© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Von hü nach hott gekaudert
Abschiebestopp für Afghanen: Die Unionsfraktion ist auf Druck der SPD sowie der eigenen Führung eingeknickt / CSU-Mann stimmte als einziger dagegen
Felix Krautkrämer / Christian Vollradt

War es die Angst vor schlechter Presse oder wollte man den Koalitionsfrieden um jeden Preis bewahren? Jedenfalls stimmte die Union im Bundestag am Donnerstag abend für einen Abschiebestopp nach Afghanistan, den sie am Morgen noch abgelehnt hatte. 

Nun also müssen Afghanen, deren Asylanträge abgelehnt worden sind, vorerst keine Abschiebung mehr fürchten. Die Entscheidung gelte, bis das Auswärtige Amt die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewertet habe, teilte die Bundesregierung mit. Angestrebt sei das für Juli. Straftäter und sogenannte Gefährder würden auch weiterhin nach Afghanistan zurückgeführt, versicherte die Regierung. Offiziell wurde der Anschlag am vergangenen Mittwoch im Diplomatenviertel der afghanischen Hauptstadt Kabul als Begründung für die Entscheidung angegeben, bei dem mehr als 80 Menschen getötet wurden. 

Eine Rolle gespielt haben dürfte aber auch der Fall eines 21 Jahre alten Afghanen, der verganene Woche in Nürnberg von der Polizei aus der Berufsschule zur Abschiebung geholt worden war. Dabei war es zu heftigen Protesten und Krawallen von Mitschülern und Linksextremisten gekommen. Zahlreiche Medien hatten die Abschiebung des Mannes kritisiert. Die Polizei sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatten das Vorgehen der Beamten dagegen gerechtfertigt. Das Verhalten des Mannes während seines Asylverfahrens sei zudem höchst unkooperativ gewesen.

Nachdem die Grünen eine namentliche Abstimmung im Bundestag zum Thema Abschiebungen angekündigt hatten, signalisierte die SPD der Union, viele Sozialdemokraten würden dem Antrag der Grünen zustimmen, sollten CDU und CSU sich nicht auf einen Abschiebstopp in der Großen Koalition verständigen. In einer am Abend kurzfristig einberufenen Sondersitzung der Unionsfraktion brachte Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Abgeordneten von CDU und CSU dann auf die neue Linie. Später wurde der Antrag der Regierungskoalition mit großer Mehrheit im Bundestag angenommen. Aus der Union stimmte lediglich der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann gegen den Abschiebestopp.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT begründete Hoffmann seine ablehnende Haltung damit, daß sich „die generelle Sicherheitslage dort auch durch den Anschlag in Kabul, so grausam er auch ist, nicht verändert hat“. Der Anspruch auf Asyl sei immer die Ultima ratio. „Aus Gründen der Humanität müssen wir unsere begrenzten Kapazitäten für diejenigen vorhalten, die aus Ländern kommen, in denen es keinerlei Rückzugsmöglichkeiten und keinerlei sichere Regionen gibt.“ In einer Umfrage im Auftrag der Tageszeitung Die Welt haben sich 56 Prozent der Befragten gegen die Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan ausgesprochen, etwa 40 Prozent befürworteten die Entscheidung des Bundestags, die Abschiebungen auszusetzen. 

Unterdessen haben am Montag die Staatsanwaltschaft Regensburg und das Polizeipräsidium Oberpfalz bekanntgegeben, daß der afghanische Mann, der am Samstag vergangener Woche in einer Flüchtlingsunterkunft im oberpfälzischen Arnschwang ein fünf Jahre altes Kind erstochen hatte, ein verurteilter Straftäter war und eine elektronische Fußfessel trug. Der 41jährige war als geduldeter Asylbewerber registriert. Im Oktober 2009 wurde er wegen schwerer Brandstiftung zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, die er bis Januar 2015 komplett verbüßte. Danach wohnte er in dem Asylbewerberheim in Arnschwang. 

Wegen seiner Verurteilung stand er unter sogenannter Führungsaufsicht. Per Gerichtsbeschluß durfte er sich lediglich im Umfeld der ihm zugewiesenen Asylunterkunft aufhalten. Um dies zu kontrollieren, mußte er eine elektronische Fußfessel tragen. Die Hintergründe der Auseinandersetzung des Mannes mit der Mutter des getöteten Jungen – einer Asylbewerberin aus Rußland – sind weiter unklar. Während des anschließenden Polizeieinsatzes hatte ein Beamter den Afghanen schließlich mit seiner Schußwaffe getötet.