© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Macrons Partei führt in Umfragen
Frankreich vor der Parlamentswahl: Der Präsident kann sich Hoffnungen für sein Reformprogramm machen
Friedrich-Thorsten Müller

Wenige Tage vor dem ersten Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung in Frankreich sieht alles danach aus, daß die Wahlrechtsreform von 2002 ihren ersten echten Belastungstest bestehen könnte. Damals hat der Gesetzgeber die Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt und dessen Wahl mit den Parlamentswahlen synchronisiert. Ziel war es, die Wahlen zur Nationalversammlung zukünftig immer wenige Wochen nach der Präsidentschaftswahl stattfinden zu lassen. Dadurch sollte dem jeweils neugewählten Präsidenten die Chance auf eine solide Mehrheit gesichert werden, was zuvor häufig nicht der Fall war und regelmäßig zur Lähmung des Landes durch die „Cohabitation“ führte. Das ist die französische Variante der Großen Koalition, wenn der Präsident ohne eigene Mehrheit regieren muß.

Front National hat nur zwei Abgeordnete im Parlament

Das Novum diesmal ist, daß der neue Präsident Emmanuel Macron einer Formation angehört, die sich sozusagen erst „zwischen den Wahlen“ unter dem Namen „La République en marche“ (REM) als Partei aus der Taufe gehoben hat. Doch nach verschiedenen Umfragen, zum Beispiel des Instituts Kantar Sofres-OnePoint für RTL, könnte der Coup gelingen: REM kann mit 31 Prozent der Stimmen und damit im Mehrheitswahlrecht mit 320 bis 350 Abgeordneten rechnen. Die konservativen Republikaner kämen demnach nur auf 18 Prozent und 140 bis 155 Abgeordnete. Die aktuell noch mehrheitlichen Sozialisten würden dann mit landesweit noch acht Prozent der Stimmen von aktuell 300 auf nur noch 40 bis 50 Abgeordnete einbrechen. Die extreme Linke darf mit ihren prognostizierten zwölf Prozent mit voraussichtlich 20 bis 30 Abgeordneten rechnen, der Front National bei 17 Prozent der Stimmen dagegen nur mit zehn bis 15.

Doch auch dieses Ergebnis für den FN wäre schon ein wirklicher Erfolg, wenn man berücksichtigt, daß sich die Wähler in der fast überall unvermeidlichen Stichwahl traditionell in großer Zahl hinter den jeweils verbliebenen Nicht-FN-Kandidaten stellen. Bisher hat der Front National darum nur zwei Abgeordnete in der Nationalversammlung.

Von Euphorie ist das politische Frankreich im Moment gleichwohl weit entfernt. Präsident Macron hat sich als erste große Aufgabe seiner Amtszeit die Reform des Kündigungsschutzes für Arbeitnehmer auf die Fahnen geschrieben. Sein Kalkül ist, schwierige Reformen am Anfang der Amtszeit umzusetzen, um bei den nächsten Wahlen dann deren Früchte ernten zu können. Umfragen zeigen aber, daß die Mehrheit der Franzosen gegen diese Reform ist. Insbesondere die radikale Linke um Jean-Luc Mélenchon, aber auch Marine Le Pens Front National haben die Parlamentswahlen darum zur Abstimmung über die Arbeitsrechtsreformen erklärt.

Das Saubermann-Image von Präsident Emmanuel Macron und seiner „République en marche“ bekommt derweil bereits Risse: Dessen wie Macron von den Sozialisten kommendem Generalsekretär und Wohnungsbauminister, Richard Ferrand, wird Bereicherung und Amtsmißbrauch im Zusammenhang mit einem früheren Immobiliengeschäft in der Bretagne vorgeworfen. Die Justiz hat diesbezüglich Vorermittlungen eingeleitet. Und auch acht weitere Abgeordnetenkandidaten von REM stehen in der öffentlichen Kritik. Dabei ist alles an möglichen Sünden vertreten, dessen die Franzosen überdrüssig sind: Die Vorwürfe reichen vom zynischen Immobilienspekulantentum über Sozialbetrug bis hin zu Scheinbeschäftigungen. Immerhin einer der Kritisierten, Pierre Cabaré, der 2003 zeitweilig sein passives Wahlrecht einbüßte, verlor daraufhin seine Kandidatur. Denn Emmanuel Macron hatte vor seiner Wahl versprochen, niemanden mit einem Vorstrafenregister als REM-Abgeordneten zu akzeptieren.

Geglättetes Parteiprogramm der Republikaner

Die konservativen Republikaner haben sich dagegen von dem Schock, zum erstenmal in der Geschichte der Fünften Republik keinen Kandidaten in die Präsidentschaftsstichwahl bekommen zu haben, noch nicht wieder erholt. Hastig hat man nach dem politischen Rückzug François Fillons das Parteiprogramm geglättet. Es klingt europafreundlicher, fordert kein Zurückrudern mehr bei der „Ehe für alle“ und schlägt auch in der Einwanderungspolitik moderatere Töne an.

Trotzdem dürfte sich der Nutzen, den der Front National aus diesem Schwenk zur Mitte ziehen kann, in Grenzen halten. Beim Front National setzt sich vielmehr das Gefühl fest, im Mehrheitswahlsystem Frankreichs trotz einer Rekordstimmenzahl von fast elf Millionen in der Stichwahl um die Präsidentschaft politisch nicht von der Stelle zu kommen. Marine Le Pen glaubt dieses Dilemma durch einen moderaten Kurs, zum Beispiel beim bisher geforderten Ausstieg aus dem Euro, auflösen zu können. Für den Fall einer Mäßigung drohte indes ihr beliebter Parteivize Florian Philippot offen mit der Parteispaltung – und das mitten im Wahlkampf. Das dürfte den Stimmenanteil bei der Wahl sicher nicht beflügeln.