© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Feinderklärung im Psychokrieg
Satire und ihre Grenzen: Warum das Urteil gegen Alice Weidel juristisch korrekt und trotzdem falsch ist
Thorsten Hinz

Die AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel muß die Bezeichnung „Nazi-Schlampe“ in der NDR-Sendung „Extra 3“ als Satire hinnehmen. Das hat die Pressekammer des Hamburger Landgerichts entschieden (Az.: 324 O 217/17) Die umstrittene Äußerung beziehe sich mit den Begriffen „Nazi“ und „Schlampe“ in satirischer Weise auf Weidels Forderung auf dem Kölner AfD-Parteitag, daß die politische Korrektheit auf den Müllhaufen der Geschichte gehöre. Moderator Christian Ehring hatte am 27. April darauf mit den Worten reagiert: „Jawoll, Schluß mit der politischen Korrektheit! Laßt uns alle unkorrekt sein, da hat die Nazi-Schlampe doch recht. War das unkorrekt genug? Ich hoffe!“ 

Der Bezug zu „Nazi“, so das Landgericht, bestehe darin, daß Weidels Partei „in weiten Teilen der Öffentlichkeit eher als Partei des rechten, teilweise auch sehr rechten Spektrums wahrgenommen wird“. Der Zuschauer begreife den Begriff „Nazi“ als „grobe Übertreibung“, nehme deshalb aber nicht an, daß Weidel „Anhängerin der Naziideologie“ sei. 

Das Urteil ist korrekt und zugleich falsch. Es ist korrekt, weil es in der Abwägung zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit auf der einen und Persönlichkeits- und Ehrschutz auf der anderen Seite eine gesetzeskonforme und in sich schlüssige Entscheidung trifft. Auf sie können sich theoretisch auch Satiriker berufen, die gegen Parteien der Mitte, des linken und sehr linken Spektrums polemisieren. Es ist falsch, weil es sich auf einen politischen und gesellschaftlichen Normalzustand bezieht, der längst nicht mehr existiert.

Satire sollte einen Wirklichkeitsbezug haben

Zunächst ist zu klären, was Satire und was politische Korrektheit ist und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Laut „Wörterbuch der Literaturwissenschaft“, herausgegeben von Claus Träger (Leipzig 1986), thematisiert Satire in „geistreicher bis sarkastisch zugespitzter Form den Widerspruch zwischen Wünschbarem und Realität, Ideal und Wirklichkeit“. Die „Schwächen und Laster einzelner Menschen werden der Lächerlichkeit“ preisgegeben.

Das „Sachwörterbuch der Literatur“ von Gero von Wilpert (Stuttgart 1969) definiert Satire als „mißbilligende Darstellung und Entlarvung des Kleinlichen, Schlechten (...)“. Und gemäß Wikipedia handelt es sich um „eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typisches Stilmittel der Satire ist die Übertreibung“. 

Satire hat nach allgemeiner Auffassung also immer einen Wirklichkeitsbezug. Die Zuspitzung und Übertreibung fördern etwas tatsächlich Vorhandenes zutage, das dem Normalbürger sonst verborgen bliebe beziehungsweise was er erspürt oder erahnt, aber nicht selbständig artikulieren kann.

Sie ist somit das glatte Gegenteil der politischen Korrektheit. Diese strebt danach, durch machtgestützte Sprachregulierung den Wirklichkeitsbezug zu zerstören und eine neue, artifizielle Wirklichkeit zu erschaffen. Die eigenständige Wahrnehmung der Realität soll durch eine oktroyierte Fremdwahrnehmung, konkret durch die visionäre Brille einer universellen, „bunten“ Menschengemeinschaft ersetzt werden. Auf vielerlei Weise versucht sie, als Wirklichkeit erscheinen zu lassen, was ihre Verfechter für gut und wünschbar halten. Wie in jeder politischen Ideologie zählen das Verschweigen. Manipulieren, Indoktrinieren und Drohen zu ihren Machtmitteln.

