© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Diskussionsbereit wie die SED im Endstadium
Forum Mittelstand: Euro-Kläger Kerber rechnet mit der EZB und Sigmar Gabriel ab / Neuauflage des brisanten Titels „Europa ohne Frankreich?“
Mathias Pellack / Christian Dorn

Es ist Dienstag, der 30. Mai – und wieder kein Weltuntergang, stattdessen schönster Sonnenschein. Trotzdem hat die Feuerwehr Berlin eine Unwetterwarnung herausgegeben. Doch daß die Spannung steigt, hat einen weiteren Grund: Hauptredner und EZB-Ankläger Markus C. Kerber ist noch auf dem Rückweg vom Bundesverfassungsgericht, wo der an der TU Berlin lehrende Wirtschaftsjurist eine weitere Klage gegen die fortgesetzte Euro-Rettungspolitik Mario Draghis eingereicht hat. So schickt Veranstalter Stefan Friedrich (CDU) im Hilton Hotel am Gendamenmarkt, wo einst – kurz vor Zusammenbruch des SED-Regimes – „Mr. Dynamite“ James Brown genächtigt hatte, den Berliner FDP-Spitzenkandidaten Christoph Meyer und die ehemalige brandenburgische CDU-Landesvorsitzende Saskia Ludwig vor. Im Rahmen des Forums Mittelstand sprechen sie zum Thema „Euro-Rettung, Energiewende und Zuwanderung – Zeit für eine Kurskorrektur“. Zu überzeugen weiß jedoch nur Ludwig, so durch ihre detaillierte Kritik an der „Energiewende“. Das vormalige CDU-Präsidiumsmitglied ist sich seiner politischen Prinzipien treu geblieben und hat dafür mit dem Verlust aller Ämter bezahlt. Für den Einzug in den nächsten Bundestag muß Ludwig ihr Direktmandat im Wahlkreis Potsdam-Mittelmark gewinnen.

Ihre aufrechte, um Wahrhaftigkeit bemühte Haltung läßt die großgewachsene Politikerin für einen Moment als eine Wiedergängerin der Germania erscheinen – nicht nur da ihr hellblaues Tuch um die Schultern den AfD-Farbton trägt, auch mit Blick auf die von Markus C. Kerber an diesem Abend annoncierte Neuauflage seines Buches „Europa ohne Frankreich?“, das sich – horribile dictu – der „Französischen Frage“ widmet und mit einem Zitat Ernest Renans beginnt: „Wenn man in der Zukunft recht behalten will, muß man sich zu gewissen Zeiten damit abfinden, nicht in der Mode zu sein.“ Den Buchdeckel ziert eine Montage der Gemälde „Germania auf der Wacht am Rhein“ (1860) von Lorenz Clasen und „La Liberté“ (1793/94) von Nanine Vallain. Das antipodisch angelegte Tableau der beiden allegorischen Figuren birgt Sprengstoff. So hatte aus Angst um die formelhaft beschworene deutsch-französische Freundschaft der Suhrkamp-Verlag den Druck des Buches einst zu blockieren versucht. Tatsächlich leistet es eine unerhörte Aufklärung. Deutschen Europa- und Finanzpolitikern sollte es zur Pflichtlektüre gemacht werden. Das zeigte eindrücklich die erregte Reaktion des FDP-Politikers Meyer, der die Kritik Kerbers an Frankreichs politischer Klasse als „unerträgliche“ antieuropäische Hetze diffamierte – und an den Falschen geriet. Geht Kerber, ehemaliger ENA-Absolvent, doch seit nahezu drei Jahrzehnten im Élysée-Palast ein und aus und hat gute Gründe, den Euro als „monetären Sozialismus“ zu geißeln. Mit Blick auf den Wahlsieg Emmanuel Macrons erklärte Kerber das Auswärtige Amt für „geopolitisch impotent“. Das aktuelle Verhalten von Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der sich sogleich zum Fürsprecher von Macrons finanzpolitischen Ansinnen machte, sei im höchsten Maße „undiplomatisch“. Im übrigen führe die von Italien und Frankreich geforderte gemeinsame Arbeitslosenversicherung nur zu noch mehr Arbeitslosen. Wenn der Élysée-Palast, der auch einen EU-Finanzminister wünscht, einen angeblichen Schulterschluß mit Deutschland suche, dann nur, „um es zu melken bis zum Gehtnichtmehr“.

Nationale Souveränität Deutschlands aushebeln

 Um dem wenigstens einen ersten Riegel vorzuschieben, will Kerber mit seiner Klage auf Anordnung einer Einstweiligen Verfügung erwirken, daß der Bundesbank „die Möglichkeit gegeben wird, die Schuldtitel der EZB nicht zu kaufen“. Denn in Wirklichkeit handelten der italienische EZB-Chef Mario Draghi und das französische EZB-Vorstandsmitglied Benoît Cœuré nur in ihrem nationalen Interesse: „Italien will mehr Schulden machen, und Frankreich sucht sich zu sanieren.“ Die europapolitischen Vorstellungen Macrons zielten darauf ab, die „nationale Souveränität Deutschlands in der Fiskalpolitik auszuhebeln.“ Leider fehle Bundesbankchef Jens Weidmann der Mut, im EZB-Direktorium mit Nein zu stimmen. Allein eine solche Drohung würde den automatischen Rettungsmechanismus beenden. Das größte Problem bestehe darin, daß die EZB „niemandem berichtspflichtig“ sei und daher „so diskussionsbereit wie die SED in ihrem Endstadium“. Kerber hoffe daher, „daß sie dasselbe Schicksal ereilt“. Als Sofortmaßnahme forderte er die Ersetzung des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und des EU-Wirtschafts- und Währungskommissars Pierre Moscovici.

Markus C. Kerber: Europa ohne Frankreich? Edition Europolis, Berlin 2017, gebunden, 224 Seiten, 13 Euro

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