© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/17 / 09. Juni 2017

Ein Sozialstaat gerät ins Wanken
Norwegen: Eine Studie über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten der Massenzuwanderung deckt schonungslos Probleme auf
Christoph Arndt

Nicht zuletzt seit der Asylkrise des Jahres 2015 sind heftige Debatten über die wahren Kosten der Einwanderung aus dem nichtwestlichen Kulturkreis entbrannt. Angesichts dessen hat sich Norwegen zu einem empirisch fundierten migrationspolitischen Kassensturz entschieden. 

Der Abschlußbericht dazu wurde nun dem norwegischen Justizministerium unter dem Namen „Integration und Vertrauen: Langfristige Konsequenzen hoher Einwanderung“ übergeben. Eine Kommission aus renommierten skandinavischen Ökonomen und Sozialwissenschaftlern unter dem Vorsitz der Osloer Soziologieprofessorin Grete Brochmann hatte an dem Report seit im Dezember 2015 gearbeitet. 

Integrationsverweigerer mehr unter Druck setzen  

Zur Ausgangslage: Norwegens Gesellschaft wandelte sich seit der Jahrtausendwende schnell von einer relativ homogenen Bevölkerung zu einer Zuwanderungsgesellschaft. Bei einer Einwohnerzahl von 5,3 Millionen hat sich die Anzahl der Menschen mit Zuwanderungshintergrund innerhalb von zehn Jahren auf etwa 850.000 Menschen verdreifacht – davon stammt die Hälfte aus nichtwestlichen Ländern. 

Seitdem gibt es auch eine öffentliche Debatte über die Auswirkungen der Massenzuwanderung: Da stellt sich erstens die Frage, inwieweit die ökonomischen Kosten der Zuwanderung den Sozialstaat finanziell erodieren lassen. Zweitens steht die Frage im Raum, inwieweit die gesellschaftliche Legitimität des norwegischen Sozialstaates unter Druck gerät, wenn seine Mehrheitsbevölkerung die Reziprozitätsnorm im Sozialsystem als Folge von Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen unterminiert sieht. 

Es hatte sich die Auffassung etabliert, daß der Empfang von Sozialleistungen nur vorübergehend und durch wirkliches Bedürfnis begründet ist oder durch langjährige Erwerbsarbeit verdient wurde. Gleichzeitig ging der Norweger davon aus, daß die Empfänger von Transferleistungen keine Trittbrettfahrer sind und die Sozialleistungen nicht ohne eigene Leistung dauerhaft beziehen. Dieses Grundverständnis gerät dem Report zufolge nun unter Druck, wenn bestimmte Zuwanderergruppen dauerhaft vom Sozialstaat alimentiert werden und sie sich gleichzeitig durch ihr Verhalten und die Bildung von Parallelgesellschaften von der Mehrheitsgesellschaft isolieren.

Während bis in die 1990er Jahre überwiegend Arbeitsmigranten aus den nordischen Nachbarländern und anderen europäischen Ländern in das Land kamen, hat sich seitdem die Herkunft der Zuwanderer stark verändert. Seit der Jahrtausendwende gibt es eine starke Zunahme von Zuwanderern aus nichtwestlichen Ländern. Um 2015 stammten bereits 56 Prozent der Einwohner mit Zuwanderungshintergrund aus der sogenannten Ländergruppe 3 (vorwiegend nichtwestliche, sondern afrikanische und asiatische Länder). 2015 kam es zu einem weiteren markanten Zustrom von 31.000 Asylanten. 

Die veränderte Zusammensetzung der Zuwandererbevölkerung spiegelt sich dann auch in deren Bildungsabschlüssen wieder. So haben lediglich ein Viertel der Norweger einen Bildungsabschluß auf einfachem Niveau (zehn Jahre Schule), während dies für mindestens siebzig Prozent der afghanischen, eritreischen oder somalischen Einwanderer zutrifft. Die Autoren belegen in dieser Hinsicht, daß die Steigerung der Kinderarmut in Norwegen fast ausschließlich zuwanderungsbedingt ist. 

Außerdem bewerten sie die niedrigere Beschäftigungsquote von 55 Prozent bei nichtwestlichen Zuwanderern als langfristige Gefahr für den norwegischen Sozialstaat. Dieser benötigt eine hohe Erwerbsbeteiligungsquote von mindestens 75 Prozent, um durch entsprechende Steuereinnahmen Sozialleistungen und soziale Dienstleistungen finanzieren zu können. Die Autoren zeigen weiter, daß 37 Prozent aller Arbeitslosen Zuwanderer sind, was in erster Linie auf die erheblich höhere Arbeitslosenquote bei nichtwestlichen Zuwanderern und die drastisch niedrigere Erwerbsbeteiligungsquote bei sogennaten Flüchtlingen und deren Nachkommen zurückzuführen ist. 