Wenn die Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit dennoch nicht mehr zu leugnen ist – wie infolge der sogenannten Flüchtlingskrise –, werden die Ursachen ausgelagert. Vordergründig liegen sie in der Benachteiligung und fehlenden Teilhabe derjenigen, die noch nicht so lange in Deutschland leben – wobei ihr Anspruch darauf als „Menschenrecht“ vorausgesetzt wird – sowie an den Vorurteilen und der mangelnden Willkommenskultur der schon länger Ansässigen. Beides – die Diskriminierung der Neubürger und die Hartherzigkeit der Altbürger – werden auf das Wirken böser Gegenkräfte zurückgeführt, die sich aktuell vor allem in der AfD zusammenfinden würden. Sind die Kräfte des Bösen eliminiert, so die Insinuation, kommen Ideal und Wirklichkeit zur Deckung. Da in Deutschland alles Urböse im Nationalsozialismus wurzelt, ist der NS-Vorwurf an die AfD zwangsläufig.

Unter diesen Umständen ist die Bezeichnung „Nazi-Schlampe“ keine Satire, sondern eine absolute Feinderklärung und Waffe im Psychokrieg. Gewiß kann Ehring einwenden, er habe lediglich in satirischer Überspitzung die Konsequenzen aufgezeigt, welche die Aufhebung der politischen Korrektheit für die AfD im Zweifelsfall hätte. Deshalb der Nachsatz: „War das inkorrekt genug?“ Diese Auffassung teilt auch das Landgericht, wenn es feststellt, der Zuschauer begreife „Nazi“ lediglich als „grobe Übertreibung“.

Fast möchte man sagen: Schön wär’s! Unter dem Eindruck der Dauer-Kampagnen im „Kampf gegen Rechts“ sind große Teile der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr in der Lage, zwischen „rechts“ und „sehr rechts“ auf der einen und den „Nazis“ auf der anderen Seite zu unterscheiden. Alles erscheint gleich und gleichermaßen böse und illegitim. Die verbalen Handreichungen dazu aus den etablierten Parteien von der Linken bis zur CSU lassen sich leicht ergoogeln. Mit dem Slogan „Kein Kölsch für Nazis“ wandten sich 150 Kneipiers gegen den AfD-Parteitag in Köln. Der Aufruf wurde bundesweit von den Medien lobend hervorgehoben. Ebenfalls zum AfD-Parteitag riefen die Kirchen die Initiative „Unser Kreuz hat keine Haken“ ins Leben. Angesichts solcher Dauerberieselung kann eine unreflektierte Mehrheit gar nicht anders, als die Nähe von AfD und NSDAP als eine gesicherte Tatsache anzunehmen.

Dauerkampagnen im „Kampf gegen Rechts“

Die Wendung einer freiheitlich-demokratisch konzipierten Ordnung zu einem prä- oder neototalitären Zustand zu beschreiben und in der Urteilsfindung zu berücksichtigen, liegt außerhalb der Kompetenz eines Landgerichts. Es muß von den staatspolitischen Grundannahmen ausgehen, die offiziell Gültigkeit haben, und einen Fall danach beurteilen, ob die formalen Regeln eingehalten wurden. Daher ist das Urteil juristisch korrekt, in einem erweiterten Sinne jedoch falsch, ohne daß dem Gericht deswegen ein Vorwurf zu machen ist.

Ein fähiger Satiriker würde seine Aufgabe erst recht darin sehen, den wahrheitswidrigen und hetzerischen Gehalt der politisch korrekten Sprache zu entschleiern. Doch was soll einer machen, dem keine andere zur Verfügung steht? Genau das: Er spekuliert auf den Effekt, indem er ihr einen zusätzlichen brutalen Dreh verleiht und Alice Weidel als „Nazi-Schlampe“ tituliert. „Daß solche aggressiven Diffamierungen auch eine sicherheitsrelevante Komponente für Frau Weidel haben“, wie ein AfD-Sprecher betonte, macht den Moderator Ehring endgültig zum Büttel der politischen Korrektheit.

Wie niederträchtig und feige das ist! Als Jan Böhmermann im ZDFneo den türkischen Potentaten mit hirnlosen Ferkeleien bedachte, hatte er sich wenigstens einen starken Gegner ausgesucht, der in Deutschland über unkalkulierbare Sympathisanten verfügt. Von den Anhängern der AfD hat niemand etwas zu fürchten. Jeder Medien-Esel kann die Gelegenheit nutzen, um ohne Risiko seine Notdurft auf ihr abzulassen. Jetzt auch Herr Ehring vom NDR.