© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/17 / 02. Juni 2017

Der Flaneur
Eier? Gibt’s nur sonntags!
Albrecht Klötzner

Sonntag morgen im Krankenhaus. Neonweißes Licht. Der Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft. Es gibt schönere Orte, einen Tag zu begrüßen, aber was muß, das muß, der Gesundheit zuliebe. 

Das Frühstück rollt klappernd auf einem metallenen Servierwagen durch den glatten, schmucklosen Flur. Geschoben von einer Mittfünfzigerin, kastanienbrauner Kurzhaarschnitt, dicke Oberarme, Typ Gefängniswärter. 

Geduldig stehen die Patienten – meist Rentner in hellblau gepunkteten Nachthemden  – an, sagen und zeigen mit dem Finger, was die Dame auf den vorgehaltenen Teller befördern soll. „Ich hätte gern zwei hartgekochte Eier“, bestelle ich, als ich an der Reihe bin. „Gibt nur eines pro Person, müssen für alle reichen“, grollt die Wagen-Wirtin in etwa so charmant wie die Berliner Müllabfuhr.

Sie lächelt mich an. Fast bedauere ich nun ein wenig, daß ich gleich entlassen werde. 

Montag morgen gegen 8 Uhr wiederholt sich das Schauspiel. „Ein Ei bitte“, sage ich, als sie auf meinen Teller neben die zwei Graubrotscheiben erneut Wurst- und Käse-Aufschnitt legt. „Eier? Gibt’s nur sonntags“, schallt es im Kasernenhofton. Seufzend transportiere ich meinen Teller aufs Zimmer, setze mich in die karge Tischecke und kaue vor mich hin.

Einen Tag später rollt der Wagen wie das täglich grüßende Murmeltier erneut über den Flur. Nur – es steht eine andere Frau dahinter. Jünger, blond, optisch weniger herb. Sie spricht deutsch mit slawischem Akzent. Später erfahre ich, sie ist Wolgadeutsche. Ich überblicke die Auslagen auf dem Servierwagen und entdecke: Eier!

„Ich hätte gern ein Ei, bitte!“ „Sehr gern. Sie können auch zwei haben.“ „Ich denke, Eier gibt es nur sonntags, zumindest hat das gestern ihre Kollegin gesagt.“ „Ach was. Die haben wir jeden Tag. Sie hat die bestimmt nur vergessen und wollte das nicht zugeben.“ Sie lächelt mich an und drückt mir noch ein Tütchen Salz in die Hand. Fast bedauere ich nun ein wenig, daß ich gleich entlassen werden soll.