© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Standhaftigkeit bitter bezahlt
Schleswig-Holstein: Ein Wirt vermietete an viele Parteien, auch an die AfD / Nach Antifa-Terror und Ausgrenzung folgt die Pleite
Hinrich Rohbohm

Das Schwarzweißfoto über dem Ecktisch erzählt eine Geschichte aus lebendigeren Tagen. Männer posieren mit ihren Kühen vor dem Hotel „Aukrug-Tivoli“. „Damals war das hier noch eine Ausspann-Station“, sagt Sven Lohse. Der 56jährige ist heute Eigentümer der seit 1890 existierenden Gastronomie. Er sitzt an dem Tisch unter dem Bild. In dem Raum stehen Buffetplatten. Auf der Speisekarte finden sich diverse Gerichte: von hochwertigen argentinischen Steaks, verschiedenen Salatvarianten bis hin zum Hawaii-Toast. Mehrere Tische und Stühle laden zum Verweilen ein. Doch niemand sitzt an ihnen. Der Saal im hinteren Bereich des Gebäudes: leer. Das abgetrennte Nebenzimmer ebenfalls. Kein Gast will das Restaurant „Tivoli“ besuchen.

Auch an anderen Tagen finden sich keine Gäste ein. Seit drei Monaten geht das so. Dabei ist das Restaurant günstig gelegen. Direkt an der durch den Ort führenden Hauptstraße. Der Bahnhof befindet sich direkt gegenüber. Bis zur Autobahn sind es keine zehn Kilometer.

Doch in Aukrug, einem knapp 4.000 Einwohner zählenden Dorf im schleswig-holsteinischen Kreis Rendsburg-Eckernförde, meiden die Bewohner den Gastronomiebetrieb. Wen es doch einmal dorthin verschlägt, der möchte nur ungern gesehen werden. Nachbarn drehen sich schnell zur Seite, wenn Sven Lohse aus dem Haus tritt. Um ihn nicht grüßen zu müssen. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler hat sich einen schlechten Ruf im Ort erworben. Den des „AfD-Wirtes“. Weil er nach Anfrage der Alternative für Deutschland Räumlichkeiten für Veranstaltungen zugesagt hatte.

„Angefangen hatte alles am 1. März dieses Jahres“, beginnt Lohse zu erzählen. Der Tag, an dem AfD-Leute aus der Region zu ihm kamen, um zu erkunden, ob die Lokalität für sie geeignet sei. Sie ist es. Lohse gibt der Partei seine Zustimmung. „Damals dachte ich mir noch nichts dabei. Ich habe denen zugesagt, wie ich es bei jeder anderen Partei bisher auch getan habe.“ Ein Jahr zuvor war sogar Ralf Stegner und dessen SPD in seinem Restaurant zu Gast. Doch mit seiner Zusage an die AfD sollte alles anders werden.

Gäste bleiben weg, Einheimische pöbeln

Einen Abend zuvor ruft ein Mitarbeiter der AfD-Bundesgeschäftsstelle bei ihm an. Die Partei ist unter Druck geraten, nachdem ihre für den 3. März geplante Wahlkampferöffnung im Kieler Schloß aus „Sicherheitsgründen“ abgesagt wurde. Die hektische Suche nach einer neuen geeigneten Lokalität beginnt. Niemand aber möchte der umstrittenen Partei Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Bis Sven Lohse am 1. März ja sagt. „Die hatten mir da schon ganz fair gesagt: Es könnte Ärger geben, mit Demonstrationen und so weiter.“ Lohse sagt trotzdem zu.

„Meine Meinung dazu war: Sie sind eine legale Partei, also dürfen sie hier auch reden.“ Die Veranstaltung wird in der Presse angekündigt. „Von da an erhielt ich Anrufe im Minutentakt.“ An einige davon kann sich der Gastronom noch gut erinnern. Etwa an den eines Verdi-Vertreters. Ob er sich über die Folgen im klaren sei, wenn er der AfD Räumlichkeiten zur Verfügung stelle, habe der Gewerkschaftsmann gefragt. Lohse wiederholt seinen Standpunkt. „Dies ist ein freies Land, jede Partei darf das“, sagt er. Aber diese nicht, das seien Nazis, sei ihm darauf entgegnet worden. Lohse bleibt bei seiner Auffassung. „Na ja, Sie werden ja sehen, was daraus folgt“, habe der Anrufer zuletzt noch gesagt. „Wissen Sie, wer der Schwarze Block und die Antifa sind?“ habe ihn ein weiterer Anrufer gefragt. „Ich wußte es nicht, und es hatte mich bisher auch nie interessiert“, gesteht Lohse. „Na, dann werden Sie die ja am dritten kennenlernen“, habe er darauf zu hören bekommen.

Ein Hamburger Rechtsanwalt, der regelmäßig im „Tivoli“ einkehrte, weil er das Essen schätzt, bleibt dem Lokal nun fern. Er habe nichts gegen Lohse. Aber als SPD-Mann könne er sich das nun nicht mehr erlauben, ohne Gefahr zu laufen, selbst Klienten zu verlieren. „Wir haben bei Ihnen immer gut gegessen. Ab sofort werden wir das nicht mehr tun“, habe ihm ein Kinderheim mitgeteilt. „Wir hatten hier überhaupt noch gar kein Kinderheim zu Gast“, wundert sich Lohse.

