© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Vollmundig für Platz drei
Christian Vollradt

Etwas unruhig nestelt Cem Özdemir an seinem Stuhl herum. „Wir sind noch nicht ganz auf Augenhöhe“, meint er und schaut auf zu seiner Co-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die neben ihm – nur ein wenig höher eben – vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz sitzt. Dann hat der Grünen-Chef den Hebel gefunden, der Drehstuhl schiebt sich leicht nach oben. 

Nach oben. Dorthin will es für ihre Partei in den Umfragen nicht so einfach gehen. Gerade einmal sieben Prozent weisen ihnen die Meinungsforscher derzeit zu, das Wahldesaster in Nordrhein-Westfalen steckt den Grünen auch noch in den Knochen. Doch obwohl sie weit entfernt scheinen von den zweistelligen Werten, die sie noch im Januar hatten, und obwohl sie bei einigen Umfragen hinter Linkspartei, AfD und FDP rangieren, geben sich die beiden Spitzen-Grünen zuversichtlich und selbstbewußt: „Wir wollen die Groko ablösen“, lautet die Devise. Drittstärkste Kraft wollen sie im September werden, denn „Platz drei bedeutet eine Richtungsentscheidung“. 

Und damit auch jeder weiß, was er (oder sie oder es) bekommt, wenn er (oder sie oder es) das Kreuz bei den Grünen macht, haben diese eine Art Wahlprogramm-Konzentrat herausgebracht und vergangene Woche der Hauptstadtpresse vorgestellt, den „Zehn-Punkte-Plan für Grünes Regieren“. Manch ein besonders anstößiger Punkt aus der Grünen-Programmatik, der vielleicht Nicht-150-Prozentige abschrecken könnte, taucht in der Kurzfassung erst gar nicht auf: etwa die wiedereinzuführende Vermögenssteuer oder der Plan, bis 2030 Verbrennungsmotoren aus dem Verkehr zu ziehen. 

Stattdessen präsentieren Özdemir und Göring-Eckardt das allgemeine grüne Wohlfühlprogramm im Schongang: Klimaschutz („Wenn Amerika aussteigt, sind wir um so mehr gefordert!“), Landwirtschaft „ohne industrielle Massentierhaltung“ und Gleichberechtigung („wo die Liebe hinfällt, muß die Ehe möglich sein“). Beim eher un-grünen Hauptsorgenthema Innere Sicherheit setzt die Partei auf Prävention, „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ und ein verschärftes Waffenrecht. Das Asylrecht zu verschärfen, schließen die Grünen dagegen aus. Dafür soll, wer hier geboren wurde, automatisch Deutscher sein. „Wer anpackt für unsere gemeinsame Heimat, gehört dazu. Wer hier glücklich werden will, muß unser Grundgesetz und seine Grundwerte anerkennen. In unserem gemeinsamen Land gilt das für alle, egal ob sie aus Dresden oder aus Damaskus kommen.“ Das Wort „Heimat“ fiel auch während der Pressekonferenz auffallend häufig – für grüne Verhältnisse ... 

Die zehn Punkte, so betonen es die beiden Spitzenkandidaten, seien der „Maßstab für unsere Regierungsbeteiligung“. Eine Präferenz geben die beiden Realos nicht bekannt; die Zeit der politischen Lager sei ohnehin vorbei. Daher werde man mit allen Parteien sprechen – außer mit der AfD. Damit es zu Koalitionsgesprächen überhaupt kommen kann, müßten die Grünen allerdings wie Cem Özdemir an seinem Stuhl den Hebel finden, um wieder nach oben, auf Augenhöhe zu steigen.