© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Knapp daneben
Biernation im Niedergang
Karl Heinzen

Der Bierkonsum in Deutschland schrumpft unaufhörlich. Tranken die Menschen, die gerade hier waren, im Jahr 2005 noch 115 Liter pro Kopf, so waren es 2016 nur noch 104 Liter. Die Brauereien haben allen Grund, alarmiert zu sein. Ihre Gegenstrategien sind bislang sämtlich versandet. Eine Zeitlang versuchten sie, mit Mixgetränken insbesondere jugendliche Perspektivsäufer allmählich in die Freuden der Trunkenheit einzuführen. Unterdessen scheint der Markt gesättigt zu sein, ohne daß sich der gewünschte Erfolg einstellte. Einige hochmotivierte Start-ups brachten hochpreisige Craftbiere auf den Markt. Diese merkwürdigen, angeblich „handwerklich“ produzierten Gebräue mit befremdlichen Aromen bedienen jedoch nur eine kleine Nische. Der Normaltrinker möchte eben nicht „genießen“, sondern Wirkung bei einem reellen Preis-Leistungs-Verhältnis erzielen.

Die Urbevölkerung scheint das Wissen um den Alkoholmißbrauch als Fundament ihrer Leitkultur zu verlieren.

Nicht zu vernachlässigen ist natürlich, daß der Boom der alkoholfreien „Biere“ anhält. Hier betreiben die Brauereien allerdings Etikettenschwindel. Sie geben ihre Kernkompetenz auf und dringen in einen Markt ein, den bislang Limonaden- und Mineralwasserproduzenten unter sich aufteilen durften. Den Vorwurf, daß sie zuwenig unternommen hätten, um den Niedergang der deutschen Biernation aufzuhalten, müssen sich die Brauereien aber nicht gefallen lassen. Sie waren schlichtweg machtlos gegen den sozialen Wandel, der sich in den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt hat. Es ist nicht gelungen, die wachsende Zahl muslimischer Mitbürger davon zu überzeugen, daß sie die Ernährungsvorschriften ihrer Religion großzügiger interpretieren dürfen, ohne gleich das Himmelreich zu verspielen. Wenn man von einem Scheitern der Integration spricht, dann läßt es sich hier am deutlichsten erkennen. Aber auch die Urbevölkerung scheint das Wissen um den Alkoholmißbrauch als Fundament ihrer Leitkultur allmählich zu verlieren. Alte Menschen fürchten um ihre Gesundheit, junge um ihre Leistungsfähigkeit. Vor lauter Angst vergessen sie, daß es einzig und allein der Alkohol ist, der sie von dieser befreien könnte.