Im Internet tauchen Drohungen auf. Man werde Molotowcocktails durch die Fenster des Lokals werfen und die Gäste verprügeln, habe es dort geheißen. Der Staatsschutz schaltet sich ein. Den 3. März werden viele Bürger von Aukrug wohl noch länger in unguter Erinnerung behalten. Mehrere Polizeihundertschaften rücken an, sperren Straßen und das Gelände rund um das „Tivoli“ ab. Anwohner ärgern sich über die Durchfahrtsperren, für die sie jetzt Lohse verantwortlich machen, weil der ihnen dies mit seiner Zusage an die AfD eingebrockt habe.

In der Nacht vor der Veranstaltung wird der „Tivoli“-Eingang mit roter Farbe besprüht, „FCK AFD“ an die Tür geschmiert. Gäste seien mit Steinen beworfen worden. „Wenn meine Frau Getränkenachschub von draußen holte, schrien Demonstranten: ‘Verpißt euch, wir wollen euch hier nicht, wir mögen euch sowieso nicht.’“ Für Lohse besonders erschütternd: „Es war nicht die Antifa, die das schrie. Das waren Aukruger.“ Journalisten von ARD und ZDF hätten ihre eigenen Lunchpakete mitgebracht, um sich während ihrer Arbeitspausen nicht mit Speisen und Getränken vom „Tivoli“ versorgen zu müssen.

Unbekannte zerstechen dem Hausmeister die Reifen

Dabei ist Sven Lohse eigentlich mal ein Linker gewesen. 1979 war der gebürtige Hamburger sogar in die SPD eingetreten, nahm an Anti-Strauß-Demonstrationen teil. Er erinnert sich noch gut an die menschenverachtenden Sprüche, die damals skandiert wurden. „Ponto, Buback, Schleyer, der nächste ist ein Bayer“ und „Die Luft ist ruhig, der See ist rein, Franz Josef muß ertrunken sein“, hatte es damals geheißen.

Anfang der achtziger Jahre hatte er von der SPD genug. „Ich konnte mich nie damit anfreunden, daß man Geld bekommt fürs Nichtstun“, kritisiert er deren Sozialpolitik. „Wenn die Gemeinschaft für einen aufkommt, dann ist das ja toll, aber ich muß der Gemeinschaft auch etwas zurückgeben.“ Es war die Zeit, in der es Sven Lohse in die weite Welt zog. „Ich hatte Fernweh.“ Wenn er Udo Jürgens’ Song „Ich war noch niemals in New York“ hörte, dann waren das genau seine Träume. Er besorgte sich eine Pinnwand, auf der er alle Orte markierte, die er besucht hatte.

Mit 150 Mark in der Tasche stellte er sich in den Achtzigern an die Autobahnraststätte Hamburg-Stillhorn. Zehn Tage später fand er sich in Jordanien wieder. „Am ‘Todesstreifen’ an der türkisch-syrischen Grenze hatte mich zuvor so ein Scheich mit seiner Limousine aufgegabelt. Der hatte mich bis nach Amman mitgenommen.“

Von 1983 bis 1987 studiert Lohse Wirtschaftswissenschaften an der kalifornischen Berkeley-Universität. Später arbeitet er für eine Exportfirma in Großbritannien, wo er seine Frau kennenlernt, mit der er 1989 zurück in die USA geht. Als 2008 die Finanzkrise ausbricht, wandert er nach Uruguay aus, kauft sich dort eine Farm und wird zum Selbstversorger. Eigener Brunnen, fünf Kühe, fünf Schweine, 21 Hühner. Lohse erwartete eine Katstrophe. „Ich bin da ein wenig Verschwörungstheoretiker“, gibt er offen zu. Die Terroranschläge vom 11. September 2001? Waren ein „Inside-Job“ der US-Regierung, ist er überzeugt.

Sven Lohse und die AfD hätten zu einem späteren Zeitpunkt wohl ohnehin zusammengefunden. So aber sorgten die Umstände dafür, daß es ausgerechnet das Umfeld der Antifa war, das den Gastronom zu einem AfD-Fan werden ließ. Stolz zeigt er Fotos, auf denen er Arm in Arm mit der AfD-Vizechefin Beatrix von Storch zu sehen ist. Sechs Veranstaltungen hat die Partei inzwischen in seinen Räumen abgehalten, darunter auch die schleswig-holsteinische Landtagswahlparty.

Der Preis dafür ist, daß seitdem auch in den Abendstunden die Stühle im „Tivoli“ leer bleiben. „Ja, wir haben durch die AfD Kunden verloren“, stellt Lohse nüchtern fest. Selbst seinem Hausmeister seien bei sich zu Hause die Scheiben eingeschlagen und an dessen Trecker die Reifen aufgestochen worden. „Wir sind in Stasi 2.0 längst angekommen.“ Daß einst auf ähnliche Weise Boykottaufrufe in Deutschlands finsterstem geschichtlichen Zeitabschnitt erfolgten, scheine offenbar nur wenige nachdenklich zu stimmen. Am 15. Juli wird Sven Lohse seinen Gastronomiebetrieb schließen.