium denen zu bringen, die keine Erlösung haben.“ Vor allem in den entchristlichten Regionen Ostdeutschlands gebe es hier riesige Aufgaben für die Kirche.

Den Vorwürf Dröges, die AfD schüre Angst vor einer Islamisierung konterte Schultner. „Wir schüren keine Ängste, die Menschen haben Angst vor der Islamisierung.“ Wenn man sich die Situation der Christen in islamischen Ländern anschaue, sei dies Grund für Angst. „Du bist Grund für Angst“, unterbrach sie ein Störer, der sich unweit der Diskutanten plaziert hatte. Auch der Landesbischof wollte dieses Argument nicht gelten lassen. Er sprach sich dafür aus, Christenverfolgung in den muslimischen Ländern nicht zu dramatisieren. Damit schade man den Christen vor Ort. Die Veranstalter des Kirchentags sahen es offenbar wie Dröge. Auf eine Schweigeminute für die 29 am Freitag von extremistischen Muslimen ermordeten koptischen Christen wartete man beim diesjährigen Protestantentreffen vergeblich. Stattdessen gedachte man der Einwanderer, die ihre Entscheidung, sich von Schleppern nach Europa bringen zu lassen, mit dem Leben bezahlen mußten. Wie die Pressestelle des Kirchentags auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte, sei der getöteten Christen jedoch bei anderen Veranstaltungen gedacht worden. So habe man während der Eröffnungsgottesdienste für die Opfer von Manchester sowie ihre Angehörigen gebetet und während der „Nacht der Lichter“ vom 27. auf den 28. Mai in Wittenberg „der getöteten Glaubensgeschwister in Ägypten“ gedacht.

Auch Warken beteiligte sich an diesem Punkt wieder rege an der Debatte. Ob man nicht die Ängste von Homosexuellen vor einem Erstarken der AfD verstehen müsse, fragte sie Schultner, deren Partei mit einer lesbischen Spitzenkandidatin in die Bundestagswahl zieht.

„Gott spricht nicht            nur durch mich“

Die Publizistin Liane Bednarz, die als Anti-Evangelikalen-Expertin geladen war, kam nur selten zu Wort. Sie kritisierte, die AfD tue so, „als gebe es eine Islamisierung“. Auch sei der Umgang mit Juden in der Partei nicht christlich. Als Beispiel nannte sie den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon, der trotz seiner teilweise antisemitischen Schriften immer noch Parteimitglied sei und sogar am Bundesparteitag in Köln als Delegierter teilgenommen habe. Am Ende blieb der kleinste gemeinsame Nenner, daß man überhaupt miteinander gesprochen habe. 

In einer Pressekonferenz mit Parteichef Jörg Meuthen und dem niedersächsischen Landesvorsitzenden Armin-Paul Hampel beklagte Schultner am Montag rückblickend den Stil der Auseinandersetzung. Dröge habe nicht wie ein Bischof, sondern wie ein politischer Gegner argumentiert. Für die Zukunft halte sie Hintergrundgespräche mit Kirchenvertretern für zielführender als Podiumsdiskussionen. 

Wie anders dagegen die Atmosphäre zur selben Zeit auf der großen Bühne am Brandenburger Tor. „First of all: Guten Tag!“ rief ein gut gelaunter Barack Obama in die Menge, als er gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Gespräch über „Engagiert Demokratie gestalten“ vor die etwa 70.000 Schaulustigen trat. Schon auf diese lapidaren Worte folgte Kreischalarm: „We miss you!“ Die auf den Dächern am Pariser Platz postierten Scharfschützen brauchten sich offenbar wenig Sorgen zu machen. Hier war die Fanmeile des 44. Präsidenten. 

Der wurde abwechselnd mit Merkel vom EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm sowie der Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au interviewt. Ein bißchen geht es dabei um den Glauben („Gott spricht nicht nur durch mich“, sagte Obama, doch in Fragen des Glaubens müsse man kompromißloser sein als in der Politik), mehr aber um Migration, Kriege, Entwicklungshilfe. Auf den unendlich naiven Einwand Bedford-Strohms, wie hoch die Militärausgaben Amerikas im Vergleich zu den Hilfszahlungen für Hungernde seien, gab sich der Ex-Präsident staatsmännisch: „Wir leben in einer gefährlichen Welt“, da sei es gut, eine starke Armee zu haben. Das nahm ihm auch das pazifistische Kirchentagspublikum nicht übel, während Merkel an anderer Stelle für ihren Hinweis, Abschiebungen seien nun mal rechtsstaatlich geboten, Buhrufe erntete.

Als am Ende jüngere Gesprächspartner auf die Bühne geholt wurden, sagte Merkel zu einer Sängerin aus Chicago:  „Wie schön, daß wir so unterschiedlich talentiert sind: Manche können Kunst machen, manche Politik.“ Auf wen sie mit letzterem anspielte, ließ die Kanzlerin offen.