Somit ist es  nicht überraschend, daß nichtwestliche Zuwanderer einen weitaus größeren Anteil ihres Einkommens durch Sozialleistungen generieren als Norweger und westliche Zuwanderer. Sind durchschnittlich 39 Prozent des Einkommens bei Frauen beziehungsweise 34 Prozent bei Männern aus nichtwestlichen Ländern Sozialleistungen, so liegt der Einkommensanteil durch Sozialleistungen bei anderen westlichen Zuwanderern nur bei etwa fünf Prozent und im Falle der Norweger bei 9,6 Prozent (Männer) beziehungsweise 16,7 Prozent (Frauen).

Eine gewisse Angleichung über die Zeit tritt ein, aber selbst nach mehr als einem Jahrzehnt Aufenthalt im Land stammen 40 bis 50 Prozent des Einkommens von weiblichen Flüchtlingen ausschließlich aus Sozialleistungen, während es in der unmittelbaren Ankunftsphase in Norwegen 90 bis 100 Prozent sind. 

Ein noch deutlicheres Bild ergibt sich im Falle der Sozialhilfe, welche von 13,7 Prozent der nichtwestlichen Zuwanderer (insbesondere denen aus Asien und Afrika) in Anspruch genommen wird, während sie lediglich von 2,8 der Norweger in Anspruch genommen wird. Die durchschnittlich ausgezahlte jährliche Leistung pro nichtwestlichem Einwanderer liegt zudem mit 62.800 Kronen (NKR) deutlich über der Leistung pro norwegischem Empfänger (37.200 NRK). Die Autoren konstatieren insgesamt eine deutlich überproportionale Inanspruchnahme des norwegischen Sozialstaates durch nichtwestliche Zuwanderer.

Wohlfahrtsstaat wird mehr und mehr in Frage gestellt  

Die im übrigen sehr nuancierte Diskussion auf Basis arbeitsmarktökonomischer Forschung weist nach, daß Arbeitsmigration zum reduzierten Lohnwachstum in privaten Dienstleistungsberufen beiträgt. Hier gibt es naturgemäß Gewinner und Verlierer, da ein Teil der einheimischen Bevölkerung der Lohnkonkurrenz ausgesetzt ist, während ein anderer Teil relative Kaufkraftgewinne erzielt, da der eigene Lohnzuwachs den Kauf von privaten Dienstleistungen verbilligt, wenn diese durch (neue) Zuwanderer günstiger angeboten werden. Darüber hinaus ergeben sich Distinktionseffekte, da bestimmte Berufszweige als Folge von Zuwanderung (insbesondere Unqualifizierter) nicht mehr als Berufsziele von Einheimischen angesehen werden. 

Die empirischen Analysen zu den reinen sozio-ökonomischen Konsequenzen der Zuwanderung schließen mit ökonometrischen Modellberechnungen ab. Grundlagen sind Angaben der Statistikbehörde Statistisk Sentralbyrå zu den öffentlichen Einnahmen und Ausgaben pro Einwohner über den Lebenslauf. 

Die Modelle zeigen, daß ein männlicher Norweger im Alter von 25 einen jährlichen Nettobeitrag von 54.000 Kronen über seinen Lebenszyklus leistet, während ein gleichaltriger – im Jahr 2016 eingereister – nichtwestlicher Zuwanderer eine jährliche Belastung von 94.000 NRK für die öffentlichen Haushalte darstellt. Dies entspricht Kosten von etwa 6,2 Millionen NRK pro nichtwestlichem Zuwanderer, wenn man ein Einwanderungsalter von 25 und die durchschnittliche Lebenserwartung von 91 Jahren für Männer in Norwegen zugrunde legt. 

Resümee des Berichts: Das ökonomische Fundament des norwegischen Wohlfahrtsstaates werde so in Frage gestellt.

Parallel dazu verweisen die Autoren auf kulturelle Faktoren bei den Zuwanderern, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt letztlich untergraben können. So zeigen Kriminalitätsstatistiken auf Basis von Registerdaten eine deutliche Überrepräsentation nichtwestlicher Zuwanderer. Sie verweisen aber auch auf die niedrigere Wahlbeteiligung und den deutlich geringeren gemeinnützigen Einsatz bei Zuwanderern.

Umfragen unter Zuwanderern bezüglich ihrer gefühlten Bindung an Norwegen auf einer Skala von Eins („keine Zugehörigkeit“) bis Sieben („große Zugehörigkeit“) weisen in dieser Hinsicht eine relativ große Variation innerhalb der Zuwandererpopulation nach. In Norwegen lebende Vietnamesen liegen durchschnittlich bei einem hohen Wert von 5,9 – während etwa bei Türken oder Irakern eine deutlich schwächeres Zugehörigkeitsgefühl von 4,3 empfunden wird. 

Diese schwächere Identifikation bei muslimischen Zuwanderern korrespondiert mit einem weiteren Umfrageergebnis, wonach etwa die Hälfte der jugendlichen Muslime in Norwegen ihre Religion als einzig akzeptable betrachtet. Diese Werte sind zwar noch deutlich niedriger als vergleichbare Werte in ihren Herkunftsländern, aber auch markant höher als bei allen anderen Zuwanderergruppen. 

Die Autoren verweisen in dieser Hinsicht auf das Dilemma, wenn vor allem Eltern muslimischer Kinder spezielle Ausnahmen wie die Freistellung ihrer Kinder vom Sport-/Schwimmunterricht fordern und diese damit eine Definitionsmacht in entsprechenden Debatten bekommen.

Der Report kommt zu dem Fazit, daß hier ein umfassenderes und strengeres Regelwerk notwendig ist. Dies müsse in erster Linie den Einfluß der Eltern einschränken, die ihren Kindern aus kulturellen und religiösen Gründen die Teilnahme an Gemeinschaftsaktivitäten verbieten und damit deren Integration erschweren.

Abschließend hebt der Bericht hervor, daß anhaltend hohe Zuwanderung in der Summe den Sozialstaat nicht nur rein sozio-ökonomisch gefährden kann, sondern auch dessen politische und kulturell bedingte Legitimitätsgrundlage untergraben könne. Bezogen auf die politischen Implikationen ihrer Ergebnisse verweisen die Autoren darauf, daß eine geregelte und gesteuerte Zuwanderung entscheidend dafür sei, das norwegische Arbeits- und Sozialmodell aufrechtzuerhalten. 

Lohnpolitik gerät aus den Fugen

Ein weiteres Problem und Dilemma für politische Entscheidungsträger unter konstant hoher Zuwanderung stellt die Lohnpolitik dar. Würde man wie in Schweden niedrige Einstiegslöhne für Zuwanderer einführen, um deren Beschäftigungschancen auf einem Niedriglohnarbeitsmarkt zu erhöhen, so würde das norwegische Arbeitsmarktmodell im Zeitverlauf beschädigt. Hält man dementgegen an den existierenden hohen Einstiegs- und Reservationslöhnen fest, so schränkt man die Beschäftigungsmöglichkeiten von nichtwestlichen Zuwanderern naturgemäß ein. 

Hierzu bemerkt das Kommissionsmitglied Asle Toje, daß selbst die oft vorgebrachte Bildung und Qualifizierung der Zuwanderer keine Universallösung sei, da die hohen norwegischen Sozialleistungen von vornherein einen Fehlanreiz hinsichtlich der (Aus-)Bildung bei nichtwestlichen Zuwanderern darstellten. 

Das generelle Problem besteht laut Toje darin, daß „eine Einwanderung Niedrigqualifizierter im großen Stil in eine der am besten gebildeten und produktivsten Ökonomien der Welt nicht tragfähig“ sei, weil es „uns nicht gelingen wird, einen ausreichenden Anteil erwachsener niedriggebildeter Menschen auf ein Niveau zu bringen, so daß deren Arbeitsleistung ausreichend ist, um ein norwegisches Lohnniveau zu rechtfertigen“.





Migrantenpolitik der Regierung in Oslo

Als Folge des Zustroms von 31.000 Migranten im Jahr 2015 beschloß die Mitte-Rechts-Minderheitsregierung aus Konservativen und Fortschrittspartei mit Zustimmung von Sozialdemokraten, Christlicher Volkspartei, Zentrumspartei und Sozialliberalen ein weitreichendes Maßnahmenpaket (Tiltak for å håndtere asylsituasjonen), darunter die sogenannte Asylnotbremse. Dieses aus deutscher Sicht vermutlich recht umfassende Paket enthält unter anderem die gesetzliche Möglichkeit , Asylbewerber zu internieren, die keinen offensichtlichen Asylgrund vorweisen können, oder die Bedingung, daß beide Partner mindestens 24 Jahre alt sein müssen, wenn sie eine Familienzusammenführung beantragen wollen. Mit diesem Gesetz sollen etwa Zwangsehen verhindert werden.